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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Auch in Betreff der Art, wie er sprach, müssen wir auf das Buch ver¬
weisen, welches darüber ausführlich Auskunft ertheilt, und uns darauf beschrän¬
ken, seinem Biographen zu glauben, wenn er sagt, daß seine Rede sich gern auf
das Höhere, im Wechsel der Erscheinung Beharrende lenkte und anschaulich, ein¬
fach, präcis, licht und lebendig war.

"Schopenhauer las viel und wußte Viel, aber nicht Vieles". -- "Von Ju¬
gend auf hatte sich sein eigentliches Studium auf einzelne Capitalwerke beschränkt."
-- "Er las mehr in fremden Sprachen als im Deutschen; vor Allem waren die
griechischen und römischen Classiker zeitlebens sein vertrauter Umgang." Unter den
Lateinern war Seneca sein Liebling. Ueber die deutschen philosophischen Schrift¬
steller meinte er: "Es solle sich nur jeder unbefangen prüfen, ob er aus den an¬
spruchslosen und veralteten Schriften eines Reimarus, Garve, Sulzer, Platner,
Feder, Meiners, ja selbst eines Krug nicht noch heutigen Tags mehr zu lernen
vermöge, als aus denen der drei berühmten nachkantischen Sophisten."
Übersetzungen zu gebrauchen hielt er für eines Gelehrten unwürdig, doch be¬
schäftigte er sich zuweilen selbst mit Uebersetzen. Von den neuern Literaturen
cultivirte er am meisten die englische. Besonders emsig verfolgte er die Fort¬
schritte in der Kenntniß des Orients, namentlich der Lehren des Buddhismus, der
in wesentlichen Punkten mit den Ergebnissen seiner Speculation zusammenfiel und
dessen Stifter in einer vergoldeten Statuette in seinem Zimmer eine Stelle fand.
Aus ähnlichen Gründen ehrte er die deutschen Mystiker und Quietisten wie
Meister Eckhart und Angelus Silesius, sowie die Trappisten, die er die ehr¬
würdigsten Mönche nannte. "Schriftstücke, an denen er sich immer von Neuem
erbaute, waren die 105. Epistel des Seneca, der Anfang von Hobbes "alö cioe",
Macchiavells "Principe", die Rede des Polonius an Laertes im Hamlet, die
Maximen Gracians (eines spanischen Jesuiten des 17. Jahrhunderts, dessen Werk
er ins Deutsche übertrug), die Schriften der französischen Moralisten, Shenstone's
und Klingers." Von Dichtern las er am fleißigsten Shakespeare und Goethe, dann
Calderon und Byton, "dessen pessimistischer Kain ihn natürlich am meisten ent¬
zückte." -- "Unter den Lyrikern hielt er neben Petrarca Burns und Bürger in
hohen Ehren."

1836 erschien von ihm die kleine Schrift "Ueber den Willen in der Na¬
tur", 1341 "die beiden Grundprobleme der Ethik", 1844 der zweite Band der
"Welt als Wille und Vorstellung", dem 18S1 die "Parerga und Paralipomena"
folgten.

Wir kommen zum sechsten Kapitel der Gwinnerschen Biographie, welches
die für den Leser des Vorigen vermuthlich schon entschiedene Frage beantwortet:
"Wer er war?" Diese Antwort lautet für uns, um das gleich von vornherein
zu sagen: Schopenhauer war ein bedeutendes Talent, welches jedoch von einer
tiefcomplicirten ethischen Verbildung ergriffen, von einer fast unerhörten, durch


Grenzboten II. 1862. 24

Auch in Betreff der Art, wie er sprach, müssen wir auf das Buch ver¬
weisen, welches darüber ausführlich Auskunft ertheilt, und uns darauf beschrän¬
ken, seinem Biographen zu glauben, wenn er sagt, daß seine Rede sich gern auf
das Höhere, im Wechsel der Erscheinung Beharrende lenkte und anschaulich, ein¬
fach, präcis, licht und lebendig war.

„Schopenhauer las viel und wußte Viel, aber nicht Vieles". — „Von Ju¬
gend auf hatte sich sein eigentliches Studium auf einzelne Capitalwerke beschränkt."
— „Er las mehr in fremden Sprachen als im Deutschen; vor Allem waren die
griechischen und römischen Classiker zeitlebens sein vertrauter Umgang." Unter den
Lateinern war Seneca sein Liebling. Ueber die deutschen philosophischen Schrift¬
steller meinte er: „Es solle sich nur jeder unbefangen prüfen, ob er aus den an¬
spruchslosen und veralteten Schriften eines Reimarus, Garve, Sulzer, Platner,
Feder, Meiners, ja selbst eines Krug nicht noch heutigen Tags mehr zu lernen
vermöge, als aus denen der drei berühmten nachkantischen Sophisten."
Übersetzungen zu gebrauchen hielt er für eines Gelehrten unwürdig, doch be¬
schäftigte er sich zuweilen selbst mit Uebersetzen. Von den neuern Literaturen
cultivirte er am meisten die englische. Besonders emsig verfolgte er die Fort¬
schritte in der Kenntniß des Orients, namentlich der Lehren des Buddhismus, der
in wesentlichen Punkten mit den Ergebnissen seiner Speculation zusammenfiel und
dessen Stifter in einer vergoldeten Statuette in seinem Zimmer eine Stelle fand.
Aus ähnlichen Gründen ehrte er die deutschen Mystiker und Quietisten wie
Meister Eckhart und Angelus Silesius, sowie die Trappisten, die er die ehr¬
würdigsten Mönche nannte. „Schriftstücke, an denen er sich immer von Neuem
erbaute, waren die 105. Epistel des Seneca, der Anfang von Hobbes „alö cioe",
Macchiavells „Principe", die Rede des Polonius an Laertes im Hamlet, die
Maximen Gracians (eines spanischen Jesuiten des 17. Jahrhunderts, dessen Werk
er ins Deutsche übertrug), die Schriften der französischen Moralisten, Shenstone's
und Klingers." Von Dichtern las er am fleißigsten Shakespeare und Goethe, dann
Calderon und Byton, „dessen pessimistischer Kain ihn natürlich am meisten ent¬
zückte." — „Unter den Lyrikern hielt er neben Petrarca Burns und Bürger in
hohen Ehren."

1836 erschien von ihm die kleine Schrift „Ueber den Willen in der Na¬
tur", 1341 „die beiden Grundprobleme der Ethik", 1844 der zweite Band der
„Welt als Wille und Vorstellung", dem 18S1 die „Parerga und Paralipomena"
folgten.

Wir kommen zum sechsten Kapitel der Gwinnerschen Biographie, welches
die für den Leser des Vorigen vermuthlich schon entschiedene Frage beantwortet:
„Wer er war?" Diese Antwort lautet für uns, um das gleich von vornherein
zu sagen: Schopenhauer war ein bedeutendes Talent, welches jedoch von einer
tiefcomplicirten ethischen Verbildung ergriffen, von einer fast unerhörten, durch


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[0193] Auch in Betreff der Art, wie er sprach, müssen wir auf das Buch ver¬ weisen, welches darüber ausführlich Auskunft ertheilt, und uns darauf beschrän¬ ken, seinem Biographen zu glauben, wenn er sagt, daß seine Rede sich gern auf das Höhere, im Wechsel der Erscheinung Beharrende lenkte und anschaulich, ein¬ fach, präcis, licht und lebendig war. „Schopenhauer las viel und wußte Viel, aber nicht Vieles". — „Von Ju¬ gend auf hatte sich sein eigentliches Studium auf einzelne Capitalwerke beschränkt." — „Er las mehr in fremden Sprachen als im Deutschen; vor Allem waren die griechischen und römischen Classiker zeitlebens sein vertrauter Umgang." Unter den Lateinern war Seneca sein Liebling. Ueber die deutschen philosophischen Schrift¬ steller meinte er: „Es solle sich nur jeder unbefangen prüfen, ob er aus den an¬ spruchslosen und veralteten Schriften eines Reimarus, Garve, Sulzer, Platner, Feder, Meiners, ja selbst eines Krug nicht noch heutigen Tags mehr zu lernen vermöge, als aus denen der drei berühmten nachkantischen Sophisten." Übersetzungen zu gebrauchen hielt er für eines Gelehrten unwürdig, doch be¬ schäftigte er sich zuweilen selbst mit Uebersetzen. Von den neuern Literaturen cultivirte er am meisten die englische. Besonders emsig verfolgte er die Fort¬ schritte in der Kenntniß des Orients, namentlich der Lehren des Buddhismus, der in wesentlichen Punkten mit den Ergebnissen seiner Speculation zusammenfiel und dessen Stifter in einer vergoldeten Statuette in seinem Zimmer eine Stelle fand. Aus ähnlichen Gründen ehrte er die deutschen Mystiker und Quietisten wie Meister Eckhart und Angelus Silesius, sowie die Trappisten, die er die ehr¬ würdigsten Mönche nannte. „Schriftstücke, an denen er sich immer von Neuem erbaute, waren die 105. Epistel des Seneca, der Anfang von Hobbes „alö cioe", Macchiavells „Principe", die Rede des Polonius an Laertes im Hamlet, die Maximen Gracians (eines spanischen Jesuiten des 17. Jahrhunderts, dessen Werk er ins Deutsche übertrug), die Schriften der französischen Moralisten, Shenstone's und Klingers." Von Dichtern las er am fleißigsten Shakespeare und Goethe, dann Calderon und Byton, „dessen pessimistischer Kain ihn natürlich am meisten ent¬ zückte." — „Unter den Lyrikern hielt er neben Petrarca Burns und Bürger in hohen Ehren." 1836 erschien von ihm die kleine Schrift „Ueber den Willen in der Na¬ tur", 1341 „die beiden Grundprobleme der Ethik", 1844 der zweite Band der „Welt als Wille und Vorstellung", dem 18S1 die „Parerga und Paralipomena" folgten. Wir kommen zum sechsten Kapitel der Gwinnerschen Biographie, welches die für den Leser des Vorigen vermuthlich schon entschiedene Frage beantwortet: „Wer er war?" Diese Antwort lautet für uns, um das gleich von vornherein zu sagen: Schopenhauer war ein bedeutendes Talent, welches jedoch von einer tiefcomplicirten ethischen Verbildung ergriffen, von einer fast unerhörten, durch Grenzboten II. 1862. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/193>, abgerufen am 08.01.2025.