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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Stäben erschienen, um Nuhe und Ordnung herzustellen. Je milder die türki¬
schen Soldaten verfahren hatten -- ich bemerkte sogar, daß sie hie und da den
sich zu abentheuerlichen Kunststücken vorbereitenden jungen Leuten die Kerzen
hielten -- um so strenger war, diese geistliche Polizei. Es sah fast gefährlich
aus, wie die wuchtenden Hiebe so schlank auf die einzig erreichbaren Körper¬
theile des gedrängten Haufens, die Schädel, niederfielen. Doch wußten diese
Orbilier. daß sie es nicht mit Schwächlingen zu thun hatten. Die Repressiv-
Maßregel galt übrigens weniger den Phonetischen als den akrobatischen Freu¬
denbezeugungen der Menge, welche letztere hin und wieder in den Soldaten¬
reihen kleine Unordnungen hervorbrachten und daher der Procession hätten
hinderlich sein können.

Ein näselnder Gesang, dessen gehaltene Töne sich von der griechischen Ka¬
pelle her mitten durch das Geschrei vernehmen ließen, verkündigte diese schon;
da sich aber diese liturgischen Uebungen der orthodoxen Kirche vor allen andern
durch Gedehntheit auszeichnen, so wäre solche Eile für den heiligen Zug Platz
zu machen, nicht nöthig gewesen. Endlich erschien über den Häuptern der
Menge, mit verdoppeltem Toben begrüßt, eine Kirchenstandarte, ein an hoher
Stange getragenes Oelbild, in verwegener Zeichnung und grellen Farben eine
Scene der Passion darstellend; auf die erste folgte bald eine zweite, dann eine
dritte, dann in längeren Zwischenräumen noch drei andere. Langsam bewegten
die schimmernden Goldaureolen der gemalten Heiligen sich in der ungläubigen
Kriegcrgasse vorwärts, und es dauerte eine geraume Zeit, bis ihre Träger, in
dem nördlichen Raume der Rotunde angelangt, uns sichtbar wurden. Es waren
dies Laien, anatolische Pilger, in der trivialen Tracht städtischer Gemüsehändler,
welche sich das Ehrenamt durch ein schweres Stück Geld von der Priesterschaft
erkauft hatten. Sie gingen mit ehrfürchtig entblößten Häuptern; die vorzüg¬
lichste Zier des MvrgenlSnders, der Turban, fehlte ihnen also, und dieser
Mangel wurde keineswegs durch die wirren Haarstränge wieder gut gemacht,
welche der Barbier beim Rasiren der Köpfe auf dem Oberschabel hatte stehn lassen.

"Wie würdelos!" rief die Amerikanerin aus, und sie hatte Recht, denn
der Orientale imponirt nur in seiner vollen Tracht, und namentlich darf ihm
der dem Gesichte seine Bedeutsamkeit verleihende Kopfschmuck nicht fehlen. Die
Sonne schien durch die Oeffnung der Kuppel heiß auf die gläubigen Lastthiere
herunter, während sie vor unserm Hochsitze Halt machten und trotz der rinnen¬
den Schweißtropfen in ihren Mienen eine Zuversicht verriethen, als ob sie im
Begriff wären, dem Heiland der Welt den Dienst des Cyrenäischen Simon
zu leisten.

Vielleicht hatten sie eine Niertelstunde lang an dieser Stelle alle Unan¬
nehmlichkeiten ihrer Würde genossen, als der lauter werdende Gesang die An¬
näherung der Procession verkündigte. Nunmehr verstummte das muthwillige


Stäben erschienen, um Nuhe und Ordnung herzustellen. Je milder die türki¬
schen Soldaten verfahren hatten — ich bemerkte sogar, daß sie hie und da den
sich zu abentheuerlichen Kunststücken vorbereitenden jungen Leuten die Kerzen
hielten — um so strenger war, diese geistliche Polizei. Es sah fast gefährlich
aus, wie die wuchtenden Hiebe so schlank auf die einzig erreichbaren Körper¬
theile des gedrängten Haufens, die Schädel, niederfielen. Doch wußten diese
Orbilier. daß sie es nicht mit Schwächlingen zu thun hatten. Die Repressiv-
Maßregel galt übrigens weniger den Phonetischen als den akrobatischen Freu¬
denbezeugungen der Menge, welche letztere hin und wieder in den Soldaten¬
reihen kleine Unordnungen hervorbrachten und daher der Procession hätten
hinderlich sein können.

Ein näselnder Gesang, dessen gehaltene Töne sich von der griechischen Ka¬
pelle her mitten durch das Geschrei vernehmen ließen, verkündigte diese schon;
da sich aber diese liturgischen Uebungen der orthodoxen Kirche vor allen andern
durch Gedehntheit auszeichnen, so wäre solche Eile für den heiligen Zug Platz
zu machen, nicht nöthig gewesen. Endlich erschien über den Häuptern der
Menge, mit verdoppeltem Toben begrüßt, eine Kirchenstandarte, ein an hoher
Stange getragenes Oelbild, in verwegener Zeichnung und grellen Farben eine
Scene der Passion darstellend; auf die erste folgte bald eine zweite, dann eine
dritte, dann in längeren Zwischenräumen noch drei andere. Langsam bewegten
die schimmernden Goldaureolen der gemalten Heiligen sich in der ungläubigen
Kriegcrgasse vorwärts, und es dauerte eine geraume Zeit, bis ihre Träger, in
dem nördlichen Raume der Rotunde angelangt, uns sichtbar wurden. Es waren
dies Laien, anatolische Pilger, in der trivialen Tracht städtischer Gemüsehändler,
welche sich das Ehrenamt durch ein schweres Stück Geld von der Priesterschaft
erkauft hatten. Sie gingen mit ehrfürchtig entblößten Häuptern; die vorzüg¬
lichste Zier des MvrgenlSnders, der Turban, fehlte ihnen also, und dieser
Mangel wurde keineswegs durch die wirren Haarstränge wieder gut gemacht,
welche der Barbier beim Rasiren der Köpfe auf dem Oberschabel hatte stehn lassen.

„Wie würdelos!" rief die Amerikanerin aus, und sie hatte Recht, denn
der Orientale imponirt nur in seiner vollen Tracht, und namentlich darf ihm
der dem Gesichte seine Bedeutsamkeit verleihende Kopfschmuck nicht fehlen. Die
Sonne schien durch die Oeffnung der Kuppel heiß auf die gläubigen Lastthiere
herunter, während sie vor unserm Hochsitze Halt machten und trotz der rinnen¬
den Schweißtropfen in ihren Mienen eine Zuversicht verriethen, als ob sie im
Begriff wären, dem Heiland der Welt den Dienst des Cyrenäischen Simon
zu leisten.

Vielleicht hatten sie eine Niertelstunde lang an dieser Stelle alle Unan¬
nehmlichkeiten ihrer Würde genossen, als der lauter werdende Gesang die An¬
näherung der Procession verkündigte. Nunmehr verstummte das muthwillige


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[0140] Stäben erschienen, um Nuhe und Ordnung herzustellen. Je milder die türki¬ schen Soldaten verfahren hatten — ich bemerkte sogar, daß sie hie und da den sich zu abentheuerlichen Kunststücken vorbereitenden jungen Leuten die Kerzen hielten — um so strenger war, diese geistliche Polizei. Es sah fast gefährlich aus, wie die wuchtenden Hiebe so schlank auf die einzig erreichbaren Körper¬ theile des gedrängten Haufens, die Schädel, niederfielen. Doch wußten diese Orbilier. daß sie es nicht mit Schwächlingen zu thun hatten. Die Repressiv- Maßregel galt übrigens weniger den Phonetischen als den akrobatischen Freu¬ denbezeugungen der Menge, welche letztere hin und wieder in den Soldaten¬ reihen kleine Unordnungen hervorbrachten und daher der Procession hätten hinderlich sein können. Ein näselnder Gesang, dessen gehaltene Töne sich von der griechischen Ka¬ pelle her mitten durch das Geschrei vernehmen ließen, verkündigte diese schon; da sich aber diese liturgischen Uebungen der orthodoxen Kirche vor allen andern durch Gedehntheit auszeichnen, so wäre solche Eile für den heiligen Zug Platz zu machen, nicht nöthig gewesen. Endlich erschien über den Häuptern der Menge, mit verdoppeltem Toben begrüßt, eine Kirchenstandarte, ein an hoher Stange getragenes Oelbild, in verwegener Zeichnung und grellen Farben eine Scene der Passion darstellend; auf die erste folgte bald eine zweite, dann eine dritte, dann in längeren Zwischenräumen noch drei andere. Langsam bewegten die schimmernden Goldaureolen der gemalten Heiligen sich in der ungläubigen Kriegcrgasse vorwärts, und es dauerte eine geraume Zeit, bis ihre Träger, in dem nördlichen Raume der Rotunde angelangt, uns sichtbar wurden. Es waren dies Laien, anatolische Pilger, in der trivialen Tracht städtischer Gemüsehändler, welche sich das Ehrenamt durch ein schweres Stück Geld von der Priesterschaft erkauft hatten. Sie gingen mit ehrfürchtig entblößten Häuptern; die vorzüg¬ lichste Zier des MvrgenlSnders, der Turban, fehlte ihnen also, und dieser Mangel wurde keineswegs durch die wirren Haarstränge wieder gut gemacht, welche der Barbier beim Rasiren der Köpfe auf dem Oberschabel hatte stehn lassen. „Wie würdelos!" rief die Amerikanerin aus, und sie hatte Recht, denn der Orientale imponirt nur in seiner vollen Tracht, und namentlich darf ihm der dem Gesichte seine Bedeutsamkeit verleihende Kopfschmuck nicht fehlen. Die Sonne schien durch die Oeffnung der Kuppel heiß auf die gläubigen Lastthiere herunter, während sie vor unserm Hochsitze Halt machten und trotz der rinnen¬ den Schweißtropfen in ihren Mienen eine Zuversicht verriethen, als ob sie im Begriff wären, dem Heiland der Welt den Dienst des Cyrenäischen Simon zu leisten. Vielleicht hatten sie eine Niertelstunde lang an dieser Stelle alle Unan¬ nehmlichkeiten ihrer Würde genossen, als der lauter werdende Gesang die An¬ näherung der Procession verkündigte. Nunmehr verstummte das muthwillige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/140>, abgerufen am 08.01.2025.