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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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und zwar Seefische, mir etwas Neues gab, auch war das Kostgeld meinen
Verhältnissen angemessen.

Als ich erfuhr, daß das Infanterie-Regiment von Courbiere in Danzig
stand, bei welchem ein Bruder meines Vaters Hauptmann war, begab ich
mich in die Stadt und machte bald seine Wohnung ausfindig, fand ihn aber
nicht zu Hause. Betrübt trat ich den Rückweg an und sah mir jeden Offizier,
dem ich ohnehin die Honneurs machen mußte, genau an. Da kam denn auch
ein kleiner Mann in der Uniform des Regiments von Courbiere, welcher
meinem Vater so frappant ähnlich sah, daß ich sofort an ihn herantrat und
ihn fragte: ob er nicht der Hauptmann v. C. sei. Verwundert sah er mich
an, dann bejahte er meine Frage und wollte wissen, woher ich ihn kenne.
Ich sagte ihm, wer ich sei und daß ich eben bei ihm gewesen, ihn zu besuchen.
Fremd war ich ihm nicht, obwohl wir uns nie gesehen, aber vor dem Aus¬
marsch aus der Garnison hatte ich ihm geschrieben und er mir in seiner freund¬
lichen Antwort die nie vergessene Lehre gegeben: ich solle im Fall eines Krieges
treu meine Pflicht erfüllen und bedenken, daß die Kugel in der Brust nicht
weher thäte als die im Rücken; erstere bürge Ehre, letztere bedecke oft mit Schmach.
Er nahm mich mit in sein Quartier, wo ich ihm dann viel, besonders aber meine
Erlebnisse auf der Retirade erzählen mußte. Als ich mich empfahl, versprach er für
meine dringendsten Bedürfnisse zu sorgen. Nach zwei Tagen ging.ich wieder zu
ihm, da war er fort; .denn er hatte ein Commando so plötzlich erhalten, daß
er mich nicht einmal davon benachrichtigen konnte. Indeß hatte er mich seinen
Schwägern, dem damaligen Lieutenant und Adjutant im Regiment v. Diericke,
von H....., und dessen Brüdern, den Lieutenants v. H. im Regiment von
Courbiere, warm empfohlen, und diese nahmen sich metner mit seltener ver¬
wandtschaftlicher Liebe an, so lange ich in Danzig blieb. Einer von ihnen
lebt noch in Breslau als pensionirter Oberstlieutenant; dieser sorgte im Auf¬
trage meines Onkels für meine neue Bekleidung, und ich wäre nun ganz
glücklich gewesen, wenn nicht eine andere Sorge mein Herz bedrückt Hütte, die
so schwer auf mir lastete, als hätte ich wer weiß was begangen. Ich hatte
aber auch wirklich kein gutes Gewissen.

Aus meiner früheren Mittheilung wird sich der Leser erinnern, daß ich
in Nordhausen meinen Zopf abgeschnitten hatte, und das war ein beinahe
todeswürdiges Verbrechen zu damaliger Zeit, obwohl selbst mein Hauptmann
und viele junge Offiziere keinen mehr trugen. Nun war das in der Hast und
Aufregung des Rückzugs nicht beachtet worden, aber ich mußte der Entdeckung
Seitens unseres Commandeurs, des Obersten von Schuler, jederzeit gewärtig
sein, und für diesen Fall mußte ich mich, wenn der alte Herr es streng nehmen
wollte, auf ein Dutzend Fuchtel gefaßt machen. Alle Tage wurde die Parole
in unsrer Vorstadt Schiedlitz ausgegeben. Bei dieser hatte ich stets propre und


Grenzboten I. 1L62, 7

und zwar Seefische, mir etwas Neues gab, auch war das Kostgeld meinen
Verhältnissen angemessen.

Als ich erfuhr, daß das Infanterie-Regiment von Courbiere in Danzig
stand, bei welchem ein Bruder meines Vaters Hauptmann war, begab ich
mich in die Stadt und machte bald seine Wohnung ausfindig, fand ihn aber
nicht zu Hause. Betrübt trat ich den Rückweg an und sah mir jeden Offizier,
dem ich ohnehin die Honneurs machen mußte, genau an. Da kam denn auch
ein kleiner Mann in der Uniform des Regiments von Courbiere, welcher
meinem Vater so frappant ähnlich sah, daß ich sofort an ihn herantrat und
ihn fragte: ob er nicht der Hauptmann v. C. sei. Verwundert sah er mich
an, dann bejahte er meine Frage und wollte wissen, woher ich ihn kenne.
Ich sagte ihm, wer ich sei und daß ich eben bei ihm gewesen, ihn zu besuchen.
Fremd war ich ihm nicht, obwohl wir uns nie gesehen, aber vor dem Aus¬
marsch aus der Garnison hatte ich ihm geschrieben und er mir in seiner freund¬
lichen Antwort die nie vergessene Lehre gegeben: ich solle im Fall eines Krieges
treu meine Pflicht erfüllen und bedenken, daß die Kugel in der Brust nicht
weher thäte als die im Rücken; erstere bürge Ehre, letztere bedecke oft mit Schmach.
Er nahm mich mit in sein Quartier, wo ich ihm dann viel, besonders aber meine
Erlebnisse auf der Retirade erzählen mußte. Als ich mich empfahl, versprach er für
meine dringendsten Bedürfnisse zu sorgen. Nach zwei Tagen ging.ich wieder zu
ihm, da war er fort; .denn er hatte ein Commando so plötzlich erhalten, daß
er mich nicht einmal davon benachrichtigen konnte. Indeß hatte er mich seinen
Schwägern, dem damaligen Lieutenant und Adjutant im Regiment v. Diericke,
von H....., und dessen Brüdern, den Lieutenants v. H. im Regiment von
Courbiere, warm empfohlen, und diese nahmen sich metner mit seltener ver¬
wandtschaftlicher Liebe an, so lange ich in Danzig blieb. Einer von ihnen
lebt noch in Breslau als pensionirter Oberstlieutenant; dieser sorgte im Auf¬
trage meines Onkels für meine neue Bekleidung, und ich wäre nun ganz
glücklich gewesen, wenn nicht eine andere Sorge mein Herz bedrückt Hütte, die
so schwer auf mir lastete, als hätte ich wer weiß was begangen. Ich hatte
aber auch wirklich kein gutes Gewissen.

Aus meiner früheren Mittheilung wird sich der Leser erinnern, daß ich
in Nordhausen meinen Zopf abgeschnitten hatte, und das war ein beinahe
todeswürdiges Verbrechen zu damaliger Zeit, obwohl selbst mein Hauptmann
und viele junge Offiziere keinen mehr trugen. Nun war das in der Hast und
Aufregung des Rückzugs nicht beachtet worden, aber ich mußte der Entdeckung
Seitens unseres Commandeurs, des Obersten von Schuler, jederzeit gewärtig
sein, und für diesen Fall mußte ich mich, wenn der alte Herr es streng nehmen
wollte, auf ein Dutzend Fuchtel gefaßt machen. Alle Tage wurde die Parole
in unsrer Vorstadt Schiedlitz ausgegeben. Bei dieser hatte ich stets propre und


Grenzboten I. 1L62, 7
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/57>, abgerufen am 28.12.2024.