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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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vollen Grund des Lebens durchblicken lassen. Also Alles steht ihm offen, wo¬
hin er nur sein Auge richten mag. Die Natur, als die Heimath des Men¬
schen, in der er den Widerhall des eigenen Gemüths findet, die kleine, enge,
aber heimliche Welt des Hauses und alltäglichen Daseins, in der er nun erst
recht das stille Walten und Weben der im beschränkten Kreise ganz eingewöhnten
Seele sieht, vor Allem aber das weite Bereich der Vergangenheit und Geschichte,
die ihm nun ewig frisch, neu und lebendig ist, da er in ihr die Gegenwart des
Geistes entdeckt hat.

Dies die Hoffnungen, welche das Zeitalter der Malerei gibt: bei der Kehr¬
seite, den Schatten wollen wir, wie gesagt, uns diesesmal nicht aufhalten.
Auch die Kritik will hin und wieder des Lebens froh werden. Sie wird es
ohnedem auch bei dem besten Willen nur auf kurze Zeit; denn sie ist jetzt oben¬
auf und trabt neben der lcichtgeflügelten Kunst "ein widriger Geselle" plump,
schwerfällig, aber unermüdlich nebenher. Und es ist ihr eigenthümliches Ber-
hängniß, daß sie eben da, wo sie genügende Lebensluft und Nahrung findet, des
Lebens nicht froh werden kann. Das eben ist schon ein ziemlich dunkler Schat¬
ten, der auf die gegenwärtige Kunst fällt, daß sie vom Bewußtsein wie um¬
geben, bewacht, auf Schritt und Tritt begleitet ist. Und so will sich auch hier
von vornherein eine Befürchtung nicht unterdrücken lassen. Die übersinnliche
Welt ist gefallen, die wirkliche als das Reich des Geistes doppelt gewonnen.
Der Kunst liegt der Abweg nahe, nun überall die tiefere geistige Beziehung zu
suchen; denn auch sie will des Erwerbs gewiß sein, und die Welt als das
Eigenthum des Menschen näher als des Gedankens vor sich sehen. Es fehlt
ihr nur zu oft die einfache Freude an der Erscheinung, die Harmlosigkeit der
Auffassung, die im Gegenstände nichts sieht, als den ästhetischen Ausdruck sei¬
nes eignen Wesens, die ihre Stoffe nicht sucht, sondern findet, weil sie unmit¬
telbar mit der Phantasie den Inhalt entdeckt, den sie festgewachsen in sich ha¬
ben, nicht erst ihn herausnimmt, um ihn dann wieder zugespitzt hineinzutragen.
Die Malerei will gegenwärtig nur zu oft mehr geben, als ihres Amtes ist, und
eben deshalb gibt sie andererseits der Anschauung weniger, als sie sollte. Der
Rückschlag gegen diese Einseitigkeit bleibt nicht aus, und so geräth eine ganze
Richtung auf den entgegengesetzten Abweg; dieser wird die ganz äußerliche, zu¬
fällige Erscheinung unendlich werthvoll, sie hält die natürliche Wirklichkeit in
ihrem saftigen, farbigen Scheinen für ebenso berechtigt, als den Ausdruck eines
geistig gesteigerten Lebens. Sie will wohl Geschichte, menschliches Thun und
Leiden darstellen, aber die Malerei soll den Inhalt in die Umgebung der Außen¬
welt und in die Realität des particulären Daseins ganz hinausführen, in diese
wo möglich noch tiefer versenken, als er ursprünglich darin gefangen war.

Doch ehe wir zur historischen Kunst uns wenden, auf deren Gebiete diese
verschiedenen Richtungen vorzugsweise spielen, ist Einiges über die neueste re-


vollen Grund des Lebens durchblicken lassen. Also Alles steht ihm offen, wo¬
hin er nur sein Auge richten mag. Die Natur, als die Heimath des Men¬
schen, in der er den Widerhall des eigenen Gemüths findet, die kleine, enge,
aber heimliche Welt des Hauses und alltäglichen Daseins, in der er nun erst
recht das stille Walten und Weben der im beschränkten Kreise ganz eingewöhnten
Seele sieht, vor Allem aber das weite Bereich der Vergangenheit und Geschichte,
die ihm nun ewig frisch, neu und lebendig ist, da er in ihr die Gegenwart des
Geistes entdeckt hat.

Dies die Hoffnungen, welche das Zeitalter der Malerei gibt: bei der Kehr¬
seite, den Schatten wollen wir, wie gesagt, uns diesesmal nicht aufhalten.
Auch die Kritik will hin und wieder des Lebens froh werden. Sie wird es
ohnedem auch bei dem besten Willen nur auf kurze Zeit; denn sie ist jetzt oben¬
auf und trabt neben der lcichtgeflügelten Kunst „ein widriger Geselle" plump,
schwerfällig, aber unermüdlich nebenher. Und es ist ihr eigenthümliches Ber-
hängniß, daß sie eben da, wo sie genügende Lebensluft und Nahrung findet, des
Lebens nicht froh werden kann. Das eben ist schon ein ziemlich dunkler Schat¬
ten, der auf die gegenwärtige Kunst fällt, daß sie vom Bewußtsein wie um¬
geben, bewacht, auf Schritt und Tritt begleitet ist. Und so will sich auch hier
von vornherein eine Befürchtung nicht unterdrücken lassen. Die übersinnliche
Welt ist gefallen, die wirkliche als das Reich des Geistes doppelt gewonnen.
Der Kunst liegt der Abweg nahe, nun überall die tiefere geistige Beziehung zu
suchen; denn auch sie will des Erwerbs gewiß sein, und die Welt als das
Eigenthum des Menschen näher als des Gedankens vor sich sehen. Es fehlt
ihr nur zu oft die einfache Freude an der Erscheinung, die Harmlosigkeit der
Auffassung, die im Gegenstände nichts sieht, als den ästhetischen Ausdruck sei¬
nes eignen Wesens, die ihre Stoffe nicht sucht, sondern findet, weil sie unmit¬
telbar mit der Phantasie den Inhalt entdeckt, den sie festgewachsen in sich ha¬
ben, nicht erst ihn herausnimmt, um ihn dann wieder zugespitzt hineinzutragen.
Die Malerei will gegenwärtig nur zu oft mehr geben, als ihres Amtes ist, und
eben deshalb gibt sie andererseits der Anschauung weniger, als sie sollte. Der
Rückschlag gegen diese Einseitigkeit bleibt nicht aus, und so geräth eine ganze
Richtung auf den entgegengesetzten Abweg; dieser wird die ganz äußerliche, zu¬
fällige Erscheinung unendlich werthvoll, sie hält die natürliche Wirklichkeit in
ihrem saftigen, farbigen Scheinen für ebenso berechtigt, als den Ausdruck eines
geistig gesteigerten Lebens. Sie will wohl Geschichte, menschliches Thun und
Leiden darstellen, aber die Malerei soll den Inhalt in die Umgebung der Außen¬
welt und in die Realität des particulären Daseins ganz hinausführen, in diese
wo möglich noch tiefer versenken, als er ursprünglich darin gefangen war.

Doch ehe wir zur historischen Kunst uns wenden, auf deren Gebiete diese
verschiedenen Richtungen vorzugsweise spielen, ist Einiges über die neueste re-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/102>, abgerufen am 08.01.2025.