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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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standen bald' bis an die Knöchel im Wasser Die Schiffer riefen uns zu, das
Wasser auszuschöpfen, es blieb uns nichts übrig, als daß .Köhlhorn seinen
Hut und ich meinen Tschacko als Eimer benutzten, und dennoch konnten wir
des Wassers nur Mit der größten Mühe und angestrengtesten Arbeit Herr
werden. Zwei ganze Stunden dauerte es, ehe wir das Land erreichten, und
dann mußten wir noch in einem kleinen aus einem Baumstamm gemachten
Nacken über die Weichsel, die ungeheure Wellen schlug. Endlich waren wir
aus dem Trocknen, und nun von Angst und Arbeit erschöpft, sank ich auf
meine Knie nieder und dankte Gott inbrünstig für meine Rettung. Nie
werde ich diese Fahrt vergessen, was war diese für ein Desert auf die im
dänischen Schiff genossene Mahlzeit! -- Glücklicher Weise hatte Niemand den
Zweck meines nachgesuchten Urlaubs erfahren, und so war ich wenigstens vor
den Nachwehen, den Verweisen, gesichert.

Anfangs Mai hatte sich das Gerücht verbreitet, es würde ein bedeutendes
russisches Corps zur See ankommen, um uns Entsatz zu bringen; dies bestä¬
tigte sich; den 11. Mai kam eine große Flotte an, es waren über dreißig
Schiffe, und wir dachten Wunder wie viel 20,000 Mann da ankamen, konnten
das auch beim Ausschiffen nicht beurtheilen, wenigstens ich nicht, denn es
wimmelte von Menschen und Pferden. Es waren aber nur 5000 Mann unter
dem russischen General Kaminskow.

Am 16. Mai, so lange brauchte man zur Ausschiffung und zum Ueber¬
setzen nach Weichselmünde, wurde von hier ans mit diesen Truppen der Ver¬
such gemacht, l^en Holm wieder zu nehmen; wenn dies gelänge, sollten sie
nach Danzig zur Verstärkung der Garnison marschiren. Früh um 4 Uhr wurden
die Franzosen angegriffen, aber nach einem sechsstündigen sehr blutigen Ge-
fecht mußte der Rückzug, der übrigens in der besten Ordnung erfolgte, ange¬
treten werden. Die Russen hatten einen Verlust von 55 Offizieren und 1317
Mann an Todten und Verwundeten, die Preußen von 6 Offizieren und 152
Mann. So war denn auch diese Hoffnung vernichtet!

Jetzt kam man aus die Idee, da es in der Festung an Pulver und
Hafer fehlte, den Versuch zu machen, mit einer von den englischen Fregatten
die Weichsel hinauf nach der Stadt zu segeln und Munition in dieselbe zu
bringen. Das kleinste Schiff, eine Korvette, der Dountleß, wurde dazu be¬
stimmt, die Gegenvorstellungen des Capitän Chatam wurden durch die russischen
Generale zurückgewiesen und die Vorbereitungen getroffen. Die Corvette, mit
22 achtzehnpfündigen Caronaden armirt. ging 18 Fuß im Wasser, die
Schleuße, die sie passiren mußte, hatte nur eine Tiefe von 14 Fuß, es mußte
also ausgeladen und jenseits der Schleuße wieder eingeladen werden, wobei
die Garnison half. Endlich war um 4 Uhr Nachmittags Alles bereit, der
Wind war günstig. Es war ein prächtiger Anblick, das schöne Schiff mit


Grenzboten I. 1862. 8

standen bald' bis an die Knöchel im Wasser Die Schiffer riefen uns zu, das
Wasser auszuschöpfen, es blieb uns nichts übrig, als daß .Köhlhorn seinen
Hut und ich meinen Tschacko als Eimer benutzten, und dennoch konnten wir
des Wassers nur Mit der größten Mühe und angestrengtesten Arbeit Herr
werden. Zwei ganze Stunden dauerte es, ehe wir das Land erreichten, und
dann mußten wir noch in einem kleinen aus einem Baumstamm gemachten
Nacken über die Weichsel, die ungeheure Wellen schlug. Endlich waren wir
aus dem Trocknen, und nun von Angst und Arbeit erschöpft, sank ich auf
meine Knie nieder und dankte Gott inbrünstig für meine Rettung. Nie
werde ich diese Fahrt vergessen, was war diese für ein Desert auf die im
dänischen Schiff genossene Mahlzeit! — Glücklicher Weise hatte Niemand den
Zweck meines nachgesuchten Urlaubs erfahren, und so war ich wenigstens vor
den Nachwehen, den Verweisen, gesichert.

Anfangs Mai hatte sich das Gerücht verbreitet, es würde ein bedeutendes
russisches Corps zur See ankommen, um uns Entsatz zu bringen; dies bestä¬
tigte sich; den 11. Mai kam eine große Flotte an, es waren über dreißig
Schiffe, und wir dachten Wunder wie viel 20,000 Mann da ankamen, konnten
das auch beim Ausschiffen nicht beurtheilen, wenigstens ich nicht, denn es
wimmelte von Menschen und Pferden. Es waren aber nur 5000 Mann unter
dem russischen General Kaminskow.

Am 16. Mai, so lange brauchte man zur Ausschiffung und zum Ueber¬
setzen nach Weichselmünde, wurde von hier ans mit diesen Truppen der Ver¬
such gemacht, l^en Holm wieder zu nehmen; wenn dies gelänge, sollten sie
nach Danzig zur Verstärkung der Garnison marschiren. Früh um 4 Uhr wurden
die Franzosen angegriffen, aber nach einem sechsstündigen sehr blutigen Ge-
fecht mußte der Rückzug, der übrigens in der besten Ordnung erfolgte, ange¬
treten werden. Die Russen hatten einen Verlust von 55 Offizieren und 1317
Mann an Todten und Verwundeten, die Preußen von 6 Offizieren und 152
Mann. So war denn auch diese Hoffnung vernichtet!

Jetzt kam man aus die Idee, da es in der Festung an Pulver und
Hafer fehlte, den Versuch zu machen, mit einer von den englischen Fregatten
die Weichsel hinauf nach der Stadt zu segeln und Munition in dieselbe zu
bringen. Das kleinste Schiff, eine Korvette, der Dountleß, wurde dazu be¬
stimmt, die Gegenvorstellungen des Capitän Chatam wurden durch die russischen
Generale zurückgewiesen und die Vorbereitungen getroffen. Die Corvette, mit
22 achtzehnpfündigen Caronaden armirt. ging 18 Fuß im Wasser, die
Schleuße, die sie passiren mußte, hatte nur eine Tiefe von 14 Fuß, es mußte
also ausgeladen und jenseits der Schleuße wieder eingeladen werden, wobei
die Garnison half. Endlich war um 4 Uhr Nachmittags Alles bereit, der
Wind war günstig. Es war ein prächtiger Anblick, das schöne Schiff mit


Grenzboten I. 1862. 8
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/65>, abgerufen am 23.07.2024.