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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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wie ihm will: Dietz zeigt auch hier, wie schon früher, ein besonderes Geschick,
vergangenen Ereignissen durch die Beziehung auf gegenwärtige Ideen ein erhöh¬
tes Interesse zu geben und so in seiner Weise den "zeitgemäßen Inhalt", den
die Malerei sucht, zu erreichen. Mag's drum sein, wenn nun einmal dieser
nicht fehlen soll; obgleich dadurch die Kunst als solche in die zweite Linie ge¬
rückt wird. Allein hier ist doch die einschlagende Größe der weltgeschichtlichen
That allzusehr in's Kleine gezogen und die Umsetzung des heroischen Aufschwungs
in die enge Beschränktheit des kleinbürgerlichen Lebens hat doch zu Viel von
der weichen und flachen Moral Jffland'scher Rührscenen, als daß die Wucht
deo Momentes und seine nationale Bedeutung selbst in diesem bescheidenen
Rahmen zur Anschauung kommen könnten. Und darauf war es doch abgesehen.
Etwas von der Trockenheit und Schwere dieser Auffassung ist auch auf die
Figuren übergegangen, doch ist der Hintergrund, das malerische Schlachtgetüm-
mel, wie immer bei Dich, lebendig, bewegt und trägt den Stempel des künst¬
lerischen Talentes.

Trat in den verschiedenen Bildern, die wir bisher betrachtet haben, die
Frage nach dein Inhalt in den Vordergrund, so kommen wir nun zu einem
Gemälde, in dem offenbar die malerische Behandlung zur Hauptsache gemacht
ist: Piloty's Nero, der nach dem Brande Roms mit seinem Gefolge über die
Trümmer der Stadt hinschreitct. Der Stoff, der "geschichtliche Moment ist nicht
von einschneidender Bedeutung; von einer in den Gang der Dinge mächtig ein¬
greifenden That ist nicht die Rede. Das Motiv, der durch die verewigte Stadt
wandelnde Kaiser, sein Werk und das Elend der Christen, dessen Urheber er
ebenfalls ist, betrachtend, ist wohl geeignet, auf die Phantasie Eindruck zu
machen; aber hier ist nichts von der Heftigkeit aufgerüttelter Leidenschaften,
dem beißen Kampf feindlicher Gegensätze. Es ist im Grund eine ganz einfache
Situation, die nur durch den äußerlichen Contrast des prächtigen Imperators
und der Seinigen mit den Trümmerhaufen und den gemordeten Christen wirkt,
nicht durch den Ausdruck eines aufgeregten Seelenlebens. Demgemäß hat denn
auch der Maler den eigentlichen Vorgang in der Composition mit einer Ein¬
fachheit behandelt, die an Armuth grenzt: und wenn uns bei Kaulbach die
beziehungsweise Fülle der Motive als ein Zuviel erschien, so ließe sich bei
Piloty wohl ein Zuwenig finden.

Aber dem Realismus, zu dem sich Piloty offen bekennt, kommt es nun
einmal auf Gedanken-Tiefe und Reichthum nicht an. Seine Aufgabe ist, die
Kunst von einer blassen und verschwommenen Idealität zu erlösen, sie in die
straffe, farbenglühende Wirklichkeit einzutauchen und ihr mit dem warmen Schein
die Frische und saftige Bestimmtheit des .wirklichen Lebens zu geben. Wir legen
keinen Nachdruck darauf, daß diese neueste Strömung der deutschen Kunst ihre
Quelle in nun schon vorübergegangenen französischen und belgischen Versuchen


wie ihm will: Dietz zeigt auch hier, wie schon früher, ein besonderes Geschick,
vergangenen Ereignissen durch die Beziehung auf gegenwärtige Ideen ein erhöh¬
tes Interesse zu geben und so in seiner Weise den „zeitgemäßen Inhalt", den
die Malerei sucht, zu erreichen. Mag's drum sein, wenn nun einmal dieser
nicht fehlen soll; obgleich dadurch die Kunst als solche in die zweite Linie ge¬
rückt wird. Allein hier ist doch die einschlagende Größe der weltgeschichtlichen
That allzusehr in's Kleine gezogen und die Umsetzung des heroischen Aufschwungs
in die enge Beschränktheit des kleinbürgerlichen Lebens hat doch zu Viel von
der weichen und flachen Moral Jffland'scher Rührscenen, als daß die Wucht
deo Momentes und seine nationale Bedeutung selbst in diesem bescheidenen
Rahmen zur Anschauung kommen könnten. Und darauf war es doch abgesehen.
Etwas von der Trockenheit und Schwere dieser Auffassung ist auch auf die
Figuren übergegangen, doch ist der Hintergrund, das malerische Schlachtgetüm-
mel, wie immer bei Dich, lebendig, bewegt und trägt den Stempel des künst¬
lerischen Talentes.

Trat in den verschiedenen Bildern, die wir bisher betrachtet haben, die
Frage nach dein Inhalt in den Vordergrund, so kommen wir nun zu einem
Gemälde, in dem offenbar die malerische Behandlung zur Hauptsache gemacht
ist: Piloty's Nero, der nach dem Brande Roms mit seinem Gefolge über die
Trümmer der Stadt hinschreitct. Der Stoff, der «geschichtliche Moment ist nicht
von einschneidender Bedeutung; von einer in den Gang der Dinge mächtig ein¬
greifenden That ist nicht die Rede. Das Motiv, der durch die verewigte Stadt
wandelnde Kaiser, sein Werk und das Elend der Christen, dessen Urheber er
ebenfalls ist, betrachtend, ist wohl geeignet, auf die Phantasie Eindruck zu
machen; aber hier ist nichts von der Heftigkeit aufgerüttelter Leidenschaften,
dem beißen Kampf feindlicher Gegensätze. Es ist im Grund eine ganz einfache
Situation, die nur durch den äußerlichen Contrast des prächtigen Imperators
und der Seinigen mit den Trümmerhaufen und den gemordeten Christen wirkt,
nicht durch den Ausdruck eines aufgeregten Seelenlebens. Demgemäß hat denn
auch der Maler den eigentlichen Vorgang in der Composition mit einer Ein¬
fachheit behandelt, die an Armuth grenzt: und wenn uns bei Kaulbach die
beziehungsweise Fülle der Motive als ein Zuviel erschien, so ließe sich bei
Piloty wohl ein Zuwenig finden.

Aber dem Realismus, zu dem sich Piloty offen bekennt, kommt es nun
einmal auf Gedanken-Tiefe und Reichthum nicht an. Seine Aufgabe ist, die
Kunst von einer blassen und verschwommenen Idealität zu erlösen, sie in die
straffe, farbenglühende Wirklichkeit einzutauchen und ihr mit dem warmen Schein
die Frische und saftige Bestimmtheit des .wirklichen Lebens zu geben. Wir legen
keinen Nachdruck darauf, daß diese neueste Strömung der deutschen Kunst ihre
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/182>, abgerufen am 08.01.2025.