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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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gegangen, um Meldung über sein glückliches Entkommen mit seinen Truppen
aus Neufahrwasser zu machen. Er kam nach 2 oder 3 Tagen zurück, aber
in seinem Aeußern so verändert, daß er kaum zu erkennen war; er hatte eine
ganz neue Uniform an, ohne Rabatten, mit 2 Reihen Knöpfen, wie sie die
russischen Offiziere trugen, wattirt mit hoher Brust, und der Zopf, der Ge¬
genstand meiner Sorge, war abgeschnitten! Denselben Tag noch oder den
nächsten wurde bekannt gemacht, daß Zöpfe hinfort nicht mehr getragen wer¬
den sollten. Es war ein trauriger Aufenthalt, einige große alte Kiefern
waren das einzige Grün, das wir sahen, die Verpflegung war schlecht und
hätte sehr gut sein können, wenn die Habsucht der-Engländer sie nicht zu der
Nichtswürdigkeit verleitet gehabt hätte, das schöne Schweinefleisch mit Hand-
hohem Speck dadurch ungenießbar zu machen, daß sie Fischthran-Tonnen,,zum
Einpökeln genommen hatten. Zu essen war es gar nicht, nur das ausge¬
bratene Fett war einigermaßen genießbar, so daß es zum Schnalzen des
Essens verwandt werden konnte. Auf den großen Kiefern nisteten viele Krähen,
es gelang mir ein paar Mal mit Hilfe meines Burschen Krähennester mit flüggen
Jungen auszmrehmen, die gekocht wie junge Tauben schmeckten, nachdem ih¬
nen die Hallt mit sammt den Federn abgezogen worden. Wenn man so
Monate lang nichts als gesalznes Fleisch zu essen hat. ist eine solche Ab¬
wechselung, und wenn es auch nur junge Krähen sind, eine wahre Er-
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Wir blieben vom 27. Mai bis 14. Juni auf der frischen Nehrung
stehen, also bis einige Tage nach der Schlacht von Friedland, der letzten in
diesem unglücklichen Kriege, die leider auch verloren ging, und wurden nun
wieder eingeschifft und nach Memel transportirt. Es war wunderschönes
Wetter, aber der Wind nicht ganz günstig, so daß wir laviren mußten. Da
konnte ich der Lust nicht widerstehen, in den Mastkorb zu klettern, was ich
in Neufahrwasscr bereits fleißig eingeübt hatte, freilich aber bei stehenden
Schiffen. Die Bewegung macht nun zwar einen Unterschied, doch war er
bei der ruhigen See nicht groß, für mich gar keiner; die größte Schwierig,
den ist die. daß man. um auf den Mastkorb zu kommen, mit dem Rücken
nach unten schwebend, die Leiter ersteigen muß; herunter war die Sache viel
schwieriger noch. Ich, war kaum oben und schaute mich behaglich um, als
mein Hauptmann aus der Kajüte trat und mit Schrecken mich da oben be¬
merkte. Er befahl mir herunter zu kommen; des sagte, ich fürchtete mich, er
würde mich fuchteln. So fing eine Kapitulation an, und erst dann, als
er mir versprochen, mir nichts zu thun, wobei einige Offiziere, welche die
Sache im hohen Grade amüsirte. sich für mich verwendeten, kletterte ich wie¬
der herunter. Er empfing mich, nahm mich beim Arm, hörte nicht darauf,
als ich ihm sagte, ich habe das in Neusahrwasser eingeübt, und sprach:


gegangen, um Meldung über sein glückliches Entkommen mit seinen Truppen
aus Neufahrwasser zu machen. Er kam nach 2 oder 3 Tagen zurück, aber
in seinem Aeußern so verändert, daß er kaum zu erkennen war; er hatte eine
ganz neue Uniform an, ohne Rabatten, mit 2 Reihen Knöpfen, wie sie die
russischen Offiziere trugen, wattirt mit hoher Brust, und der Zopf, der Ge¬
genstand meiner Sorge, war abgeschnitten! Denselben Tag noch oder den
nächsten wurde bekannt gemacht, daß Zöpfe hinfort nicht mehr getragen wer¬
den sollten. Es war ein trauriger Aufenthalt, einige große alte Kiefern
waren das einzige Grün, das wir sahen, die Verpflegung war schlecht und
hätte sehr gut sein können, wenn die Habsucht der-Engländer sie nicht zu der
Nichtswürdigkeit verleitet gehabt hätte, das schöne Schweinefleisch mit Hand-
hohem Speck dadurch ungenießbar zu machen, daß sie Fischthran-Tonnen,,zum
Einpökeln genommen hatten. Zu essen war es gar nicht, nur das ausge¬
bratene Fett war einigermaßen genießbar, so daß es zum Schnalzen des
Essens verwandt werden konnte. Auf den großen Kiefern nisteten viele Krähen,
es gelang mir ein paar Mal mit Hilfe meines Burschen Krähennester mit flüggen
Jungen auszmrehmen, die gekocht wie junge Tauben schmeckten, nachdem ih¬
nen die Hallt mit sammt den Federn abgezogen worden. Wenn man so
Monate lang nichts als gesalznes Fleisch zu essen hat. ist eine solche Ab¬
wechselung, und wenn es auch nur junge Krähen sind, eine wahre Er-
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Wir blieben vom 27. Mai bis 14. Juni auf der frischen Nehrung
stehen, also bis einige Tage nach der Schlacht von Friedland, der letzten in
diesem unglücklichen Kriege, die leider auch verloren ging, und wurden nun
wieder eingeschifft und nach Memel transportirt. Es war wunderschönes
Wetter, aber der Wind nicht ganz günstig, so daß wir laviren mußten. Da
konnte ich der Lust nicht widerstehen, in den Mastkorb zu klettern, was ich
in Neufahrwasscr bereits fleißig eingeübt hatte, freilich aber bei stehenden
Schiffen. Die Bewegung macht nun zwar einen Unterschied, doch war er
bei der ruhigen See nicht groß, für mich gar keiner; die größte Schwierig,
den ist die. daß man. um auf den Mastkorb zu kommen, mit dem Rücken
nach unten schwebend, die Leiter ersteigen muß; herunter war die Sache viel
schwieriger noch. Ich, war kaum oben und schaute mich behaglich um, als
mein Hauptmann aus der Kajüte trat und mit Schrecken mich da oben be¬
merkte. Er befahl mir herunter zu kommen; des sagte, ich fürchtete mich, er
würde mich fuchteln. So fing eine Kapitulation an, und erst dann, als
er mir versprochen, mir nichts zu thun, wobei einige Offiziere, welche die
Sache im hohen Grade amüsirte. sich für mich verwendeten, kletterte ich wie¬
der herunter. Er empfing mich, nahm mich beim Arm, hörte nicht darauf,
als ich ihm sagte, ich habe das in Neusahrwasser eingeübt, und sprach:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/68>, abgerufen am 23.07.2024.