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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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und nur mit wüthenden Drohungen und Hieben gelang es den Ordnung hal¬
tenden ecclesiastischen Zorngeistcrn wenigstens während der abermaligen Gegen¬
wart des Erzbischofs ein bescheidenes Maaß des Anstandes zu erwirken. Jetzt
aber, nachdem derselbe in das heilige Grab eingetreten, wurde jede wettere
Maaßregelung für überflüssig gehalten. Sollte doch nunmehr aus den beiden
ovalen Fensteröffnungen des Heiligthums das crbetete Feuer zum Vorschein
kommen; wer konnte es da den Wallbrüdern verdenken, sich einen Platz an
der Quelle erobern zu wollen, um wo möglich ihre Kerze an der Wunderflamme
selbst zu entzünden! Vor dem Tumulte, der nunmehr entstand, zog sich also
die geistliche Polizei zurück, und auch das Militär trat respectvoll zur Seite.

Die besagten Fensteröffnungen sind in der Nord- und Südwand der Vor¬
halle des heil. Grabes angebracht, in deren Mitte ein fußhoher Marmorstein
für den Sitz der Engel gilt, welche zu den heiligen Marien sprachen: "Was
suchet ihr den Lebendigen bei den Todten?" Ob die unter Schloß und Siegel
eingesperrten Kirchenfürsten hier oder in der Grabkammer des Erlösers selbst
lebendiges Feuer aus todtem Mineral locken, kann ich nicht sagen. Ebenso
wenig weiß ich. wie sie es machen. Nur wage ich zu behaupten, daß ein vor
10 Jahren zum Protestantismus übergetretener Priester, welcher angab, der Bi¬
schof tauche seine Hände in eine Phosphorauflösung und bringe durch An¬
einanderreihn derselben unter eifrigen Gebeten die Flammen hervor, ebenso
wenig in das Geheimniß eingeweiht war, wie ich selbst. Nur für die aber¬
malige, schmerzlich empfundene Zögerung besitze ich eine ausreichende Erklärung,
welche die Hirte" der betheiligten Bekenntnisse ihren störrigen Böcken nicht
aufhören zu Gemüthe zu führen. "Um wi^ir-UIcum!" wegen eurer Sünden,
von denen ihr euch nicht zur Genüge durch Spenden jener elenden Metalle, an
welchen euer Herz hängt, reingewaschen! -- schnöde Habsucht, sollte etwa der
Eiser um die heilige Lichtflamme sie aufwiegen?" Hinsichtlich dieses Eifers war
der Versammlung Nichts vorzuwerfen, wenn auch der Eine und der Andre über
sein Ziel hinausschoß, indem er um sich zur Quelle Bahn zu brechen das als
Hiebwaffe, gebrauchte Kerzenbündel aus dem Occiput eines Mitpilgers zer¬
bröckelte. Kein abschreckendes Exempel wurde statuirt. um diesem sich vielfach
wiederholenden Unfug steuern, die Geistlichen, wie schon angedeutet, billigten
vielmehr den Skandal als das sicherste Mittel, ihre Gläubigen vor der Pest
rationalistischer. Grübeleien zu behüten.

Es mochten, seit die Prälaten sich in das Innere des Heiligthums bege-
ben, etwa 2U Minuten verflossen sein, und diese Zeit hatte sich in ihrem Ein¬
druck auf pie angespannt Harrenden mindestens vervierfacht. Bei mir war auf
die Anspannung sogar schon eine Abspannung gefolgt, und ich wurde überrascht,
als ein lautes Ah! meiner Nachbarin mir das endliche Erscheinen des Wun¬
ders verkündigte. Meine Augen eilten nach der Oeffnung in der Kapellen-


und nur mit wüthenden Drohungen und Hieben gelang es den Ordnung hal¬
tenden ecclesiastischen Zorngeistcrn wenigstens während der abermaligen Gegen¬
wart des Erzbischofs ein bescheidenes Maaß des Anstandes zu erwirken. Jetzt
aber, nachdem derselbe in das heilige Grab eingetreten, wurde jede wettere
Maaßregelung für überflüssig gehalten. Sollte doch nunmehr aus den beiden
ovalen Fensteröffnungen des Heiligthums das crbetete Feuer zum Vorschein
kommen; wer konnte es da den Wallbrüdern verdenken, sich einen Platz an
der Quelle erobern zu wollen, um wo möglich ihre Kerze an der Wunderflamme
selbst zu entzünden! Vor dem Tumulte, der nunmehr entstand, zog sich also
die geistliche Polizei zurück, und auch das Militär trat respectvoll zur Seite.

Die besagten Fensteröffnungen sind in der Nord- und Südwand der Vor¬
halle des heil. Grabes angebracht, in deren Mitte ein fußhoher Marmorstein
für den Sitz der Engel gilt, welche zu den heiligen Marien sprachen: „Was
suchet ihr den Lebendigen bei den Todten?" Ob die unter Schloß und Siegel
eingesperrten Kirchenfürsten hier oder in der Grabkammer des Erlösers selbst
lebendiges Feuer aus todtem Mineral locken, kann ich nicht sagen. Ebenso
wenig weiß ich. wie sie es machen. Nur wage ich zu behaupten, daß ein vor
10 Jahren zum Protestantismus übergetretener Priester, welcher angab, der Bi¬
schof tauche seine Hände in eine Phosphorauflösung und bringe durch An¬
einanderreihn derselben unter eifrigen Gebeten die Flammen hervor, ebenso
wenig in das Geheimniß eingeweiht war, wie ich selbst. Nur für die aber¬
malige, schmerzlich empfundene Zögerung besitze ich eine ausreichende Erklärung,
welche die Hirte» der betheiligten Bekenntnisse ihren störrigen Böcken nicht
aufhören zu Gemüthe zu führen. „Um wi^ir-UIcum!" wegen eurer Sünden,
von denen ihr euch nicht zur Genüge durch Spenden jener elenden Metalle, an
welchen euer Herz hängt, reingewaschen! — schnöde Habsucht, sollte etwa der
Eiser um die heilige Lichtflamme sie aufwiegen?" Hinsichtlich dieses Eifers war
der Versammlung Nichts vorzuwerfen, wenn auch der Eine und der Andre über
sein Ziel hinausschoß, indem er um sich zur Quelle Bahn zu brechen das als
Hiebwaffe, gebrauchte Kerzenbündel aus dem Occiput eines Mitpilgers zer¬
bröckelte. Kein abschreckendes Exempel wurde statuirt. um diesem sich vielfach
wiederholenden Unfug steuern, die Geistlichen, wie schon angedeutet, billigten
vielmehr den Skandal als das sicherste Mittel, ihre Gläubigen vor der Pest
rationalistischer. Grübeleien zu behüten.

Es mochten, seit die Prälaten sich in das Innere des Heiligthums bege-
ben, etwa 2U Minuten verflossen sein, und diese Zeit hatte sich in ihrem Ein¬
druck auf pie angespannt Harrenden mindestens vervierfacht. Bei mir war auf
die Anspannung sogar schon eine Abspannung gefolgt, und ich wurde überrascht,
als ein lautes Ah! meiner Nachbarin mir das endliche Erscheinen des Wun¬
ders verkündigte. Meine Augen eilten nach der Oeffnung in der Kapellen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/143>, abgerufen am 08.01.2025.