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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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tes verkannt zu werden, dazu aber schwarze, buschige Brauen, die ein Paar
große, dunkelglänzende und noch jugendlich leidenschaftliche Augen beschatten,
endlich in der Farbe der Stirn noch Spuren der kräftigen Töne, welche die
südliche Sonne einst dem Knaben einbrannte, als er noch auf den cyprischen
Bergen die väterlichen Ziegen hütete, während die untern Theile des Gesichts
bereits den rosigen Teint angenommen haben/ durch welchen die Natur das hohe
Greisenalter auch im Aeußern wieder der frühen Kindheit näher bringt, So
schritt er daher, die rechte Hand mit zusammengelegten Daumen- Zeige- und
Mittelfinger sanft zum Segen erhoben, während die linke den kostbar aus Elfen¬
bein und Ebenholz geschnitzten Bischofsstab führte, die ganze Erscheinung > ge¬
hoben durch die kleidsame Tracht, die strahlende Tiara, das Meßgewand von
weißem Brokat mit eingewobenen Goldarbeiten, die schwer in Silber auf weiße
Seide gestickte Stola, deren auseinander geschlagene Zipfel von zu beiden Sei¬
ten gehenden jungen Priestern getragen wurden. Er ging an uns vorüber und
verlor sich mit seinem Gefolge von Kcmdelaften, Diakonen und Archimandriten
unter den zu unsrer Rechten aufgestellten Kopten und Abyssiniern, die ihn mit
minder ehrerbietiger Betreuzigung empfingen als seine Orthodoxen, während
die der Procession voraufgetragenen Bilder schon wieder von links her uns
nahe kamen. Dreimal umkreiste so der Zug die Grabkapelle; dann nahmen
die Bilder ihren Weg zurück in die Chorkirche.

Aus dem erhöhten Mosaikpflaster zwischen dieser und dem Eingange des
heiligen Grabes aber hielten die Geistlichen der Procession inne, und nun be¬
gann eine Function, die ich, da die sich vordrängende Menge mir den freien
Blick entzog, nicht so in ihren Einzelheiten sehen konnte, wie ich wohl gemocht
hätte. Dem Erzbischof wurde dort unter lauten Gesängen der kirchliche Prunk,
ein Stück nach dem andern, abgenommen, bis der alte Mann lediglich mit
einem weißen, auf die Hacken nicderwallenden Talar bekleidet dastand. Gleich¬
zeitig bahnte sich von der feindlichen Empore her eine armenische Procession
durch das Pilgcrgewühl ihren Weg gegen die Grabkapelle, um einen Bischof
auch ihrer Konfession hinzugelciten, der dann ebenfalls seiner Feiergewänder
entkleidet wurde. So traten dann beide Prälaten in das heilige Grab, dessen
Thüre verschlossen und in Erinnerung an den Schließstein des Felsengrabes
Josephs von Arimathia feierlich versiegelt ward.

Es ließ sich nicht erwarten, daß die Ruhe, mit der die harrende Gemeinde
die Procession empfing, bis zu deren Ende andauern würde. Schmerzlich empfand
es Mancher, wegen des Gedränges in nächster Nähe des Gottesmannes kein
Kreuz schlagen zu können, und kaum war derselbe das erste Mal vorüber, so
entstand unter Fluchen und Verwünschungen ein Schieben und Stoßen, welches
die Besitzverhältnisse nicht unbeträchtlich veränderte. Angeregt durch den Lärm
fingen dann Andere wieder aus allen Registern ihr "Hada daher" zu intoniren an,


tes verkannt zu werden, dazu aber schwarze, buschige Brauen, die ein Paar
große, dunkelglänzende und noch jugendlich leidenschaftliche Augen beschatten,
endlich in der Farbe der Stirn noch Spuren der kräftigen Töne, welche die
südliche Sonne einst dem Knaben einbrannte, als er noch auf den cyprischen
Bergen die väterlichen Ziegen hütete, während die untern Theile des Gesichts
bereits den rosigen Teint angenommen haben/ durch welchen die Natur das hohe
Greisenalter auch im Aeußern wieder der frühen Kindheit näher bringt, So
schritt er daher, die rechte Hand mit zusammengelegten Daumen- Zeige- und
Mittelfinger sanft zum Segen erhoben, während die linke den kostbar aus Elfen¬
bein und Ebenholz geschnitzten Bischofsstab führte, die ganze Erscheinung > ge¬
hoben durch die kleidsame Tracht, die strahlende Tiara, das Meßgewand von
weißem Brokat mit eingewobenen Goldarbeiten, die schwer in Silber auf weiße
Seide gestickte Stola, deren auseinander geschlagene Zipfel von zu beiden Sei¬
ten gehenden jungen Priestern getragen wurden. Er ging an uns vorüber und
verlor sich mit seinem Gefolge von Kcmdelaften, Diakonen und Archimandriten
unter den zu unsrer Rechten aufgestellten Kopten und Abyssiniern, die ihn mit
minder ehrerbietiger Betreuzigung empfingen als seine Orthodoxen, während
die der Procession voraufgetragenen Bilder schon wieder von links her uns
nahe kamen. Dreimal umkreiste so der Zug die Grabkapelle; dann nahmen
die Bilder ihren Weg zurück in die Chorkirche.

Aus dem erhöhten Mosaikpflaster zwischen dieser und dem Eingange des
heiligen Grabes aber hielten die Geistlichen der Procession inne, und nun be¬
gann eine Function, die ich, da die sich vordrängende Menge mir den freien
Blick entzog, nicht so in ihren Einzelheiten sehen konnte, wie ich wohl gemocht
hätte. Dem Erzbischof wurde dort unter lauten Gesängen der kirchliche Prunk,
ein Stück nach dem andern, abgenommen, bis der alte Mann lediglich mit
einem weißen, auf die Hacken nicderwallenden Talar bekleidet dastand. Gleich¬
zeitig bahnte sich von der feindlichen Empore her eine armenische Procession
durch das Pilgcrgewühl ihren Weg gegen die Grabkapelle, um einen Bischof
auch ihrer Konfession hinzugelciten, der dann ebenfalls seiner Feiergewänder
entkleidet wurde. So traten dann beide Prälaten in das heilige Grab, dessen
Thüre verschlossen und in Erinnerung an den Schließstein des Felsengrabes
Josephs von Arimathia feierlich versiegelt ward.

Es ließ sich nicht erwarten, daß die Ruhe, mit der die harrende Gemeinde
die Procession empfing, bis zu deren Ende andauern würde. Schmerzlich empfand
es Mancher, wegen des Gedränges in nächster Nähe des Gottesmannes kein
Kreuz schlagen zu können, und kaum war derselbe das erste Mal vorüber, so
entstand unter Fluchen und Verwünschungen ein Schieben und Stoßen, welches
die Besitzverhältnisse nicht unbeträchtlich veränderte. Angeregt durch den Lärm
fingen dann Andere wieder aus allen Registern ihr „Hada daher" zu intoniren an,


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[0142] tes verkannt zu werden, dazu aber schwarze, buschige Brauen, die ein Paar große, dunkelglänzende und noch jugendlich leidenschaftliche Augen beschatten, endlich in der Farbe der Stirn noch Spuren der kräftigen Töne, welche die südliche Sonne einst dem Knaben einbrannte, als er noch auf den cyprischen Bergen die väterlichen Ziegen hütete, während die untern Theile des Gesichts bereits den rosigen Teint angenommen haben/ durch welchen die Natur das hohe Greisenalter auch im Aeußern wieder der frühen Kindheit näher bringt, So schritt er daher, die rechte Hand mit zusammengelegten Daumen- Zeige- und Mittelfinger sanft zum Segen erhoben, während die linke den kostbar aus Elfen¬ bein und Ebenholz geschnitzten Bischofsstab führte, die ganze Erscheinung > ge¬ hoben durch die kleidsame Tracht, die strahlende Tiara, das Meßgewand von weißem Brokat mit eingewobenen Goldarbeiten, die schwer in Silber auf weiße Seide gestickte Stola, deren auseinander geschlagene Zipfel von zu beiden Sei¬ ten gehenden jungen Priestern getragen wurden. Er ging an uns vorüber und verlor sich mit seinem Gefolge von Kcmdelaften, Diakonen und Archimandriten unter den zu unsrer Rechten aufgestellten Kopten und Abyssiniern, die ihn mit minder ehrerbietiger Betreuzigung empfingen als seine Orthodoxen, während die der Procession voraufgetragenen Bilder schon wieder von links her uns nahe kamen. Dreimal umkreiste so der Zug die Grabkapelle; dann nahmen die Bilder ihren Weg zurück in die Chorkirche. Aus dem erhöhten Mosaikpflaster zwischen dieser und dem Eingange des heiligen Grabes aber hielten die Geistlichen der Procession inne, und nun be¬ gann eine Function, die ich, da die sich vordrängende Menge mir den freien Blick entzog, nicht so in ihren Einzelheiten sehen konnte, wie ich wohl gemocht hätte. Dem Erzbischof wurde dort unter lauten Gesängen der kirchliche Prunk, ein Stück nach dem andern, abgenommen, bis der alte Mann lediglich mit einem weißen, auf die Hacken nicderwallenden Talar bekleidet dastand. Gleich¬ zeitig bahnte sich von der feindlichen Empore her eine armenische Procession durch das Pilgcrgewühl ihren Weg gegen die Grabkapelle, um einen Bischof auch ihrer Konfession hinzugelciten, der dann ebenfalls seiner Feiergewänder entkleidet wurde. So traten dann beide Prälaten in das heilige Grab, dessen Thüre verschlossen und in Erinnerung an den Schließstein des Felsengrabes Josephs von Arimathia feierlich versiegelt ward. Es ließ sich nicht erwarten, daß die Ruhe, mit der die harrende Gemeinde die Procession empfing, bis zu deren Ende andauern würde. Schmerzlich empfand es Mancher, wegen des Gedränges in nächster Nähe des Gottesmannes kein Kreuz schlagen zu können, und kaum war derselbe das erste Mal vorüber, so entstand unter Fluchen und Verwünschungen ein Schieben und Stoßen, welches die Besitzverhältnisse nicht unbeträchtlich veränderte. Angeregt durch den Lärm fingen dann Andere wieder aus allen Registern ihr „Hada daher" zu intoniren an,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/142>, abgerufen am 08.01.2025.