Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.immer haben wir zu bedauern, daß sie grade solche Zustände, welche uns Dazu kommt ferner, daß die Zerstörung in jeder Landschaft sich in größeren immer haben wir zu bedauern, daß sie grade solche Zustände, welche uns Dazu kommt ferner, daß die Zerstörung in jeder Landschaft sich in größeren <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0152" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113932"/> <p xml:id="ID_413" prev="#ID_412"> immer haben wir zu bedauern, daß sie grade solche Zustände, welche uns<lb/> höchst auffällig erscheinen, als bekannt voraussetzen oder mit wenigen Worten ab¬<lb/> fertigen. Was das fremde Kriegsvolk verdorben hat, Schandthaten der Einzel¬<lb/> nen, das wird getreulich aufgezeichnet, für das größere langsame Leiden<lb/> der Verdienstlosen, Hungernden, Verzweifelnden fehlt die reichliche Schilderung.</p><lb/> <p xml:id="ID_414" next="#ID_415"> Dazu kommt ferner, daß die Zerstörung in jeder Landschaft sich in größeren<lb/> Pausen vollzog, welche als Zeiten verhältnißmäßiger Nuhe oder geträumter<lb/> Sicherheit verliefen, daß mehr als einmal Parteifiege, Waffenstillstand, Friedens-<lb/> projecte und Verträge die Hoffnung auf ein baldiges Ende des Krieges er¬<lb/> weckten. Zwar auf dem flachen Lande war seit den großen Seuchen und den<lb/> mörderischen Feldzügen Banner's das Elend so groß und allgemein geworden,<lb/> daß eine dumpfe Resignation auch bei den Stärkern. welche in ihrer Landschaft<lb/> aushielten, die gewöhnliche Stimmung war. Nach dem Prager Frieden werden<lb/> die Aufzeichnungen dör Dorfgeistlichen seltener und spärlicher, und die Verwil¬<lb/> derung des Landvolks hat kurz vor dem Jahre 1640 eine Höbe erreicht, welche,<lb/> soweit wir ein Urtheil darüber haben, das Landleben im mittlern Deutschland<lb/> sast in Auflösung zeigt. In den größeren Städten aber stand es um die Con-<lb/> tinuität des gesellschaftlichen Lebens doch besser. Auch dort hatte der Krieg<lb/> die Zadl der erwerbenden Bürger vielleicht um die Hälfte verringert, die Menge<lb/> der Flüchtlinge und hungernden Armen ins Bedrohliche vermehrt, aber dem<lb/> Handwerk und sogar den höhern technischen Fertigkeiten brachte der Krieg zu¬<lb/> weilen auch neue Erwerbsquellen, hier und da gesteigerten, wenn auch<lb/> ungesunden Verdienst. Etwa die Hälfte der Handwerker hatte jetzt für den<lb/> Krieg zu schaffen. Die Erpressungen, welche Befehlshaber und Verwaltungsbe¬<lb/> amte eines siegreichen Heeres übten, die schnelle und flüchtige Anhäufung gro¬<lb/> ßer Summen in einer Hand, Unsicherheit des Besitzes und Lebens, dieselben<lb/> Erscheinungen, welche einen rohen Luxus in Essen, Trinken und Kleidung be¬<lb/> förderten, kamen dem Arbeiter der Städte jahrelang zu Gute. Vielleicht<lb/> wurde eine neue Fabrik silberner und goldener Bordüren angelegt, mitten unter<lb/> abgebrannten Dörfern in, menschenarmer Landschaft; die Kupferstecher stachen das<lb/> Brustbild eines fremden Feldherrn vor ein historisches oder geographisches Werk<lb/> und suchten unter seinem Schutze die Versendung desselben nach solchen Gegenden<lb/> durchzusetzen, in denen grade die Heere nicht lagen. Wie zähe und dauerhaft der<lb/> Mensch in den Gewöhnungen eines alten und festgeformten Volkslebens hängt,<lb/> das ist grade aus Handel und Verkehr arger Zeit deutlich zu ersehen. Es befrem¬<lb/> det uns, wenn wir in den Zeitungen jener Jahre lesen, daß der Besuch der<lb/> Frankfurter Messe fast während des ganzen Krieges fortdauerte, daß in dieser<lb/> Stadt, welche während des Krieges Nürnberg und Augsburg an Bedeutung<lb/> übertraf, unaufhörlich bedeutende Summen umgesetzt wurden, und daß der kauf¬<lb/> männische Credit, das Vertrauen und die Ordnung der Geschäfte durch ganz</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0152]
immer haben wir zu bedauern, daß sie grade solche Zustände, welche uns
höchst auffällig erscheinen, als bekannt voraussetzen oder mit wenigen Worten ab¬
fertigen. Was das fremde Kriegsvolk verdorben hat, Schandthaten der Einzel¬
nen, das wird getreulich aufgezeichnet, für das größere langsame Leiden
der Verdienstlosen, Hungernden, Verzweifelnden fehlt die reichliche Schilderung.
Dazu kommt ferner, daß die Zerstörung in jeder Landschaft sich in größeren
Pausen vollzog, welche als Zeiten verhältnißmäßiger Nuhe oder geträumter
Sicherheit verliefen, daß mehr als einmal Parteifiege, Waffenstillstand, Friedens-
projecte und Verträge die Hoffnung auf ein baldiges Ende des Krieges er¬
weckten. Zwar auf dem flachen Lande war seit den großen Seuchen und den
mörderischen Feldzügen Banner's das Elend so groß und allgemein geworden,
daß eine dumpfe Resignation auch bei den Stärkern. welche in ihrer Landschaft
aushielten, die gewöhnliche Stimmung war. Nach dem Prager Frieden werden
die Aufzeichnungen dör Dorfgeistlichen seltener und spärlicher, und die Verwil¬
derung des Landvolks hat kurz vor dem Jahre 1640 eine Höbe erreicht, welche,
soweit wir ein Urtheil darüber haben, das Landleben im mittlern Deutschland
sast in Auflösung zeigt. In den größeren Städten aber stand es um die Con-
tinuität des gesellschaftlichen Lebens doch besser. Auch dort hatte der Krieg
die Zadl der erwerbenden Bürger vielleicht um die Hälfte verringert, die Menge
der Flüchtlinge und hungernden Armen ins Bedrohliche vermehrt, aber dem
Handwerk und sogar den höhern technischen Fertigkeiten brachte der Krieg zu¬
weilen auch neue Erwerbsquellen, hier und da gesteigerten, wenn auch
ungesunden Verdienst. Etwa die Hälfte der Handwerker hatte jetzt für den
Krieg zu schaffen. Die Erpressungen, welche Befehlshaber und Verwaltungsbe¬
amte eines siegreichen Heeres übten, die schnelle und flüchtige Anhäufung gro¬
ßer Summen in einer Hand, Unsicherheit des Besitzes und Lebens, dieselben
Erscheinungen, welche einen rohen Luxus in Essen, Trinken und Kleidung be¬
förderten, kamen dem Arbeiter der Städte jahrelang zu Gute. Vielleicht
wurde eine neue Fabrik silberner und goldener Bordüren angelegt, mitten unter
abgebrannten Dörfern in, menschenarmer Landschaft; die Kupferstecher stachen das
Brustbild eines fremden Feldherrn vor ein historisches oder geographisches Werk
und suchten unter seinem Schutze die Versendung desselben nach solchen Gegenden
durchzusetzen, in denen grade die Heere nicht lagen. Wie zähe und dauerhaft der
Mensch in den Gewöhnungen eines alten und festgeformten Volkslebens hängt,
das ist grade aus Handel und Verkehr arger Zeit deutlich zu ersehen. Es befrem¬
det uns, wenn wir in den Zeitungen jener Jahre lesen, daß der Besuch der
Frankfurter Messe fast während des ganzen Krieges fortdauerte, daß in dieser
Stadt, welche während des Krieges Nürnberg und Augsburg an Bedeutung
übertraf, unaufhörlich bedeutende Summen umgesetzt wurden, und daß der kauf¬
männische Credit, das Vertrauen und die Ordnung der Geschäfte durch ganz
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