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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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"thun will ich Ihnen nichts, aber einsperren will ich Sie," und so führte er
mich in die Kajüte, mit dem Befehl, sie nicht eher zu verlassen, als bis wir
in Memel angekommen seien. "Ihr Onkel hat Sie mir auf die Seele gebunden,
und nun machen Sie mir solche Streiche, wobei Sie den Hals brechen oder
ertrinken können." Ich mußte mich fügen, indeß nach ein paar Stunden ließ
er mich auf mein Versprechen los, daß ich dergleichen halsbrechende Sachen
nicht mehr unternehmen wollte, was ich auch gehalten habe.

Ohne Unfall kamen wir vor Memel an. mußten diesen und den andern
Tag auf der Rhede bleiben und wurden dann auf der curischen Nehrung
bei Schwarzort, einem kleinen Fischerdorfe, 3 Meilen von Memel ausgeschifft,
wo wir ein Zeltlager bezogen und daselbst bis nach dem Tilsiter Friedens¬
schluß, den 9. Juli, blieben.

Das Leben in diesem Lager war ein beschwerliches, die Verpflegung
schlecht, anstatt unseres Brotes bekamen wir russische Zochari, einen aus
Commisbrot gemachten Zwieback, der oft verschimmelt war. Es fehlte so¬
gar an Salz, und die Suppen, die aus diesen Zochari gekocht wurden,
mußten öfter mit Pulver gesalzen werden, das schmeckte sehr schlecht und sah
wegen der Schwärze höchst unappetitlich aus. Die einzige Abwechselung boten
Fische, die wir manchmal bekamen. Unsere Unbequemlichkeit wurde durch die
Russen vermehrt, die mit uns Vorpostendienst gegen Königsberg versahen, sie
schlichen in unsrem Lager herum und stahlen wie die Raben, was sie erwischen
konnten, und man konnte sich ihrer' nicht erwehren. Mehrmals wurden
die ertappten Diebe durch unsere Füsiliere jämmerlich geprügelt, aber
immer kamen sie wieder. Die Nehrung besteht aus lauter flüchtigem Sand,
der ganz fein ist. und durch welchen bei den häusigen Marken Winden
unsere Zelte manchmal so verweht wurden, daß wir des Morgens kaum
heraus konnten; auch mußte das Schanzen zum Schutz unsers Lagers endlich
ganz ausgegeben werden, weil in einer einzigen Nacht tagelange Arbeiten
ganz verweht waren; dabei verdarb dieser feine Sand, der wie Staub durch
Alles drang, unsere ohnehin nicht sehr schmackhaften Lebensmittel. Ich wurde
krank, zwar nicht bedeutend, denn ich weiß nicht mehr, was mir fehlte, aber
doch genug, daß der Arzt verordnete, mich nach dem Dorfe Schwarzort zu
bringen. Das war aber ein so entsetzlicher Aufenthalt, daß ich mich aufs
Höchste anstrengte, um wieder ins Lager zurückkehren zu dürfen, denn die
zwee Nächte, die ich dort schlief, wurde ich auf die abscheulichste Weise von
den Schwaben geplagt, von welchen die Häuser der Fischer wimmelten. Sie
fraßen die Haut von den Füßen und Händen, was mehrere Stunden wie
Feuer brannte. Hierauf, ins Lager zurückgekehrt, hatten wir die Freude, von
des hochseligen Königs Majestät als kleiner Prinz in der Uniform des ersten
Garde-Regiments zu Fuß und dem Prinzen Friedrich von Preußen, der nur


„thun will ich Ihnen nichts, aber einsperren will ich Sie," und so führte er
mich in die Kajüte, mit dem Befehl, sie nicht eher zu verlassen, als bis wir
in Memel angekommen seien. „Ihr Onkel hat Sie mir auf die Seele gebunden,
und nun machen Sie mir solche Streiche, wobei Sie den Hals brechen oder
ertrinken können." Ich mußte mich fügen, indeß nach ein paar Stunden ließ
er mich auf mein Versprechen los, daß ich dergleichen halsbrechende Sachen
nicht mehr unternehmen wollte, was ich auch gehalten habe.

Ohne Unfall kamen wir vor Memel an. mußten diesen und den andern
Tag auf der Rhede bleiben und wurden dann auf der curischen Nehrung
bei Schwarzort, einem kleinen Fischerdorfe, 3 Meilen von Memel ausgeschifft,
wo wir ein Zeltlager bezogen und daselbst bis nach dem Tilsiter Friedens¬
schluß, den 9. Juli, blieben.

Das Leben in diesem Lager war ein beschwerliches, die Verpflegung
schlecht, anstatt unseres Brotes bekamen wir russische Zochari, einen aus
Commisbrot gemachten Zwieback, der oft verschimmelt war. Es fehlte so¬
gar an Salz, und die Suppen, die aus diesen Zochari gekocht wurden,
mußten öfter mit Pulver gesalzen werden, das schmeckte sehr schlecht und sah
wegen der Schwärze höchst unappetitlich aus. Die einzige Abwechselung boten
Fische, die wir manchmal bekamen. Unsere Unbequemlichkeit wurde durch die
Russen vermehrt, die mit uns Vorpostendienst gegen Königsberg versahen, sie
schlichen in unsrem Lager herum und stahlen wie die Raben, was sie erwischen
konnten, und man konnte sich ihrer' nicht erwehren. Mehrmals wurden
die ertappten Diebe durch unsere Füsiliere jämmerlich geprügelt, aber
immer kamen sie wieder. Die Nehrung besteht aus lauter flüchtigem Sand,
der ganz fein ist. und durch welchen bei den häusigen Marken Winden
unsere Zelte manchmal so verweht wurden, daß wir des Morgens kaum
heraus konnten; auch mußte das Schanzen zum Schutz unsers Lagers endlich
ganz ausgegeben werden, weil in einer einzigen Nacht tagelange Arbeiten
ganz verweht waren; dabei verdarb dieser feine Sand, der wie Staub durch
Alles drang, unsere ohnehin nicht sehr schmackhaften Lebensmittel. Ich wurde
krank, zwar nicht bedeutend, denn ich weiß nicht mehr, was mir fehlte, aber
doch genug, daß der Arzt verordnete, mich nach dem Dorfe Schwarzort zu
bringen. Das war aber ein so entsetzlicher Aufenthalt, daß ich mich aufs
Höchste anstrengte, um wieder ins Lager zurückkehren zu dürfen, denn die
zwee Nächte, die ich dort schlief, wurde ich auf die abscheulichste Weise von
den Schwaben geplagt, von welchen die Häuser der Fischer wimmelten. Sie
fraßen die Haut von den Füßen und Händen, was mehrere Stunden wie
Feuer brannte. Hierauf, ins Lager zurückgekehrt, hatten wir die Freude, von
des hochseligen Königs Majestät als kleiner Prinz in der Uniform des ersten
Garde-Regiments zu Fuß und dem Prinzen Friedrich von Preußen, der nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/69>, abgerufen am 23.07.2024.