Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.des Herrenhauses zugestanden, oder in der deutschen Frage eine Aussicht auf ein Also leben wir vor uns die Wahrscheinlichkeit, daß ein Ministerium, welches des Herrenhauses zugestanden, oder in der deutschen Frage eine Aussicht auf ein Also leben wir vor uns die Wahrscheinlichkeit, daß ein Ministerium, welches <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0087" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113329"/> <p xml:id="ID_257" prev="#ID_256"> des Herrenhauses zugestanden, oder in der deutschen Frage eine Aussicht auf ein<lb/> rasches Vorwärtsschreiten eröffnet wird, so wird das Abgeordnetenhaus diese Sust<lb/> dem Lande nicht aufbürden wollen. Außerdem werden die bedeutenderen Notlagen<lb/> eine Krcisordnung, eine ländliche Polizciordnung und eine Reform der Oberrecb-<lb/> nungskammcr sein. Diese Gesetzentwürfe werden alle im Herrenhause fallen, so<lb/> lange dasselbe so zusammengesetzt ist, wie es jetzt ist. Das jetzige Herrenhaus wird<lb/> nie zugeben, daß die KrciSvcrtrctung auch nur in so gemäßigter Weise, wie es<lb/> Graf Schwerin beabsichtigt, reformirt werde: eben so wenig wird es dafür stim¬<lb/> men, daß die gutsherrliche Polizei aufgehoben und damit der Nest der Feudalität<lb/> aus der Polizciverwaltung entfernt werde. Noch entschiedener wird das Herrenhaus<lb/> dem Gesetz über die Obcrrcchnungskammcr widerstreben- denn die Tendenz dieser<lb/> Reform geht dahin, daß der Landtag in den Stand gesetzt werde, über die Ein¬<lb/> nahmen und Ausgaben des Staats nicht mehr wie bisher eine blos scheinbare,<lb/> sondern eine wirksame Controle zu üben. Es soll also eine bedeutende Lücke der,<lb/> Verfassung dadurch ausgefüllt, es soll ein im Artikel 104 der Verfassung selbst ge¬<lb/> gebenes Versprechen gehalten werden. Grund genug für das Herrenbnus, ein sol¬<lb/> ches Gesetz zu verwerfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_258" next="#ID_259"> Also leben wir vor uns die Wahrscheinlichkeit, daß ein Ministerium, welches<lb/> Wir in seinen wesentlichsten Bestandtheilen gerne erhalten möchten, nicht im Stande<lb/> sein wirt, für seine Vorlagen die Genehmigung des Landtags zu erlangen. So er¬<lb/> scheint die Lage in diesem Augenblick. Aber wer möchte gerade jetzt es unternehmen,<lb/> nur für kurze Zeit den Lauf der öffentlichen Dinge vorherzusagen? Auf dem atlan¬<lb/> tischen Ocean schwimmt bereits das Schiff, welches die Nachricht nach Europa bringt,<lb/> ob innerhalb der nächsten Wochen Krieg oder Frieden zwischen England und Ame¬<lb/> rika sein wird. Kommt zu Neujahr Lord Lyons oder kommen die Herren Mason<lb/> Mit Slidcll in England an? Frankreich, Oestreich und Preußen haben sich in<lb/> der völkerrechtlichen Frage bereits für die englische, gegen die amerikanische Auf-<lb/> fassung ausgesprochen. Der Norden der Union ist nicht im Stande, den Süden<lb/> zu bezwingen; gleichwohl sollte er sich leichtsinnig in einen von ganz Europa gc-<lb/> mißbilligten Krieg mit der ersten Seemacht der Welt stürzen? Thäte er es dennoch,<lb/> so ließe sich dafür nur eine Erklärung denken. Wir müßten annehmen, daß der<lb/> Norden der Union seinen jetzigen Kampf als hoffnungslos aufgeben und für den<lb/> sklavenhaltcnden Süden einen Ersatz in dem sklnvenfrcien Canada suchen will. Hat<lb/> Nordamerika aus einem solchen Grunde den Krieg absichtlich gesucht, so ist voraus¬<lb/> zusehen, daß, wenn auch die Entscheidung hauptsächlich von Canada selbst abhängen<lb/> wird, doch der Kampf ein langer und erbitterter werden muß. Zugleich aber würde<lb/> ein solcher Kampf mit einem Schlage die ganze europäische Lage verändern. Nicht<lb/> daß etwa europäische Mächte unmittelbar iuterveniren sollten. Das wird Niemand<lb/> erwarten. Aber der kranke Mann am Bosporus und die „unterdrückten Nationa¬<lb/> litäten" würden dann wahrscheinlich wieder sehr viel von sich reden machen. In<lb/> einer solchen europäischen Spannung würden auch unsere inneren Angelegenheiten<lb/> ein anderes Aussehn gewinnen. Die Nothwendigkeit einer starken, einheitlichen, li¬<lb/> beralen Regierung würde lebhafter gefühlt werden. Die Losung der deutschen Frage<lb/> würde dringender werden, damit die Ereignisse uns nicht wieder, wie 18S9, in einem<lb/> Völlig desorganisirten Zustande überraschen. Andererseits würde auch das Aogeord-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0087]
des Herrenhauses zugestanden, oder in der deutschen Frage eine Aussicht auf ein
rasches Vorwärtsschreiten eröffnet wird, so wird das Abgeordnetenhaus diese Sust
dem Lande nicht aufbürden wollen. Außerdem werden die bedeutenderen Notlagen
eine Krcisordnung, eine ländliche Polizciordnung und eine Reform der Oberrecb-
nungskammcr sein. Diese Gesetzentwürfe werden alle im Herrenhause fallen, so
lange dasselbe so zusammengesetzt ist, wie es jetzt ist. Das jetzige Herrenhaus wird
nie zugeben, daß die KrciSvcrtrctung auch nur in so gemäßigter Weise, wie es
Graf Schwerin beabsichtigt, reformirt werde: eben so wenig wird es dafür stim¬
men, daß die gutsherrliche Polizei aufgehoben und damit der Nest der Feudalität
aus der Polizciverwaltung entfernt werde. Noch entschiedener wird das Herrenhaus
dem Gesetz über die Obcrrcchnungskammcr widerstreben- denn die Tendenz dieser
Reform geht dahin, daß der Landtag in den Stand gesetzt werde, über die Ein¬
nahmen und Ausgaben des Staats nicht mehr wie bisher eine blos scheinbare,
sondern eine wirksame Controle zu üben. Es soll also eine bedeutende Lücke der,
Verfassung dadurch ausgefüllt, es soll ein im Artikel 104 der Verfassung selbst ge¬
gebenes Versprechen gehalten werden. Grund genug für das Herrenbnus, ein sol¬
ches Gesetz zu verwerfen.
Also leben wir vor uns die Wahrscheinlichkeit, daß ein Ministerium, welches
Wir in seinen wesentlichsten Bestandtheilen gerne erhalten möchten, nicht im Stande
sein wirt, für seine Vorlagen die Genehmigung des Landtags zu erlangen. So er¬
scheint die Lage in diesem Augenblick. Aber wer möchte gerade jetzt es unternehmen,
nur für kurze Zeit den Lauf der öffentlichen Dinge vorherzusagen? Auf dem atlan¬
tischen Ocean schwimmt bereits das Schiff, welches die Nachricht nach Europa bringt,
ob innerhalb der nächsten Wochen Krieg oder Frieden zwischen England und Ame¬
rika sein wird. Kommt zu Neujahr Lord Lyons oder kommen die Herren Mason
Mit Slidcll in England an? Frankreich, Oestreich und Preußen haben sich in
der völkerrechtlichen Frage bereits für die englische, gegen die amerikanische Auf-
fassung ausgesprochen. Der Norden der Union ist nicht im Stande, den Süden
zu bezwingen; gleichwohl sollte er sich leichtsinnig in einen von ganz Europa gc-
mißbilligten Krieg mit der ersten Seemacht der Welt stürzen? Thäte er es dennoch,
so ließe sich dafür nur eine Erklärung denken. Wir müßten annehmen, daß der
Norden der Union seinen jetzigen Kampf als hoffnungslos aufgeben und für den
sklavenhaltcnden Süden einen Ersatz in dem sklnvenfrcien Canada suchen will. Hat
Nordamerika aus einem solchen Grunde den Krieg absichtlich gesucht, so ist voraus¬
zusehen, daß, wenn auch die Entscheidung hauptsächlich von Canada selbst abhängen
wird, doch der Kampf ein langer und erbitterter werden muß. Zugleich aber würde
ein solcher Kampf mit einem Schlage die ganze europäische Lage verändern. Nicht
daß etwa europäische Mächte unmittelbar iuterveniren sollten. Das wird Niemand
erwarten. Aber der kranke Mann am Bosporus und die „unterdrückten Nationa¬
litäten" würden dann wahrscheinlich wieder sehr viel von sich reden machen. In
einer solchen europäischen Spannung würden auch unsere inneren Angelegenheiten
ein anderes Aussehn gewinnen. Die Nothwendigkeit einer starken, einheitlichen, li¬
beralen Regierung würde lebhafter gefühlt werden. Die Losung der deutschen Frage
würde dringender werden, damit die Ereignisse uns nicht wieder, wie 18S9, in einem
Völlig desorganisirten Zustande überraschen. Andererseits würde auch das Aogeord-
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