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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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mer gesagt," schrieb ihm die Mutter einst, "es wäre sehr schwer mit dir zu
leben, und je näher ich dich betrachte, desto mehr scheint diese Schwierigkeit,
für mich wenigstens, zuzunehmen. Ich verhehle dir nicht, so lange du bist,
wie du bist, würde ich jedes Opfer eher bringen, als > mich dazu entschließen.
Ich verkenne dein Gutes nicht, aber . . . ich kann mit dir in nichts, was die
Außenwelt angeht, übereinstimmen; auch dein Mißmuth, deine Klagen über
unvermeidliche Dinge, deine finstern Gesichter, deine bizarren Urtheile, die wie
Orakelsprüche von dir ausgesprochen werden, ohne daß man etwas dagegen
einwenden dürfte, drücken mich und verstimmen meinen heitern Humor, ohne
daß es dir etwas hilft. Dein leidiges Disputiren, deine Lamentationen über
die dumme Welt und das menschliche Elend machen mir schlechte Nacht und
üble Träume."

Wie sichs mit solch einer Melancholie, solchem Jammer über die schlechte
Welt vertrug, daß der junge Herr als Gothaer Gymnasiast den Dandy spielte,
sich von Hamburg eine neumodische Claque verschrieb, den Umgang von Ba¬
ronen und Comtessen suchte u. s. w. überlassen wir Andern zu erklären. Ge¬
nug, daß er, nach Weimar übergesiedelt, sich ernstlich aus Lernen machte und
auf diese Weise schon im Jahr 1309 dahin gelangte, die Universität beziehen
zu können. Er wählte Göttingen und ließ sich dort in der medicinischen Fa-
cultät einschreiben, ging aber bald zum Studium der Philosophie über, bei
dem Schultze, der Verfasser des "Aenesidem", von entscheidenden Einfluß auf
ihn'wurde, indem er ihm rieth, vorerst allen Fleiß auf Plato und Kant zu
verwenden.

Im Herbst 1811 ging er nach Berlin. "Durch Fichte's Ruf dahin gezo¬
gen, brachte er bereits zu viel Selbstgefühl und Selbständigkeit des Urtheils
mit, um dem (man bemerke, daß Herr Gwinner spricht) zur Sophistik ausge¬
arteten Philosophiren dieses merkwürdigen Mannes gläubig zu folgen," und
"bald wich die Verehrung ir pi'iori der Geringschätzung und dem Spotte," der
auch das Aendere des Lehrers zur Zielscheibe nahm, dessen Enthusiasmus für
hohles Pathos erklärte und später zur niedrigen Schimpferei im Styl der
Frankfurter Vorstädte ausartete. Aehnlich verhielt er sich zu Schleiermacher, bei
dem er Geschichte der Philosophie im Mittelalter hörte, und den er einen
"Pfaffen" schalt, während Hegel ihm ein "ekelhafter Schwätzer," Solger für
ihn nur ein "süßer Herr" war. - Außer philosophischen Kollegien hörte er
naturwissenschaftliche und philologische, letztere namentlich bei Wolf, welcher
einer der wenigen Professoren gewesen zu sein scheint, die ihm imponirten.

Der ausbrechende Freiheitskrieg, der den "Windbeutel Fichte" zu seinen
Reden an die deutsche Nation begeisterte und selbst den schwächlichen Schleier¬
macher auf den Exercierplatz rief, ließ unsern Philosophen kalt, und nach dem
zweifelhaften Ausgang der Schlacht bei Lützen flüchtete er zuerst nach Dresden,


mer gesagt," schrieb ihm die Mutter einst, „es wäre sehr schwer mit dir zu
leben, und je näher ich dich betrachte, desto mehr scheint diese Schwierigkeit,
für mich wenigstens, zuzunehmen. Ich verhehle dir nicht, so lange du bist,
wie du bist, würde ich jedes Opfer eher bringen, als > mich dazu entschließen.
Ich verkenne dein Gutes nicht, aber . . . ich kann mit dir in nichts, was die
Außenwelt angeht, übereinstimmen; auch dein Mißmuth, deine Klagen über
unvermeidliche Dinge, deine finstern Gesichter, deine bizarren Urtheile, die wie
Orakelsprüche von dir ausgesprochen werden, ohne daß man etwas dagegen
einwenden dürfte, drücken mich und verstimmen meinen heitern Humor, ohne
daß es dir etwas hilft. Dein leidiges Disputiren, deine Lamentationen über
die dumme Welt und das menschliche Elend machen mir schlechte Nacht und
üble Träume."

Wie sichs mit solch einer Melancholie, solchem Jammer über die schlechte
Welt vertrug, daß der junge Herr als Gothaer Gymnasiast den Dandy spielte,
sich von Hamburg eine neumodische Claque verschrieb, den Umgang von Ba¬
ronen und Comtessen suchte u. s. w. überlassen wir Andern zu erklären. Ge¬
nug, daß er, nach Weimar übergesiedelt, sich ernstlich aus Lernen machte und
auf diese Weise schon im Jahr 1309 dahin gelangte, die Universität beziehen
zu können. Er wählte Göttingen und ließ sich dort in der medicinischen Fa-
cultät einschreiben, ging aber bald zum Studium der Philosophie über, bei
dem Schultze, der Verfasser des „Aenesidem", von entscheidenden Einfluß auf
ihn'wurde, indem er ihm rieth, vorerst allen Fleiß auf Plato und Kant zu
verwenden.

Im Herbst 1811 ging er nach Berlin. „Durch Fichte's Ruf dahin gezo¬
gen, brachte er bereits zu viel Selbstgefühl und Selbständigkeit des Urtheils
mit, um dem (man bemerke, daß Herr Gwinner spricht) zur Sophistik ausge¬
arteten Philosophiren dieses merkwürdigen Mannes gläubig zu folgen," und
„bald wich die Verehrung ir pi'iori der Geringschätzung und dem Spotte," der
auch das Aendere des Lehrers zur Zielscheibe nahm, dessen Enthusiasmus für
hohles Pathos erklärte und später zur niedrigen Schimpferei im Styl der
Frankfurter Vorstädte ausartete. Aehnlich verhielt er sich zu Schleiermacher, bei
dem er Geschichte der Philosophie im Mittelalter hörte, und den er einen
„Pfaffen" schalt, während Hegel ihm ein „ekelhafter Schwätzer," Solger für
ihn nur ein „süßer Herr" war. - Außer philosophischen Kollegien hörte er
naturwissenschaftliche und philologische, letztere namentlich bei Wolf, welcher
einer der wenigen Professoren gewesen zu sein scheint, die ihm imponirten.

Der ausbrechende Freiheitskrieg, der den „Windbeutel Fichte" zu seinen
Reden an die deutsche Nation begeisterte und selbst den schwächlichen Schleier¬
macher auf den Exercierplatz rief, ließ unsern Philosophen kalt, und nach dem
zweifelhaften Ausgang der Schlacht bei Lützen flüchtete er zuerst nach Dresden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/189>, abgerufen am 08.01.2025.