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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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dieser Gelegenheit noch die Vorstände der kleineren jakobitischen Secten, den
syrischen Bischof und die Churis der Kopten und Abyssinier mit brennenden
Kerzen, Schon sahen wir den bräunlichen Aegypter, einen Mann, der den
Faunentypus seiner Race in der Vollendung darstellte, herbeieilen, um seiner dem
Marmorgrabe ihres Sohnes angeklebten lackirten Gottesmutter im Bretter¬
verschläge und dann seinem grinsenden Volke Licht zu geben. Würdevoller
verfuhr unser Bischof Abd-en-Nur unter den Seinigen, denn jede Nation
nimmt nur von ihrer eignen Geistlichkeit ihr Feuer. Es ist dies eine allge-
meine Regel; wer davon abweicht, wird als Abtrünniger, resp. Proselyten-
macher betrachtet und mag sich in Acht nehmen! Ein Fall der Me ereignete
sich in dem Südostraume der Rotunde, wo ein armenischer Wartabed russischen
Pilgern seine brennende Kerze bot. Zum Glück hinderte hier die dazwischen¬
liegende Kapelle unsre Blicke, die Nerven meiner zarten Nachbarin würden da¬
bei gelitten haben. Denn Augenzeugen erzählten, wie sofort ein glaubenseifriger
griechischer Mönch sich auf den Frevler warf, und wie ein so hitziger Kampf
entbrannte, daß man beider Bärte schon verloren gab, als türkische Soldaten
die confessionellen Kämpen trennten und ihnen die eisgraue Zier des Kinns
retteten.

Doch ich kehre zu meiner Beschreibung zurück. Was ich hier in vielen
Worten von den Ereignissen seit dem ersten Erscheinen des Wunders ausein¬
andergesetzt, geschah fast gleichzeitig oder in dem Raume weniger Minuten.
Mit unglaublicher Geschwindigkeit verbreitete sich das Feuer durch die weite
Kirche. An seinen Seiten wurden die Lampions bis zu der Gallerie unter
der hohen Kuppel hinaufgezogen, je weiter nach unten, um so zahlreicher
schmückten alle Wände sich mit Lichtern, in jedem Winkel, so weit das Auge
spähen konnte, glänzte es von ihnen. Zu diesem stillen Prunk in schroffem
Gegensatze standen die brennenden Kerzen der Pilger. Es werden diese aus
einer Mischung von Harz und Wachs mit verhältnißmäßig starkem Docht be¬
sonders für diesen Tag in großer Menge bereitet und außerhalb der Kirche feil
geboten; sie sind billig, aber dafür legt die Sitte jedem Einzelnen die Ver¬
pflichtung auf, mindestens ein halbes Dutzend zusammen zu kaufen. In der
Hitze des Gedränges wird dies Bündel zu einer Art grober Wachsfackel, welche
eine gewaltige röthliche Flamme gibt und dabei einen entsetzlichen Qualm ent¬
sendet. Nun denke man sich einige Tausende von Menschen, in so engem
Raume zusammengepreßt, Jeden eine solche Fackel schwingend, Jeden in aufge¬
regtester Stimmung sich so vie,l Bewegung machend und so laut schreiend wie
nur immer möglich. Manche auch übermüthige Späße mit der heiligen Flamme
an den Kleidungsstücken der Nachbarn sich erlaubend. Man denke sich diese roth¬
glühenden, im Eiser des Singens, Jubelns, Zürnens, Lachens verzerrten Ge¬
sichter, darüber die rothen Feß, die weißen Mützchen, oder auch die entblößten


Grenzboten II. 1S62. 13

dieser Gelegenheit noch die Vorstände der kleineren jakobitischen Secten, den
syrischen Bischof und die Churis der Kopten und Abyssinier mit brennenden
Kerzen, Schon sahen wir den bräunlichen Aegypter, einen Mann, der den
Faunentypus seiner Race in der Vollendung darstellte, herbeieilen, um seiner dem
Marmorgrabe ihres Sohnes angeklebten lackirten Gottesmutter im Bretter¬
verschläge und dann seinem grinsenden Volke Licht zu geben. Würdevoller
verfuhr unser Bischof Abd-en-Nur unter den Seinigen, denn jede Nation
nimmt nur von ihrer eignen Geistlichkeit ihr Feuer. Es ist dies eine allge-
meine Regel; wer davon abweicht, wird als Abtrünniger, resp. Proselyten-
macher betrachtet und mag sich in Acht nehmen! Ein Fall der Me ereignete
sich in dem Südostraume der Rotunde, wo ein armenischer Wartabed russischen
Pilgern seine brennende Kerze bot. Zum Glück hinderte hier die dazwischen¬
liegende Kapelle unsre Blicke, die Nerven meiner zarten Nachbarin würden da¬
bei gelitten haben. Denn Augenzeugen erzählten, wie sofort ein glaubenseifriger
griechischer Mönch sich auf den Frevler warf, und wie ein so hitziger Kampf
entbrannte, daß man beider Bärte schon verloren gab, als türkische Soldaten
die confessionellen Kämpen trennten und ihnen die eisgraue Zier des Kinns
retteten.

Doch ich kehre zu meiner Beschreibung zurück. Was ich hier in vielen
Worten von den Ereignissen seit dem ersten Erscheinen des Wunders ausein¬
andergesetzt, geschah fast gleichzeitig oder in dem Raume weniger Minuten.
Mit unglaublicher Geschwindigkeit verbreitete sich das Feuer durch die weite
Kirche. An seinen Seiten wurden die Lampions bis zu der Gallerie unter
der hohen Kuppel hinaufgezogen, je weiter nach unten, um so zahlreicher
schmückten alle Wände sich mit Lichtern, in jedem Winkel, so weit das Auge
spähen konnte, glänzte es von ihnen. Zu diesem stillen Prunk in schroffem
Gegensatze standen die brennenden Kerzen der Pilger. Es werden diese aus
einer Mischung von Harz und Wachs mit verhältnißmäßig starkem Docht be¬
sonders für diesen Tag in großer Menge bereitet und außerhalb der Kirche feil
geboten; sie sind billig, aber dafür legt die Sitte jedem Einzelnen die Ver¬
pflichtung auf, mindestens ein halbes Dutzend zusammen zu kaufen. In der
Hitze des Gedränges wird dies Bündel zu einer Art grober Wachsfackel, welche
eine gewaltige röthliche Flamme gibt und dabei einen entsetzlichen Qualm ent¬
sendet. Nun denke man sich einige Tausende von Menschen, in so engem
Raume zusammengepreßt, Jeden eine solche Fackel schwingend, Jeden in aufge¬
regtester Stimmung sich so vie,l Bewegung machend und so laut schreiend wie
nur immer möglich. Manche auch übermüthige Späße mit der heiligen Flamme
an den Kleidungsstücken der Nachbarn sich erlaubend. Man denke sich diese roth¬
glühenden, im Eiser des Singens, Jubelns, Zürnens, Lachens verzerrten Ge¬
sichter, darüber die rothen Feß, die weißen Mützchen, oder auch die entblößten


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[0145] dieser Gelegenheit noch die Vorstände der kleineren jakobitischen Secten, den syrischen Bischof und die Churis der Kopten und Abyssinier mit brennenden Kerzen, Schon sahen wir den bräunlichen Aegypter, einen Mann, der den Faunentypus seiner Race in der Vollendung darstellte, herbeieilen, um seiner dem Marmorgrabe ihres Sohnes angeklebten lackirten Gottesmutter im Bretter¬ verschläge und dann seinem grinsenden Volke Licht zu geben. Würdevoller verfuhr unser Bischof Abd-en-Nur unter den Seinigen, denn jede Nation nimmt nur von ihrer eignen Geistlichkeit ihr Feuer. Es ist dies eine allge- meine Regel; wer davon abweicht, wird als Abtrünniger, resp. Proselyten- macher betrachtet und mag sich in Acht nehmen! Ein Fall der Me ereignete sich in dem Südostraume der Rotunde, wo ein armenischer Wartabed russischen Pilgern seine brennende Kerze bot. Zum Glück hinderte hier die dazwischen¬ liegende Kapelle unsre Blicke, die Nerven meiner zarten Nachbarin würden da¬ bei gelitten haben. Denn Augenzeugen erzählten, wie sofort ein glaubenseifriger griechischer Mönch sich auf den Frevler warf, und wie ein so hitziger Kampf entbrannte, daß man beider Bärte schon verloren gab, als türkische Soldaten die confessionellen Kämpen trennten und ihnen die eisgraue Zier des Kinns retteten. Doch ich kehre zu meiner Beschreibung zurück. Was ich hier in vielen Worten von den Ereignissen seit dem ersten Erscheinen des Wunders ausein¬ andergesetzt, geschah fast gleichzeitig oder in dem Raume weniger Minuten. Mit unglaublicher Geschwindigkeit verbreitete sich das Feuer durch die weite Kirche. An seinen Seiten wurden die Lampions bis zu der Gallerie unter der hohen Kuppel hinaufgezogen, je weiter nach unten, um so zahlreicher schmückten alle Wände sich mit Lichtern, in jedem Winkel, so weit das Auge spähen konnte, glänzte es von ihnen. Zu diesem stillen Prunk in schroffem Gegensatze standen die brennenden Kerzen der Pilger. Es werden diese aus einer Mischung von Harz und Wachs mit verhältnißmäßig starkem Docht be¬ sonders für diesen Tag in großer Menge bereitet und außerhalb der Kirche feil geboten; sie sind billig, aber dafür legt die Sitte jedem Einzelnen die Ver¬ pflichtung auf, mindestens ein halbes Dutzend zusammen zu kaufen. In der Hitze des Gedränges wird dies Bündel zu einer Art grober Wachsfackel, welche eine gewaltige röthliche Flamme gibt und dabei einen entsetzlichen Qualm ent¬ sendet. Nun denke man sich einige Tausende von Menschen, in so engem Raume zusammengepreßt, Jeden eine solche Fackel schwingend, Jeden in aufge¬ regtester Stimmung sich so vie,l Bewegung machend und so laut schreiend wie nur immer möglich. Manche auch übermüthige Späße mit der heiligen Flamme an den Kleidungsstücken der Nachbarn sich erlaubend. Man denke sich diese roth¬ glühenden, im Eiser des Singens, Jubelns, Zürnens, Lachens verzerrten Ge¬ sichter, darüber die rothen Feß, die weißen Mützchen, oder auch die entblößten Grenzboten II. 1S62. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/145>, abgerufen am 08.01.2025.