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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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heilte den Stoff geliefert, und das Material hatte für die Bedürfnisse der
Druckerpresscn ausgereicht. Als die theologische und populäre Literatur nach
dem ersten Jahrzehnt der Reformation massenhaft anschwoll und zahllose kleine
Druckerstätten mit geringen Mitteln im Volke arbeiteten, reichten die Lumpen
der Deutschen nicht mehr aus, das Papier wurde theurer und sehr schlecht.
Auf solchem groben dünnen Stoff wurde noch die Kaiserwahl Ferdinands II.
dem unwilligen Volke verkündet und die böhmische Canzlei wiederholt gedruckt.
Aber im Lauf des Krieges schrumpfte die Tagesliteratur zusammen, die Auf¬
lagen der Werke wurden kleiner, viele Druckstätten waren zerstört, die Setzer
zerstreut, die Preßbengel lagen unter Kalkbrocken und zerschlagenem Fensterglas.
Der Bedarf an Lumpen wurde geringer, das Material war wieder in Massen
zu haben. So erzählt selbst das gute Papier, in welchem ein Theil der Frie-
densverhandlungen zu Münster und Osnabrück gedruckt worden find, von der
Armseligkeit des Volkes.

Auch das Jmponirende anderer Erscheinungen, in denen wir einen Fort¬
schritt begrüßen möchten, wandelt sich bei näherer Betrachtung in der Regel zu
einem Symptom des Verfalls. Leicht setzt das Behagen in Erstaunen, womit
der wackere Johann-Valentin Andreä inmitten des ungeheuren Kampfes sich mit
bescheidenen Mitteln seine kleine Kammer von Kunstsachen und Curiositäten
anlegte. Und wenn wir die Freude beobachten, womit er von den Ge¬
schenken spricht, welche ihm seine Gönner hineingestiftet haben, von einer schön
ausgelegten Laute, einem hübschen Ringe, so sind wir auf Augenblicke in einen
Kreis friedlicher Interessen versetzt, welcher uns unglaublich macht, daß der
Krieg so furchtbar in das Leben jedes Einzelnen eingeschnitten habe. Zuletzt freilich
ist auch diesem treuen Theologen seine Sammlung durch die Kriegsfurie zum
Theil verbrannt und geraubt worden. Und die ganze Neigung der Zeit, Kost¬
bares zu sammeln, ist in der Regel eine Folge des zerstörenden Krieges.
Ueberall war Wcrthvvlles, alter Familienschmuck, Kirchengcrcith, schöne Becher,
seltene Sparpfennige leicht und billig zu haben. Plünderung und Raub,
Wucher und Noth machten das Angebot nur zu häusig. Kein Wunder, daß
die Sammelfreude in Solche kam, welche noch in verhältnißmäßig geschützter
Lage lebten, in Gelehrte, Gutsherren, Obersten und Landesfürsten.

Es ist wahr, die Genußsucht wurde nach allen Richtungen größer, aber
neue Moden und Luxusbedürfnisse verbreiteten sich auch deshalb schnell über
das Land, weil die Menschen durcheinander geworfen wurden, wie nie zuvor,
weil Fremde von jeder Nation Europa's durch das Land fuhren, und weil die
Kriegsvögel sehr geneigt waren, in ausschweifendem Schmuck und kostbaren
Orgien die geraubten Schätze zu vergeuden. Grade der zunehmende Luxus
galt schon den Zeitgenossen für ein Symptom des Verfalls, jetzt mit größerem
Recht, als im 16. Jahrhundert.


heilte den Stoff geliefert, und das Material hatte für die Bedürfnisse der
Druckerpresscn ausgereicht. Als die theologische und populäre Literatur nach
dem ersten Jahrzehnt der Reformation massenhaft anschwoll und zahllose kleine
Druckerstätten mit geringen Mitteln im Volke arbeiteten, reichten die Lumpen
der Deutschen nicht mehr aus, das Papier wurde theurer und sehr schlecht.
Auf solchem groben dünnen Stoff wurde noch die Kaiserwahl Ferdinands II.
dem unwilligen Volke verkündet und die böhmische Canzlei wiederholt gedruckt.
Aber im Lauf des Krieges schrumpfte die Tagesliteratur zusammen, die Auf¬
lagen der Werke wurden kleiner, viele Druckstätten waren zerstört, die Setzer
zerstreut, die Preßbengel lagen unter Kalkbrocken und zerschlagenem Fensterglas.
Der Bedarf an Lumpen wurde geringer, das Material war wieder in Massen
zu haben. So erzählt selbst das gute Papier, in welchem ein Theil der Frie-
densverhandlungen zu Münster und Osnabrück gedruckt worden find, von der
Armseligkeit des Volkes.

Auch das Jmponirende anderer Erscheinungen, in denen wir einen Fort¬
schritt begrüßen möchten, wandelt sich bei näherer Betrachtung in der Regel zu
einem Symptom des Verfalls. Leicht setzt das Behagen in Erstaunen, womit
der wackere Johann-Valentin Andreä inmitten des ungeheuren Kampfes sich mit
bescheidenen Mitteln seine kleine Kammer von Kunstsachen und Curiositäten
anlegte. Und wenn wir die Freude beobachten, womit er von den Ge¬
schenken spricht, welche ihm seine Gönner hineingestiftet haben, von einer schön
ausgelegten Laute, einem hübschen Ringe, so sind wir auf Augenblicke in einen
Kreis friedlicher Interessen versetzt, welcher uns unglaublich macht, daß der
Krieg so furchtbar in das Leben jedes Einzelnen eingeschnitten habe. Zuletzt freilich
ist auch diesem treuen Theologen seine Sammlung durch die Kriegsfurie zum
Theil verbrannt und geraubt worden. Und die ganze Neigung der Zeit, Kost¬
bares zu sammeln, ist in der Regel eine Folge des zerstörenden Krieges.
Ueberall war Wcrthvvlles, alter Familienschmuck, Kirchengcrcith, schöne Becher,
seltene Sparpfennige leicht und billig zu haben. Plünderung und Raub,
Wucher und Noth machten das Angebot nur zu häusig. Kein Wunder, daß
die Sammelfreude in Solche kam, welche noch in verhältnißmäßig geschützter
Lage lebten, in Gelehrte, Gutsherren, Obersten und Landesfürsten.

Es ist wahr, die Genußsucht wurde nach allen Richtungen größer, aber
neue Moden und Luxusbedürfnisse verbreiteten sich auch deshalb schnell über
das Land, weil die Menschen durcheinander geworfen wurden, wie nie zuvor,
weil Fremde von jeder Nation Europa's durch das Land fuhren, und weil die
Kriegsvögel sehr geneigt waren, in ausschweifendem Schmuck und kostbaren
Orgien die geraubten Schätze zu vergeuden. Grade der zunehmende Luxus
galt schon den Zeitgenossen für ein Symptom des Verfalls, jetzt mit größerem
Recht, als im 16. Jahrhundert.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/150>, abgerufen am 08.01.2025.