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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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eigene Capitulation abschließen, was auch geschah. Ein französischer Parla¬
mentair kam deshalb nach Weichselmünde, von Fahrwasser war der Haupt¬
mann von N...... . vom Obersten von Schuler damit beauftragt, der,
wie ich nachher erfuhr, den Befehl hatte, die Capitulation in die Länge zu
ziehen und darauf zu bestehen, daß die Besatzung nicht der Verpflichtung un¬
terliegen solle, ein Jahr gegen Frankreich nicht zu dienen.'

Am 26. Mai begannen diese Unterhandlungen und dader königliche Be¬
fehl eingetroffen war, daß die Besatzung eingeschifft werden sollte, so war
damit gleich begonnen und gegen Abend diese Einschiffung beendet worden.
Von den Transportschiffen, welche die Russen gebracht hatten, waren noch
genug übrig, um uns aufzunehmen; denn es waren ja bei dem Versuch, den
Holm wieder zu nehmen, eine Menge derselben geblieben. Alles war nun
zum Abfahren bereit, die Anker gelichtet, und immer noch kam unser Parla¬
mentair nicht zurück. Da nun nicht länger gezaudert werden konnte, so
wurde der Befehl zum Absegeln gegeben, die Schiffe verließen den Hafen.
Das Schiff, auf welchem der Oberst von Schuler sich befand und auf dem
auch ich war, blieb das letzte, es war bereits nahe an der Mündung des
Hafens, als auf dem Hafendamm ein Offizier, den man an dem weißen
Federbusch als solchen erkannte, gelaufen kam, ein Papier in der Hand, mit
welchem er winkte. Man hielt ihn für unsern Parlemcntair-Hauptmann,
und es wurde ein Boot ausgesetzt ihn aufzunehmen. Dies Letztere geschah,
und das Boot erreichte das Schiff am Ausgang des Hafens. Der Haupt-
mann war ganz athemlos; als er auf's Verdeck kam, wandte er sich voller
Entrüstung an den Obersten und machte ihm Vorwürfe, daß er ihn um Stich
gelassen. Der Oberst erwiederte : "Sie blieben auch gar zu lange, ich konnte
nicht länger warten." -- "Aber wenn Sie nun fortgewesen wären, so war es
um mich geschehen, hier ist die Capitulation." -- Der Oberst: "die gilt nicht;
denn ich habe sie noch nicht unterzeichnet." "Das schadet nichts, ich war
verloren," indem er an seinen Hals wies, "und habe Frau und Kinder." --
"Nun für die wäre gesorgt worden; Einer für Alle!" -- damit mußte sich der
Hauptmann zufrieden geben, indem der Oberst hinzufügte: "glücklicher Weise
sind Sie da!"

So wurde denn die Nacht hindurch die Reise nach Pillau fortgesetzt, wo wir
des Morgens ankamen. Ich weiß nicht mehr gewiß, ob wir in Pillau ausgeschifft
wurden, nur dessen erinnere ich mich, daß einige Offiziere an's Land gingen
und mich mitnahmen, so daß ich fast den ganzen Tag in Pillau war, und
viele mir ganz neue Eigenthümlichkeiten dieser kleinen Seestadt und Festung
zu bewundern hatte, so daß mir die Zeit nur zu geschwind verging. Abends
wurden wir auf die frische Nehrung übergesetzt und bezogen die Vorposten
den Franzosen gegenüber. Unser Oberst war nach Königsberg zum König
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eigene Capitulation abschließen, was auch geschah. Ein französischer Parla¬
mentair kam deshalb nach Weichselmünde, von Fahrwasser war der Haupt¬
mann von N...... . vom Obersten von Schuler damit beauftragt, der,
wie ich nachher erfuhr, den Befehl hatte, die Capitulation in die Länge zu
ziehen und darauf zu bestehen, daß die Besatzung nicht der Verpflichtung un¬
terliegen solle, ein Jahr gegen Frankreich nicht zu dienen.'

Am 26. Mai begannen diese Unterhandlungen und dader königliche Be¬
fehl eingetroffen war, daß die Besatzung eingeschifft werden sollte, so war
damit gleich begonnen und gegen Abend diese Einschiffung beendet worden.
Von den Transportschiffen, welche die Russen gebracht hatten, waren noch
genug übrig, um uns aufzunehmen; denn es waren ja bei dem Versuch, den
Holm wieder zu nehmen, eine Menge derselben geblieben. Alles war nun
zum Abfahren bereit, die Anker gelichtet, und immer noch kam unser Parla¬
mentair nicht zurück. Da nun nicht länger gezaudert werden konnte, so
wurde der Befehl zum Absegeln gegeben, die Schiffe verließen den Hafen.
Das Schiff, auf welchem der Oberst von Schuler sich befand und auf dem
auch ich war, blieb das letzte, es war bereits nahe an der Mündung des
Hafens, als auf dem Hafendamm ein Offizier, den man an dem weißen
Federbusch als solchen erkannte, gelaufen kam, ein Papier in der Hand, mit
welchem er winkte. Man hielt ihn für unsern Parlemcntair-Hauptmann,
und es wurde ein Boot ausgesetzt ihn aufzunehmen. Dies Letztere geschah,
und das Boot erreichte das Schiff am Ausgang des Hafens. Der Haupt-
mann war ganz athemlos; als er auf's Verdeck kam, wandte er sich voller
Entrüstung an den Obersten und machte ihm Vorwürfe, daß er ihn um Stich
gelassen. Der Oberst erwiederte : „Sie blieben auch gar zu lange, ich konnte
nicht länger warten." — „Aber wenn Sie nun fortgewesen wären, so war es
um mich geschehen, hier ist die Capitulation." — Der Oberst: „die gilt nicht;
denn ich habe sie noch nicht unterzeichnet." „Das schadet nichts, ich war
verloren," indem er an seinen Hals wies, „und habe Frau und Kinder." —
„Nun für die wäre gesorgt worden; Einer für Alle!" — damit mußte sich der
Hauptmann zufrieden geben, indem der Oberst hinzufügte: „glücklicher Weise
sind Sie da!"

So wurde denn die Nacht hindurch die Reise nach Pillau fortgesetzt, wo wir
des Morgens ankamen. Ich weiß nicht mehr gewiß, ob wir in Pillau ausgeschifft
wurden, nur dessen erinnere ich mich, daß einige Offiziere an's Land gingen
und mich mitnahmen, so daß ich fast den ganzen Tag in Pillau war, und
viele mir ganz neue Eigenthümlichkeiten dieser kleinen Seestadt und Festung
zu bewundern hatte, so daß mir die Zeit nur zu geschwind verging. Abends
wurden wir auf die frische Nehrung übergesetzt und bezogen die Vorposten
den Franzosen gegenüber. Unser Oberst war nach Königsberg zum König
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[0067] eigene Capitulation abschließen, was auch geschah. Ein französischer Parla¬ mentair kam deshalb nach Weichselmünde, von Fahrwasser war der Haupt¬ mann von N...... . vom Obersten von Schuler damit beauftragt, der, wie ich nachher erfuhr, den Befehl hatte, die Capitulation in die Länge zu ziehen und darauf zu bestehen, daß die Besatzung nicht der Verpflichtung un¬ terliegen solle, ein Jahr gegen Frankreich nicht zu dienen.' Am 26. Mai begannen diese Unterhandlungen und dader königliche Be¬ fehl eingetroffen war, daß die Besatzung eingeschifft werden sollte, so war damit gleich begonnen und gegen Abend diese Einschiffung beendet worden. Von den Transportschiffen, welche die Russen gebracht hatten, waren noch genug übrig, um uns aufzunehmen; denn es waren ja bei dem Versuch, den Holm wieder zu nehmen, eine Menge derselben geblieben. Alles war nun zum Abfahren bereit, die Anker gelichtet, und immer noch kam unser Parla¬ mentair nicht zurück. Da nun nicht länger gezaudert werden konnte, so wurde der Befehl zum Absegeln gegeben, die Schiffe verließen den Hafen. Das Schiff, auf welchem der Oberst von Schuler sich befand und auf dem auch ich war, blieb das letzte, es war bereits nahe an der Mündung des Hafens, als auf dem Hafendamm ein Offizier, den man an dem weißen Federbusch als solchen erkannte, gelaufen kam, ein Papier in der Hand, mit welchem er winkte. Man hielt ihn für unsern Parlemcntair-Hauptmann, und es wurde ein Boot ausgesetzt ihn aufzunehmen. Dies Letztere geschah, und das Boot erreichte das Schiff am Ausgang des Hafens. Der Haupt- mann war ganz athemlos; als er auf's Verdeck kam, wandte er sich voller Entrüstung an den Obersten und machte ihm Vorwürfe, daß er ihn um Stich gelassen. Der Oberst erwiederte : „Sie blieben auch gar zu lange, ich konnte nicht länger warten." — „Aber wenn Sie nun fortgewesen wären, so war es um mich geschehen, hier ist die Capitulation." — Der Oberst: „die gilt nicht; denn ich habe sie noch nicht unterzeichnet." „Das schadet nichts, ich war verloren," indem er an seinen Hals wies, „und habe Frau und Kinder." — „Nun für die wäre gesorgt worden; Einer für Alle!" — damit mußte sich der Hauptmann zufrieden geben, indem der Oberst hinzufügte: „glücklicher Weise sind Sie da!" So wurde denn die Nacht hindurch die Reise nach Pillau fortgesetzt, wo wir des Morgens ankamen. Ich weiß nicht mehr gewiß, ob wir in Pillau ausgeschifft wurden, nur dessen erinnere ich mich, daß einige Offiziere an's Land gingen und mich mitnahmen, so daß ich fast den ganzen Tag in Pillau war, und viele mir ganz neue Eigenthümlichkeiten dieser kleinen Seestadt und Festung zu bewundern hatte, so daß mir die Zeit nur zu geschwind verging. Abends wurden wir auf die frische Nehrung übergesetzt und bezogen die Vorposten den Franzosen gegenüber. Unser Oberst war nach Königsberg zum König ' 8*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/67>, abgerufen am 23.07.2024.