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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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ders Helvetius und Cabanis ein. "Beide nämlich öffneten ihm die Augen über
die secundäre Natur des Intellects. deren speculative Begründung ihm, zumal
der Modephilosophie seiner Zeit gegenüber, zum unvergänglichen Ruhm gereicht,
und die er selbst als den Brennpunkt und als das wesentliche Verdienst seiner
Lehre urgirt". Das Werk erschien un November 1818, während sein Verfasser
nach Italien abgereist war.

"Das stolze Gefühl, der Welt seine Schuld abgetragen zu haben, beglei¬
tete ihn über die Alpen". -- "In Rom, wo er vier Monate blieb, und in
Neapel verkehrte er besonders viel mit jungen Engländern. Als erregendes Cen¬
trum eines bald größeren, bald kleineren Kreises nahm er auch Theil an allen
Excentricitäten desselben. Hier sehen wir den "misanthropischen Weisen" in einer
anderen Gestalt als der landläufigen des deutschen Stubengelehrten". Nament¬
lich in Venedig "wo die Zauberarme der Liebe ihn umstrickt hielten, bis die
innere Stimme ihm gebot sich loszureißen und seinen Weg allein weiter zu
wandeln", scheint diese Gestalt eher an Byron, der sich damals ebenfalls dort
aufhielt, als an den deutschen Stubengelehrten erinnert zu haben. Von italie¬
nischen Dichtern war ihm Petrarca der liebste. Im Gebiet der Kunst richtete
er seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf Plastik und Architektur. Aus dem der
Musik gab er Rossini den Vorzug.

"Mitten in diese sorglose Heiterkeit seiner italienischen Reise siel die Un-
glücköpost von dem Sturz des Danziger Handelshauses, dem seine Mutter den
größten Theil ihres Vermögens ohne Sicherheit anvertraut hatte. Sie und ihre
Tochter gingen ans diesem Bankerott fast verarmt hervor; ihn selbst bewahrte
zeitiges Mißtrauen und energisches Auftreten vor empfindlicheren Verluste".
Indeß rief ihn der Unfall früher, als er beabsichtigt, in die Heimath zurück,
und "die Möglichkeit in eine des Erwerbs bedürftige Lage zu kommen, drängte
den immer das Schlimmste befürchtenden Mann zum Eintritt ins praktische
Leben."

In Frühling 1820 ging Schopenhauer nach Berlin, um sich, indem er
bald aus den durch Solgers Tod damals gerade leer gewordenen philosophischen
Lehrstuhl berufen zu werden hoffte, als Docent zu habilitircn. Der Erfolg
dieses Versuchs entsprach seinen Erwartungen nicht. Hegel und Schleiermacher
hatten bereits das Terrain erobert, der junge Philosoph fand keine Zuhörer,
außerdem sagten ihm Klima. Manieren und Wirthstafcln Berlins nicht zu. und
so floh er schon im Frühjahr 1822 wieder nach Italien zurück. Sein geselliger
Umgang in Berlin hatte sich wenig in der akademischen Sphäre bewegt. "Die
Concurrenten mied er absichtlich, und die Pedanterie des deutschen Gelehrten-
thums ekelte ihn an. Besser kam er mit Weltlenker zurecht, die er überall
nach aristokratischen Maximen wählte". Welchen Schlags diese aristokratischen
Maximen waren, wo sichs um geringes Volk handelte, zeigte er einst bei einem


ders Helvetius und Cabanis ein. „Beide nämlich öffneten ihm die Augen über
die secundäre Natur des Intellects. deren speculative Begründung ihm, zumal
der Modephilosophie seiner Zeit gegenüber, zum unvergänglichen Ruhm gereicht,
und die er selbst als den Brennpunkt und als das wesentliche Verdienst seiner
Lehre urgirt". Das Werk erschien un November 1818, während sein Verfasser
nach Italien abgereist war.

„Das stolze Gefühl, der Welt seine Schuld abgetragen zu haben, beglei¬
tete ihn über die Alpen". — „In Rom, wo er vier Monate blieb, und in
Neapel verkehrte er besonders viel mit jungen Engländern. Als erregendes Cen¬
trum eines bald größeren, bald kleineren Kreises nahm er auch Theil an allen
Excentricitäten desselben. Hier sehen wir den „misanthropischen Weisen" in einer
anderen Gestalt als der landläufigen des deutschen Stubengelehrten". Nament¬
lich in Venedig „wo die Zauberarme der Liebe ihn umstrickt hielten, bis die
innere Stimme ihm gebot sich loszureißen und seinen Weg allein weiter zu
wandeln", scheint diese Gestalt eher an Byron, der sich damals ebenfalls dort
aufhielt, als an den deutschen Stubengelehrten erinnert zu haben. Von italie¬
nischen Dichtern war ihm Petrarca der liebste. Im Gebiet der Kunst richtete
er seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf Plastik und Architektur. Aus dem der
Musik gab er Rossini den Vorzug.

„Mitten in diese sorglose Heiterkeit seiner italienischen Reise siel die Un-
glücköpost von dem Sturz des Danziger Handelshauses, dem seine Mutter den
größten Theil ihres Vermögens ohne Sicherheit anvertraut hatte. Sie und ihre
Tochter gingen ans diesem Bankerott fast verarmt hervor; ihn selbst bewahrte
zeitiges Mißtrauen und energisches Auftreten vor empfindlicheren Verluste".
Indeß rief ihn der Unfall früher, als er beabsichtigt, in die Heimath zurück,
und „die Möglichkeit in eine des Erwerbs bedürftige Lage zu kommen, drängte
den immer das Schlimmste befürchtenden Mann zum Eintritt ins praktische
Leben."

In Frühling 1820 ging Schopenhauer nach Berlin, um sich, indem er
bald aus den durch Solgers Tod damals gerade leer gewordenen philosophischen
Lehrstuhl berufen zu werden hoffte, als Docent zu habilitircn. Der Erfolg
dieses Versuchs entsprach seinen Erwartungen nicht. Hegel und Schleiermacher
hatten bereits das Terrain erobert, der junge Philosoph fand keine Zuhörer,
außerdem sagten ihm Klima. Manieren und Wirthstafcln Berlins nicht zu. und
so floh er schon im Frühjahr 1822 wieder nach Italien zurück. Sein geselliger
Umgang in Berlin hatte sich wenig in der akademischen Sphäre bewegt. „Die
Concurrenten mied er absichtlich, und die Pedanterie des deutschen Gelehrten-
thums ekelte ihn an. Besser kam er mit Weltlenker zurecht, die er überall
nach aristokratischen Maximen wählte". Welchen Schlags diese aristokratischen
Maximen waren, wo sichs um geringes Volk handelte, zeigte er einst bei einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/191>, abgerufen am 08.01.2025.