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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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ihre ganze Elasticität wieder geltend machen würde. Gewiß ist die gepriesene
Erfindung der Kaiserin Eugenie nicht auf das Ersteigen von Leitern, zumal in
Volksversammlungen berechnet! Doch siegte endlich der Wissensdrang über alle
geringeren Rücksichten, und ich hatte die Freude, den exotischen Vogel nebst dem
schweigsamen Gatten auf meinem Hühnerbalken zu begrüßen.

Der durch die Ordnung des Truppcnspaiiers unterbrochene Lärm war
'unterdessen in den ferneren Theilen der Rotunde mit doppelter Kraft wieder
losgebrochen, und die vor und unter uns befindlichen Pilger hatten sich nur
durch die Aufmerksamkeit, die sie dem zu mir aufsteigenden Luftballon widme¬
ten, abhalten lassen mit einzustimmen. Jetzt, nachdem man sich darüber be¬
ruhigt, wurde das Toben allgemein. Man schrie, man tackle, man sang, man
schalt; es war schwer, sein eignes Wort zu hören. Gewandte Bursche ließen
sich aufheben und versuchten auf den dicht an einander gedrängten Nacken zu
wandeln, andre schlugen Burzelbäume über den Köpfen ihrer Mitchristen, und
zwei einander gegenüber auf kräftigen Schultern Postirte führten zu unsäg¬
lichem Vergnügen der harrenden Gemeinde einen in üppigen Hüft- und Hand-
bewegungen bestehenden orientalischen Tanz aus.

"Welcher Greuel!" lispelte mir die schöne Amerikanerin zu, "ist Ihnen se
eine Jahrmarktscene vorgekommen, wo man roher gewesen wäre? Und dies
ist das Grab unsres Heilands! Was mag in dem Innern dieser Leute vor¬
gehn? was mögen sie denken?" --

"Denken, meine Gnädige? Wenig! es sind Menschen der That. Sie sind
von fern hergekommen, haben allen Ritualien genügt, haben sich vor wenig
Tagen, mit ihren Sterbehemden angethan, im Jordan gebadet und wollen
heut diese selben Hemden mit dem heiligen Feuer ansengen. Das war der
Zweck ihrer Wallfahrt, und sie haben ihn erreicht. Sie zweifeln nun nicht,
denn die Priester haben es ihnen gesagt, daß sie nach dem Sündenleben hie-
nieden der Freuden des Paradieses theilhaftig werden, und in das Wonnegefühl
über diese ferne angenehme Aussicht mischt sich die nähere, die der Ostermahlzeit
nach sieben Wochen kläglichen Knoblauch-und Oel-Genusses. Daher der Jubel,
welchen auch die Geistlichkeit vollkommen billigt." -- "Welche grob sinnliche
Auffassung! unsre Missionarien haben ganz recht, wenn sie diese Leute nur für
Namenchristen erklären." --

"Und doch haben dieselben, das Grab ihres Heilands zu sehn, den man¬
nigfaltigsten Gefahren und Beschwerden einer weiten winterlichen Reise getrotzt,
ja noch mehr, sie haben den mühseligen Erwerb eines entsagungsvollen Lebens
ihrem Glauben geopfert. Wo findet man gleiche Hingabe unter den gebildeten
Christen, welche so vornehm auf diese Orientalen heruntersehen?"

Es war dem Eindruck meiner Vertheidigung des Pilgerthums nicht eben
günstig, daß unter der Führung eines Priesters einige Novizen mit langen


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ihre ganze Elasticität wieder geltend machen würde. Gewiß ist die gepriesene
Erfindung der Kaiserin Eugenie nicht auf das Ersteigen von Leitern, zumal in
Volksversammlungen berechnet! Doch siegte endlich der Wissensdrang über alle
geringeren Rücksichten, und ich hatte die Freude, den exotischen Vogel nebst dem
schweigsamen Gatten auf meinem Hühnerbalken zu begrüßen.

Der durch die Ordnung des Truppcnspaiiers unterbrochene Lärm war
'unterdessen in den ferneren Theilen der Rotunde mit doppelter Kraft wieder
losgebrochen, und die vor und unter uns befindlichen Pilger hatten sich nur
durch die Aufmerksamkeit, die sie dem zu mir aufsteigenden Luftballon widme¬
ten, abhalten lassen mit einzustimmen. Jetzt, nachdem man sich darüber be¬
ruhigt, wurde das Toben allgemein. Man schrie, man tackle, man sang, man
schalt; es war schwer, sein eignes Wort zu hören. Gewandte Bursche ließen
sich aufheben und versuchten auf den dicht an einander gedrängten Nacken zu
wandeln, andre schlugen Burzelbäume über den Köpfen ihrer Mitchristen, und
zwei einander gegenüber auf kräftigen Schultern Postirte führten zu unsäg¬
lichem Vergnügen der harrenden Gemeinde einen in üppigen Hüft- und Hand-
bewegungen bestehenden orientalischen Tanz aus.

„Welcher Greuel!" lispelte mir die schöne Amerikanerin zu, „ist Ihnen se
eine Jahrmarktscene vorgekommen, wo man roher gewesen wäre? Und dies
ist das Grab unsres Heilands! Was mag in dem Innern dieser Leute vor¬
gehn? was mögen sie denken?" —

„Denken, meine Gnädige? Wenig! es sind Menschen der That. Sie sind
von fern hergekommen, haben allen Ritualien genügt, haben sich vor wenig
Tagen, mit ihren Sterbehemden angethan, im Jordan gebadet und wollen
heut diese selben Hemden mit dem heiligen Feuer ansengen. Das war der
Zweck ihrer Wallfahrt, und sie haben ihn erreicht. Sie zweifeln nun nicht,
denn die Priester haben es ihnen gesagt, daß sie nach dem Sündenleben hie-
nieden der Freuden des Paradieses theilhaftig werden, und in das Wonnegefühl
über diese ferne angenehme Aussicht mischt sich die nähere, die der Ostermahlzeit
nach sieben Wochen kläglichen Knoblauch-und Oel-Genusses. Daher der Jubel,
welchen auch die Geistlichkeit vollkommen billigt." — „Welche grob sinnliche
Auffassung! unsre Missionarien haben ganz recht, wenn sie diese Leute nur für
Namenchristen erklären." —

„Und doch haben dieselben, das Grab ihres Heilands zu sehn, den man¬
nigfaltigsten Gefahren und Beschwerden einer weiten winterlichen Reise getrotzt,
ja noch mehr, sie haben den mühseligen Erwerb eines entsagungsvollen Lebens
ihrem Glauben geopfert. Wo findet man gleiche Hingabe unter den gebildeten
Christen, welche so vornehm auf diese Orientalen heruntersehen?"

Es war dem Eindruck meiner Vertheidigung des Pilgerthums nicht eben
günstig, daß unter der Führung eines Priesters einige Novizen mit langen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/139>, abgerufen am 08.01.2025.