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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Pfeiler waren zur Aufnahme der Schaulustigen eingerichtet. Auf der Empore
lag es Kopf über Kopf, und selbst der hohe Mauerkranz unter dem Ansätze der
Kuppel war dicht mit Personen beiderlei Geschlechts besetzt. Am stärksten aber
war das Gedränge an der gegen den Eingang der Grabkapelle schauenden Ost¬
seite, wo das die griechische Chorkirche abschließende Eisengitter und seine Tri¬
bunen durch die reihenweise über einander sich erhebenden Köpfe russischer und
griechischer Nonnen und vornehmes männlicher .Pilger vollkommen ver¬
deckt war.

So sehr dies Schauspiel mich ansprach, so fühlte ich mich doch bald zu
der Frage an meinen Nachbar gemahnt, ob die heilige Handlung wohl bald
beginnen werde? Die Antwort lautete wenig beruhigend. "Vielleicht bald, viel¬
leicht noch lange nicht. Gott weiß es am besten. Indessen", fügte er tröstend
hinzu, "das Zusammensein mit Freunden ist eine Schüssel .ohne Sättigung.
Die Zeit wird nur zu rasch verfliegen!"

Es entspann sich nun eine Unterhaltung, in der ich gern den Prälaten auf
das eigentliche Wesen des erwarteten Wunders gebracht hätte; aber sei es Ge-
schicklichkeit, sei es Einfalt, er biß aus den hingeworfenen Köder nicht an.
Statt dessen machte er mich auf manches Aeußerliche aufmerksam, z. B. daß
von den zahllosen Lampen der Kirche -- worauf ich wegen der Tageshelle
nicht geachtet hatte -- jetzt keine brenne; auch gab er mir Auskünfte über ver¬
schiedene Pilgergruppen. "Dort", sagte er u. A. auf eine besonders wild aus¬
sehende Bande deutend, "haben Sie die Cvprioten. An denen profitirt das
griechische Kloster wenig, und deshalb sind sie auch in guten Jahren unwill-
kommne Gäste. Diesmal aber waren die bessern Pilger ausgeblieben, und es
schien als würde das armenische Kloster mehr Gläubige zum heil. Feuer aus¬
senden als das griechische. Da nun dies letztere um alles in der Welt die Sei-
nigen bei dem Wahne erhalten möchte, daß die griechische Kirche als die durch
d>e Zahl ihrer Anhänger weit vorwiegende, die wirkliche Eigenthümern, der
heiligen Stätten und die andern Konfessionen nur theilweise Usurpatorinnen seien,
so wußte der greise Erzbischof McletioS, selber ein Eypriot und unter seinen
Landsleuten gar angesehn. noch in den letzten Wochen gegen 800 derselben zur
Wallfahrt zu bewegen, lediglich um heut die Kirche mit sovielen ihm ergebenen
Schreiern mehr anzufüllen. Aber, wie gesagt, pecuniär kommt nichts dabei
heraus. Schon in andern Jahren klagen die Abunas (griech. Geistlichen), in
dreiviertelstündiger Vermahnung einem Eypriotcn kaum ein paar Groschen ent¬
winden zu können, und diesmal werden sie erst vollends Nichts geben."

Allmählig wurde der Lärm in der Kirche so groß, daß eine eingehende
Unterhaltung nicht mehr möglich war. Der Unruhe, die ich beim Eintreten fand,
habe ich schon Erwähnung gethan, es war, als ob von den versammelten Tau¬
senden die eine Hälfte sich noch mit Schellen und Ellenbvgcnstößcn einen Platz


Pfeiler waren zur Aufnahme der Schaulustigen eingerichtet. Auf der Empore
lag es Kopf über Kopf, und selbst der hohe Mauerkranz unter dem Ansätze der
Kuppel war dicht mit Personen beiderlei Geschlechts besetzt. Am stärksten aber
war das Gedränge an der gegen den Eingang der Grabkapelle schauenden Ost¬
seite, wo das die griechische Chorkirche abschließende Eisengitter und seine Tri¬
bunen durch die reihenweise über einander sich erhebenden Köpfe russischer und
griechischer Nonnen und vornehmes männlicher .Pilger vollkommen ver¬
deckt war.

So sehr dies Schauspiel mich ansprach, so fühlte ich mich doch bald zu
der Frage an meinen Nachbar gemahnt, ob die heilige Handlung wohl bald
beginnen werde? Die Antwort lautete wenig beruhigend. „Vielleicht bald, viel¬
leicht noch lange nicht. Gott weiß es am besten. Indessen", fügte er tröstend
hinzu, „das Zusammensein mit Freunden ist eine Schüssel .ohne Sättigung.
Die Zeit wird nur zu rasch verfliegen!"

Es entspann sich nun eine Unterhaltung, in der ich gern den Prälaten auf
das eigentliche Wesen des erwarteten Wunders gebracht hätte; aber sei es Ge-
schicklichkeit, sei es Einfalt, er biß aus den hingeworfenen Köder nicht an.
Statt dessen machte er mich auf manches Aeußerliche aufmerksam, z. B. daß
von den zahllosen Lampen der Kirche — worauf ich wegen der Tageshelle
nicht geachtet hatte — jetzt keine brenne; auch gab er mir Auskünfte über ver¬
schiedene Pilgergruppen. „Dort", sagte er u. A. auf eine besonders wild aus¬
sehende Bande deutend, „haben Sie die Cvprioten. An denen profitirt das
griechische Kloster wenig, und deshalb sind sie auch in guten Jahren unwill-
kommne Gäste. Diesmal aber waren die bessern Pilger ausgeblieben, und es
schien als würde das armenische Kloster mehr Gläubige zum heil. Feuer aus¬
senden als das griechische. Da nun dies letztere um alles in der Welt die Sei-
nigen bei dem Wahne erhalten möchte, daß die griechische Kirche als die durch
d>e Zahl ihrer Anhänger weit vorwiegende, die wirkliche Eigenthümern, der
heiligen Stätten und die andern Konfessionen nur theilweise Usurpatorinnen seien,
so wußte der greise Erzbischof McletioS, selber ein Eypriot und unter seinen
Landsleuten gar angesehn. noch in den letzten Wochen gegen 800 derselben zur
Wallfahrt zu bewegen, lediglich um heut die Kirche mit sovielen ihm ergebenen
Schreiern mehr anzufüllen. Aber, wie gesagt, pecuniär kommt nichts dabei
heraus. Schon in andern Jahren klagen die Abunas (griech. Geistlichen), in
dreiviertelstündiger Vermahnung einem Eypriotcn kaum ein paar Groschen ent¬
winden zu können, und diesmal werden sie erst vollends Nichts geben."

Allmählig wurde der Lärm in der Kirche so groß, daß eine eingehende
Unterhaltung nicht mehr möglich war. Der Unruhe, die ich beim Eintreten fand,
habe ich schon Erwähnung gethan, es war, als ob von den versammelten Tau¬
senden die eine Hälfte sich noch mit Schellen und Ellenbvgcnstößcn einen Platz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/135>, abgerufen am 08.01.2025.