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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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März marschirten wir nach Neufahrwasser über den Holm, die Besatzung war
beinah 1300 Mann stark, bestand aus unsern Füsilierbataillon, dem Krockow-
schen Freicorps, einem neu errichteten Neservebatcnllon und 1 oder 2 russischen
Bataillonen, auch Kosaken, unter denen sich Kalmücken befanoen, die durch
ihre eigenthümliche Gesichtsbildung mehr noch als die Kosuken meine Auf¬
merksamkeit erregten. Sie luden mich bisweilen zu einem Gericht Pferde¬
braten ein, das ihnen gewiß ein leckeres Mal war. Ich kostete aus Neu¬
gier davon, vermochte ihm aber keinen Geschmack abzugewinnen. Ueberhaupt
gab es in Neufahrwasser viel Neues für mich, die Ostsee, drei englische Fre¬
gatten, jede mit 22 ispfündigen Kanonen, die englischen Matrosen mit ihren
rothen wollenen Hemden, der Strand mit seinen Massen von Bernstein, den
ich fleißig suchte, von dem ich aber nie ein besonders großes Stück gefunden
habe. Alle Zeit, die ich vom Dienst frei hatte, brachte ich am Strande und
auf den Schiffen zu. Der Dienst war schwer, einen Tag um den andern
auf Wache und von der Wache des Abends aus Piket. Vier Wochen lang
war Msere Compagnie auf einer der Fregatten des Nachts die Besatzung,
um diese gegen einen nächtlichen Angriff auf Kähnen zu schützen, es ist aber
nie einer unternommen worden. An Geld fehlte es mir nicht, um meine klei¬
nen Bedürfnisse zu bestreiten; denn da ich meine Nationen nicht verzehren
konnte, ja mit sammt meinem Burschen an einer vollkommen genug hatte, so
wurde das Ersparte verkauft. Für ein Brod bekamen wir V- THIr.. für eine
Metze Erbsen 10 Sgr. Angegriffen wurden wir nicht, und wenn des Nachts
der Kanonendonner unaufhörlich rollte, so gewöhnten wir uns allmnlig so
daran, daß^ wenn er einmal nachließ, weil der Feind von Zeit zu Zeit seine
Munition sparen mußte, man nicht so gut schlief, weil es zu ruhig war. Wie
oft habe ich in den schönen Mai-Nächten dem Fliegen der Bomben und Gra¬
naten zugesehen, die sich begegneten, was man an den Zündern, die glühten,
ganz deutlich wahrnehmen konnte. Ich machte die Bekanntschaft eines Ober¬
feuerwerkers Namens Köhlhorn. eines gebildeten Mannes, der sich meiner.sehr
annahm und unter dessen Schutz und Aufsicht ich Alles sehen konnte, was
mich interessirte. Eine gräßliche Plage war das Ungeziefer in unsern Klei¬
dern, womit uns die Russen so reichlich beschenkt hatten und von welchem
ihren Ueberfluß sie uns noch täglich mittheilten, weil wir sehr häufig die
Wachen bezogen, die sie verließen; wir konnten uns desselben nicht erwehren.
Auch dem Exerciren eines russischen Bataillons sah ich mehremale zu. Nach¬
dem ich aber eines Tages Zeuge gewesen war, wie der Commandeur, ein
Major, auf einen Offizier, der als Point vorgetreten war und sich wahr¬
scheinlich nicht genau genug gerichtet hatte, zuritt und ihn vom Pferde herab
so ohrfeigte, daß ihm der Tschacko herunterfiel, ging ich empört weg. und sah
dem Exerciren der Russen nie mehr zu.


März marschirten wir nach Neufahrwasser über den Holm, die Besatzung war
beinah 1300 Mann stark, bestand aus unsern Füsilierbataillon, dem Krockow-
schen Freicorps, einem neu errichteten Neservebatcnllon und 1 oder 2 russischen
Bataillonen, auch Kosaken, unter denen sich Kalmücken befanoen, die durch
ihre eigenthümliche Gesichtsbildung mehr noch als die Kosuken meine Auf¬
merksamkeit erregten. Sie luden mich bisweilen zu einem Gericht Pferde¬
braten ein, das ihnen gewiß ein leckeres Mal war. Ich kostete aus Neu¬
gier davon, vermochte ihm aber keinen Geschmack abzugewinnen. Ueberhaupt
gab es in Neufahrwasser viel Neues für mich, die Ostsee, drei englische Fre¬
gatten, jede mit 22 ispfündigen Kanonen, die englischen Matrosen mit ihren
rothen wollenen Hemden, der Strand mit seinen Massen von Bernstein, den
ich fleißig suchte, von dem ich aber nie ein besonders großes Stück gefunden
habe. Alle Zeit, die ich vom Dienst frei hatte, brachte ich am Strande und
auf den Schiffen zu. Der Dienst war schwer, einen Tag um den andern
auf Wache und von der Wache des Abends aus Piket. Vier Wochen lang
war Msere Compagnie auf einer der Fregatten des Nachts die Besatzung,
um diese gegen einen nächtlichen Angriff auf Kähnen zu schützen, es ist aber
nie einer unternommen worden. An Geld fehlte es mir nicht, um meine klei¬
nen Bedürfnisse zu bestreiten; denn da ich meine Nationen nicht verzehren
konnte, ja mit sammt meinem Burschen an einer vollkommen genug hatte, so
wurde das Ersparte verkauft. Für ein Brod bekamen wir V- THIr.. für eine
Metze Erbsen 10 Sgr. Angegriffen wurden wir nicht, und wenn des Nachts
der Kanonendonner unaufhörlich rollte, so gewöhnten wir uns allmnlig so
daran, daß^ wenn er einmal nachließ, weil der Feind von Zeit zu Zeit seine
Munition sparen mußte, man nicht so gut schlief, weil es zu ruhig war. Wie
oft habe ich in den schönen Mai-Nächten dem Fliegen der Bomben und Gra¬
naten zugesehen, die sich begegneten, was man an den Zündern, die glühten,
ganz deutlich wahrnehmen konnte. Ich machte die Bekanntschaft eines Ober¬
feuerwerkers Namens Köhlhorn. eines gebildeten Mannes, der sich meiner.sehr
annahm und unter dessen Schutz und Aufsicht ich Alles sehen konnte, was
mich interessirte. Eine gräßliche Plage war das Ungeziefer in unsern Klei¬
dern, womit uns die Russen so reichlich beschenkt hatten und von welchem
ihren Ueberfluß sie uns noch täglich mittheilten, weil wir sehr häufig die
Wachen bezogen, die sie verließen; wir konnten uns desselben nicht erwehren.
Auch dem Exerciren eines russischen Bataillons sah ich mehremale zu. Nach¬
dem ich aber eines Tages Zeuge gewesen war, wie der Commandeur, ein
Major, auf einen Offizier, der als Point vorgetreten war und sich wahr¬
scheinlich nicht genau genug gerichtet hatte, zuritt und ihn vom Pferde herab
so ohrfeigte, daß ihm der Tschacko herunterfiel, ging ich empört weg. und sah
dem Exerciren der Russen nie mehr zu.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/63>, abgerufen am 23.07.2024.