Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.auf den Kopf nicht weniger als 40 Thlr. beträgt. Daß es ersprießlicher ist, Der Phrase entkleidet würden diese Worte etwa lauten: "Wir gestatten Jerusalem hatte also diesmal, was man anderwärts eine schlechte Saison 16*
auf den Kopf nicht weniger als 40 Thlr. beträgt. Daß es ersprießlicher ist, Der Phrase entkleidet würden diese Worte etwa lauten: „Wir gestatten Jerusalem hatte also diesmal, was man anderwärts eine schlechte Saison 16*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0131" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113911"/> <p xml:id="ID_342" prev="#ID_341"> auf den Kopf nicht weniger als 40 Thlr. beträgt. Daß es ersprießlicher ist,<lb/> diese fromme Abgabe mit gleichem Aufwande an Gebeten und sonstigen Funk¬<lb/> tionen von Tausenden als von Hunderten zu erheben, leuchtet auch dem<lb/> orientalischen Theologen unzweifelhaft ein; dennoch antwortete mir ein ortho¬<lb/> doxer Kandidat, dein ich wegen des geringen Pilgerbcsuchs mein Beileid aus¬<lb/> drückte: „Das verschläft Nichts. Kyrie, denn wem einmal, nachdem er durch<lb/> die göttliche Langmuth der Erde Güter in Sünden angehäuft, das Gewissen<lb/> erweckt worden, der entgeht uns nicht. Jsts nicht dies Jahr, so ists das<lb/> nächste, und sollte er darüber sterben, so kommt sein Erbe!" —</p><lb/> <p xml:id="ID_343"> Der Phrase entkleidet würden diese Worte etwa lauten: „Wir gestatten<lb/> unsern Beichtkindern in den Mitteln des Gelderwerbes die äußerste Freiheit;<lb/> hat aber Jemand sein Theil gewonnen, so wissen wir ihm die Hölle heiß zu<lb/> machen, daß er nicht davon loskommt, uns als Pilger seinen Tribut zu über¬<lb/> bringen." Zur Untcrstüimng dieser Bemühungen und zur Warnung für die<lb/> Unbußfertigen findet sich im Nartbex fast jeder rumelischen Dorfkirche ein Bild,<lb/> welches die raffinirtesten Strafen der Ewigkeit in naiver Anschaulichkeit dar¬<lb/> stellt. Die Wirkung dieser Bilder auf ein wohl äußerlich kirchliches, aber ebenso<lb/> unmoralisches wie abergläubiges Volk reicht denn auch wirklich bis nach dem<lb/> fernen Jerusalem. Jene gemalten Patientinnen, welche mit durchspießtem Bauche<lb/> nackend auf feuerspeienden Kröten reiten, jene unglücklichen Greise, denen mißgestal¬<lb/> tete Teufel zur Strafe für ihre unersättliche Habsucht geschmolzenes Gold in den<lb/> Rachen gießen, sie treiben ganze Familien her nach dem Feuer, dessen Wunder¬<lb/> kraft die schon verdiente Höllengluth auslöscht, bevor sie noch angezündet<lb/> worden.</p><lb/> <p xml:id="ID_344" next="#ID_345"> Jerusalem hatte also diesmal, was man anderwärts eine schlechte Saison<lb/> nennen würde. Dennoch verläugnete der Tag des heil. Feuers — es war Sonn¬<lb/> abend der 4. Mai — seinen Eharatter nicht. Die ganze Stadt feiert an diesem<lb/> Tage; die türkischen Bureaus sind geschlossen, die Bazars und sonstigen Ge-<lb/> schäftslocale verlassen, und dagegen füllen sich schon am frühen Morgen die<lb/> der Grabkirche benachbarten Stadttheile mit der buntesten Menschenmenge.<lb/> Türkische Regierungsbeamte, Ulemas. Efendis, Kaufleute und Handwerker,<lb/> Straßenjugend und Pöbel kommen da zusammen, um den sich langsam durch<lb/> das Gedränge dem Heiligthum zuwcilzenden Strom der Pilger, die Züge der<lb/> bei der F?ier mitwirkenden Geistlichen verschiedener Confessionen. die mit wir¬<lb/> belnden Trommeln und in festlichem Schmuck cinherziehcnden. zur Aufrechter¬<lb/> haltung des Kirchenfriedens beorderten Abtheilungen türkischer Truppen, Pd<lb/> endlich die von dem Schauspiel fernher angelockten fränkischen Reisenden, unter<lb/> denen diesmal eine brillante Sclmar französischer Offiziere von Beyrut sich<lb/> auszeichnete, anzugaffen. Daß die einheimischen Christen, auch die bei dem<lb/> Feste nicht beteiligten, in dem Gedränge der Zuschauer nicht fehlen, läßt sich</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 16*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0131]
auf den Kopf nicht weniger als 40 Thlr. beträgt. Daß es ersprießlicher ist,
diese fromme Abgabe mit gleichem Aufwande an Gebeten und sonstigen Funk¬
tionen von Tausenden als von Hunderten zu erheben, leuchtet auch dem
orientalischen Theologen unzweifelhaft ein; dennoch antwortete mir ein ortho¬
doxer Kandidat, dein ich wegen des geringen Pilgerbcsuchs mein Beileid aus¬
drückte: „Das verschläft Nichts. Kyrie, denn wem einmal, nachdem er durch
die göttliche Langmuth der Erde Güter in Sünden angehäuft, das Gewissen
erweckt worden, der entgeht uns nicht. Jsts nicht dies Jahr, so ists das
nächste, und sollte er darüber sterben, so kommt sein Erbe!" —
Der Phrase entkleidet würden diese Worte etwa lauten: „Wir gestatten
unsern Beichtkindern in den Mitteln des Gelderwerbes die äußerste Freiheit;
hat aber Jemand sein Theil gewonnen, so wissen wir ihm die Hölle heiß zu
machen, daß er nicht davon loskommt, uns als Pilger seinen Tribut zu über¬
bringen." Zur Untcrstüimng dieser Bemühungen und zur Warnung für die
Unbußfertigen findet sich im Nartbex fast jeder rumelischen Dorfkirche ein Bild,
welches die raffinirtesten Strafen der Ewigkeit in naiver Anschaulichkeit dar¬
stellt. Die Wirkung dieser Bilder auf ein wohl äußerlich kirchliches, aber ebenso
unmoralisches wie abergläubiges Volk reicht denn auch wirklich bis nach dem
fernen Jerusalem. Jene gemalten Patientinnen, welche mit durchspießtem Bauche
nackend auf feuerspeienden Kröten reiten, jene unglücklichen Greise, denen mißgestal¬
tete Teufel zur Strafe für ihre unersättliche Habsucht geschmolzenes Gold in den
Rachen gießen, sie treiben ganze Familien her nach dem Feuer, dessen Wunder¬
kraft die schon verdiente Höllengluth auslöscht, bevor sie noch angezündet
worden.
Jerusalem hatte also diesmal, was man anderwärts eine schlechte Saison
nennen würde. Dennoch verläugnete der Tag des heil. Feuers — es war Sonn¬
abend der 4. Mai — seinen Eharatter nicht. Die ganze Stadt feiert an diesem
Tage; die türkischen Bureaus sind geschlossen, die Bazars und sonstigen Ge-
schäftslocale verlassen, und dagegen füllen sich schon am frühen Morgen die
der Grabkirche benachbarten Stadttheile mit der buntesten Menschenmenge.
Türkische Regierungsbeamte, Ulemas. Efendis, Kaufleute und Handwerker,
Straßenjugend und Pöbel kommen da zusammen, um den sich langsam durch
das Gedränge dem Heiligthum zuwcilzenden Strom der Pilger, die Züge der
bei der F?ier mitwirkenden Geistlichen verschiedener Confessionen. die mit wir¬
belnden Trommeln und in festlichem Schmuck cinherziehcnden. zur Aufrechter¬
haltung des Kirchenfriedens beorderten Abtheilungen türkischer Truppen, Pd
endlich die von dem Schauspiel fernher angelockten fränkischen Reisenden, unter
denen diesmal eine brillante Sclmar französischer Offiziere von Beyrut sich
auszeichnete, anzugaffen. Daß die einheimischen Christen, auch die bei dem
Feste nicht beteiligten, in dem Gedränge der Zuschauer nicht fehlen, läßt sich
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