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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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kung einer äußerlichen Wahrheit zu suchen, ohne in dem normalen Bau und
der tief von innen bewegten Eigenheit der Gestalt die Realität künstlerisch durch¬
zuführen. Daher die absichtliche Vernachlässigung der Linie, die vielmehr in
Winkeln und Ecken, wie es die Noth des realen Daseins barbarisch fügt, zu¬
sammenstoßen soll, die äußerliche Charakterisirung der Figuren nach Modellen,
ohne daß in den Zügen und der Bewegung der Charakter als das Werk der
innen arbeitenden Seele erschiene; daher endlich der Mangel einer lebendigen
künstlerischen Anordnung und Abrundung des Vorgangs und das Heraustreten
des todten Beiwerks, das die Personen gleichsam bei Seite schiebt. Das Alles
läßt sich im Nero verfolgen. Von einem Bau der Composition, einem Schwung
der Linie ist leine Rede., die Figuren drängen sich links aus dem Rahmen hin¬
aus, rechts wiedn hinein, die Gruppe der getödteten Christen bildet -- in
vielleicht absichtlicher Symbolik -- ein Kreuz: die Persötten sind keine Römer,
sondern moderne Italiener in anspruchsvoller antiker Garderobe. In der Form
fehlt die Festigkeit, in der Bewegung die Sicherheit; in dem Ausdruck ist eine
stumpfe Gleichgiltigkeit, die dem Vorgang wohl entsprechen mag^, aber denn doch
in ihrer Weise lebendiger sich aussprechen mußte; nur im Nero ist etwas von
der feigen und brutalen Verworfenheit, die den Imperator charakterisirt. Da¬
gegen sind Schutt, Trümmer und Balken singersdick auf die Leinwand übertra¬
gen und hierin hat es der Maler allerdings zu einer gewissen Täuschung
gebracht.

So kehrt hier, in der entgegengesetzten Richtung, ein ähnliches Verhältniß
wieder, wie wir es bei Kaulbach beobachtet haben: Das eigentlich Malerische sind
die Nebendinge, während der Gegenstand selber von der künstlerischen Behand¬
lung nicht durchdrungen wird. Wie dort auf der Fülle von geistreichen Bezie¬
hungen, so beruht Kier mehr auf der Wahl des Stoffes, als auf der Darstel¬
lung, die Wirkung des Vorganges: das Grasse, Furchtbare, Verwüstung und
Leichname müssen den Ausdruck innern Lebens ersetzen". DaMit das historische
Ereignis? auf den Beschauer Eindruck mache, wählt der Realist einen UnglückS-
f-all. Man sieht, neben der malerischen ist es auch hier auf eine SKt von poe¬
tischer Wirkung abgesehen, die in die sichtbare Erscheinung nicht rein aufgeht;
was Nero in diesem Momente denkt und empfindet -- das zu errathen, bleibt
dem Beschauer überlassen. So geräth der Realist, der sich gegen den Gedanken-
reichthum sträubte', dennoch in den Fehler des' Idealisten. Noch deutlicher tritt
dieses am Galilei desselben Malers hervor. Der Astronom betrachtet im Ker¬
ker sein auf den Boden gezeichnetes Planetensystem, auf das chert eiir Sorrnen-
strahl fällt, und denkt: L pur si muovs! Nächstens wird wohl ein Realist' d'ete
alten Kant darstellen, wie er das Problem der- kritischen Philosophie löst. Wie
Calvin den Server für seine Ueberzeugung zu gewinnen sucht, ist schon von
Pixis behandelt. Schade um den Kopf des spawischen Reformators, der nicht


kung einer äußerlichen Wahrheit zu suchen, ohne in dem normalen Bau und
der tief von innen bewegten Eigenheit der Gestalt die Realität künstlerisch durch¬
zuführen. Daher die absichtliche Vernachlässigung der Linie, die vielmehr in
Winkeln und Ecken, wie es die Noth des realen Daseins barbarisch fügt, zu¬
sammenstoßen soll, die äußerliche Charakterisirung der Figuren nach Modellen,
ohne daß in den Zügen und der Bewegung der Charakter als das Werk der
innen arbeitenden Seele erschiene; daher endlich der Mangel einer lebendigen
künstlerischen Anordnung und Abrundung des Vorgangs und das Heraustreten
des todten Beiwerks, das die Personen gleichsam bei Seite schiebt. Das Alles
läßt sich im Nero verfolgen. Von einem Bau der Composition, einem Schwung
der Linie ist leine Rede., die Figuren drängen sich links aus dem Rahmen hin¬
aus, rechts wiedn hinein, die Gruppe der getödteten Christen bildet — in
vielleicht absichtlicher Symbolik — ein Kreuz: die Persötten sind keine Römer,
sondern moderne Italiener in anspruchsvoller antiker Garderobe. In der Form
fehlt die Festigkeit, in der Bewegung die Sicherheit; in dem Ausdruck ist eine
stumpfe Gleichgiltigkeit, die dem Vorgang wohl entsprechen mag^, aber denn doch
in ihrer Weise lebendiger sich aussprechen mußte; nur im Nero ist etwas von
der feigen und brutalen Verworfenheit, die den Imperator charakterisirt. Da¬
gegen sind Schutt, Trümmer und Balken singersdick auf die Leinwand übertra¬
gen und hierin hat es der Maler allerdings zu einer gewissen Täuschung
gebracht.

So kehrt hier, in der entgegengesetzten Richtung, ein ähnliches Verhältniß
wieder, wie wir es bei Kaulbach beobachtet haben: Das eigentlich Malerische sind
die Nebendinge, während der Gegenstand selber von der künstlerischen Behand¬
lung nicht durchdrungen wird. Wie dort auf der Fülle von geistreichen Bezie¬
hungen, so beruht Kier mehr auf der Wahl des Stoffes, als auf der Darstel¬
lung, die Wirkung des Vorganges: das Grasse, Furchtbare, Verwüstung und
Leichname müssen den Ausdruck innern Lebens ersetzen". DaMit das historische
Ereignis? auf den Beschauer Eindruck mache, wählt der Realist einen UnglückS-
f-all. Man sieht, neben der malerischen ist es auch hier auf eine SKt von poe¬
tischer Wirkung abgesehen, die in die sichtbare Erscheinung nicht rein aufgeht;
was Nero in diesem Momente denkt und empfindet — das zu errathen, bleibt
dem Beschauer überlassen. So geräth der Realist, der sich gegen den Gedanken-
reichthum sträubte', dennoch in den Fehler des' Idealisten. Noch deutlicher tritt
dieses am Galilei desselben Malers hervor. Der Astronom betrachtet im Ker¬
ker sein auf den Boden gezeichnetes Planetensystem, auf das chert eiir Sorrnen-
strahl fällt, und denkt: L pur si muovs! Nächstens wird wohl ein Realist' d'ete
alten Kant darstellen, wie er das Problem der- kritischen Philosophie löst. Wie
Calvin den Server für seine Ueberzeugung zu gewinnen sucht, ist schon von
Pixis behandelt. Schade um den Kopf des spawischen Reformators, der nicht


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[0184] kung einer äußerlichen Wahrheit zu suchen, ohne in dem normalen Bau und der tief von innen bewegten Eigenheit der Gestalt die Realität künstlerisch durch¬ zuführen. Daher die absichtliche Vernachlässigung der Linie, die vielmehr in Winkeln und Ecken, wie es die Noth des realen Daseins barbarisch fügt, zu¬ sammenstoßen soll, die äußerliche Charakterisirung der Figuren nach Modellen, ohne daß in den Zügen und der Bewegung der Charakter als das Werk der innen arbeitenden Seele erschiene; daher endlich der Mangel einer lebendigen künstlerischen Anordnung und Abrundung des Vorgangs und das Heraustreten des todten Beiwerks, das die Personen gleichsam bei Seite schiebt. Das Alles läßt sich im Nero verfolgen. Von einem Bau der Composition, einem Schwung der Linie ist leine Rede., die Figuren drängen sich links aus dem Rahmen hin¬ aus, rechts wiedn hinein, die Gruppe der getödteten Christen bildet — in vielleicht absichtlicher Symbolik — ein Kreuz: die Persötten sind keine Römer, sondern moderne Italiener in anspruchsvoller antiker Garderobe. In der Form fehlt die Festigkeit, in der Bewegung die Sicherheit; in dem Ausdruck ist eine stumpfe Gleichgiltigkeit, die dem Vorgang wohl entsprechen mag^, aber denn doch in ihrer Weise lebendiger sich aussprechen mußte; nur im Nero ist etwas von der feigen und brutalen Verworfenheit, die den Imperator charakterisirt. Da¬ gegen sind Schutt, Trümmer und Balken singersdick auf die Leinwand übertra¬ gen und hierin hat es der Maler allerdings zu einer gewissen Täuschung gebracht. So kehrt hier, in der entgegengesetzten Richtung, ein ähnliches Verhältniß wieder, wie wir es bei Kaulbach beobachtet haben: Das eigentlich Malerische sind die Nebendinge, während der Gegenstand selber von der künstlerischen Behand¬ lung nicht durchdrungen wird. Wie dort auf der Fülle von geistreichen Bezie¬ hungen, so beruht Kier mehr auf der Wahl des Stoffes, als auf der Darstel¬ lung, die Wirkung des Vorganges: das Grasse, Furchtbare, Verwüstung und Leichname müssen den Ausdruck innern Lebens ersetzen". DaMit das historische Ereignis? auf den Beschauer Eindruck mache, wählt der Realist einen UnglückS- f-all. Man sieht, neben der malerischen ist es auch hier auf eine SKt von poe¬ tischer Wirkung abgesehen, die in die sichtbare Erscheinung nicht rein aufgeht; was Nero in diesem Momente denkt und empfindet — das zu errathen, bleibt dem Beschauer überlassen. So geräth der Realist, der sich gegen den Gedanken- reichthum sträubte', dennoch in den Fehler des' Idealisten. Noch deutlicher tritt dieses am Galilei desselben Malers hervor. Der Astronom betrachtet im Ker¬ ker sein auf den Boden gezeichnetes Planetensystem, auf das chert eiir Sorrnen- strahl fällt, und denkt: L pur si muovs! Nächstens wird wohl ein Realist' d'ete alten Kant darstellen, wie er das Problem der- kritischen Philosophie löst. Wie Calvin den Server für seine Ueberzeugung zu gewinnen sucht, ist schon von Pixis behandelt. Schade um den Kopf des spawischen Reformators, der nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/184>, abgerufen am 08.01.2025.