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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Sie kamen deshalb in die Lage, persönliche Stimmungen der höchsten Staats¬
autorität zu hoch anzuschlagen, und nicht deutlich genug zu empfinden, wohin
unten im Volke, die Strömung ging. Und während sie sich vorzugsweise als
Diener eines geliebten Herrn fühlten, untergruben sie selbst die Wurzeln ihrer
Kraft und ihres Einflusses bei demselben, weil sie zu sehr versäumten, sich ihm
gegenüber als Führer einer großen Richtung und Partei im Staatsleben geltend zu
machen. Dazu kam ein andrer Uebelstand. Wer vermitteln will zwischen Krone und
Volk, der muß nicht nur seines Einflusses auf Beide sicher fein, und das waren sie
durchaus nicht, -- er muß außerdem selbst ein so großes und festes Verständniß des
Nothwendigen haben, daß er die Gegensätze beider Parteien in sich aufnimmt und
durch höhere Gesichtspunkte überwindet. Die liberalen Minister aber, zu ihren
College" in stillem Gegensatz, in offenem Zwiespalt mit dem Einfluß der Hofcoterien
und einem Theil der nächsten Umgebung des Thrones, auf Beamte ihrer eige¬
nen Bureaux angewiesen, welche nur in kleiner Minderzahl tüchtig, in der
Mehrzahl beschränkt und widerwillig sogar gegen sie arbeiteten, waren selbst in
ihren eigenen Ministerien selten in der Lage, ihre Ueberzeugungen ganz durchzusetzen,
und waren doch an einer gründlichen Beseitigung dieser störenden Einwirkungen
durch denselben hohen Willen verhindert, der ihnen ihr Amt verliehen hatte,
Wie sehr diese kleinen Leiden stilles Widerstreben, Mangel an Zucht und
Disciplin hinderten, störten, ärgerten, das konnte, wer näher zusah, fast bei
jeder Maßregel erkennen, die sie durchzusetzen suchten. So lange die Minister
im Amte waren, mußten sie vor der Welt die Schuld tragen, jetzt, da 'sie sich
von ihrem Amte gelöst haben, dürfen wir ihnen sagen, wie wir sehr wohl
wußten, daß sie ein Martyrium in stiller Pflichttreue ertragen haben. And wir
haben nicht mehr Veranlassung zu bcrnthcilen. ob sie bei größerer Ent¬
schlossenheit und festem Zusammenhalten nicht wenigstens einen Theil dieser
Hemmnisse einer alten verdorbenen Maschinerie beseitigt hätten.

Wer durch Alter, Temperament und bürgerliche Stellung veranlaßt wurde,
eine sturmlose Entwickelung des preußischen Lerfassungslebens unter denselben
wohlwollenden Ministern für wünschenswerth zu halten, der hätte sich allerdings
gefreut, die Liberalen, durch Gesinnungsgenossen verstärkt, jetzt in Mem'ver¬
jüngten Ministerium in kräftigerer Wirksamkeit zu sehen. Aber auch wenn
Aussicht dagewesen wäre, dieser Wunsch konnte nicht ohne eine heimliche
Sorge sein. Denn ein neues liberales Ministerium wäre in der gegenwär¬
tigen Lage nur durch einen neuen Compromiß seiner Ueberzeugungen mit den
Stimmungen der Krone zur Regierung gekommen. Die Minister aber hätten
unter solchen Umständen nicht Macht genug gehabt, alles das zu gewähren,
was jetzt ein Ministerium verheißen muß. welches die aufwogende öffentliche Mei¬
nung beherrschen und den jugendlichen Drang im Volke, der sich heischend erhöht,
zur Besonnenheit zurückführen will. Und die öffentliche Meinung Mit ihrem Ver-


Sie kamen deshalb in die Lage, persönliche Stimmungen der höchsten Staats¬
autorität zu hoch anzuschlagen, und nicht deutlich genug zu empfinden, wohin
unten im Volke, die Strömung ging. Und während sie sich vorzugsweise als
Diener eines geliebten Herrn fühlten, untergruben sie selbst die Wurzeln ihrer
Kraft und ihres Einflusses bei demselben, weil sie zu sehr versäumten, sich ihm
gegenüber als Führer einer großen Richtung und Partei im Staatsleben geltend zu
machen. Dazu kam ein andrer Uebelstand. Wer vermitteln will zwischen Krone und
Volk, der muß nicht nur seines Einflusses auf Beide sicher fein, und das waren sie
durchaus nicht, — er muß außerdem selbst ein so großes und festes Verständniß des
Nothwendigen haben, daß er die Gegensätze beider Parteien in sich aufnimmt und
durch höhere Gesichtspunkte überwindet. Die liberalen Minister aber, zu ihren
College» in stillem Gegensatz, in offenem Zwiespalt mit dem Einfluß der Hofcoterien
und einem Theil der nächsten Umgebung des Thrones, auf Beamte ihrer eige¬
nen Bureaux angewiesen, welche nur in kleiner Minderzahl tüchtig, in der
Mehrzahl beschränkt und widerwillig sogar gegen sie arbeiteten, waren selbst in
ihren eigenen Ministerien selten in der Lage, ihre Ueberzeugungen ganz durchzusetzen,
und waren doch an einer gründlichen Beseitigung dieser störenden Einwirkungen
durch denselben hohen Willen verhindert, der ihnen ihr Amt verliehen hatte,
Wie sehr diese kleinen Leiden stilles Widerstreben, Mangel an Zucht und
Disciplin hinderten, störten, ärgerten, das konnte, wer näher zusah, fast bei
jeder Maßregel erkennen, die sie durchzusetzen suchten. So lange die Minister
im Amte waren, mußten sie vor der Welt die Schuld tragen, jetzt, da 'sie sich
von ihrem Amte gelöst haben, dürfen wir ihnen sagen, wie wir sehr wohl
wußten, daß sie ein Martyrium in stiller Pflichttreue ertragen haben. And wir
haben nicht mehr Veranlassung zu bcrnthcilen. ob sie bei größerer Ent¬
schlossenheit und festem Zusammenhalten nicht wenigstens einen Theil dieser
Hemmnisse einer alten verdorbenen Maschinerie beseitigt hätten.

Wer durch Alter, Temperament und bürgerliche Stellung veranlaßt wurde,
eine sturmlose Entwickelung des preußischen Lerfassungslebens unter denselben
wohlwollenden Ministern für wünschenswerth zu halten, der hätte sich allerdings
gefreut, die Liberalen, durch Gesinnungsgenossen verstärkt, jetzt in Mem'ver¬
jüngten Ministerium in kräftigerer Wirksamkeit zu sehen. Aber auch wenn
Aussicht dagewesen wäre, dieser Wunsch konnte nicht ohne eine heimliche
Sorge sein. Denn ein neues liberales Ministerium wäre in der gegenwär¬
tigen Lage nur durch einen neuen Compromiß seiner Ueberzeugungen mit den
Stimmungen der Krone zur Regierung gekommen. Die Minister aber hätten
unter solchen Umständen nicht Macht genug gehabt, alles das zu gewähren,
was jetzt ein Ministerium verheißen muß. welches die aufwogende öffentliche Mei¬
nung beherrschen und den jugendlichen Drang im Volke, der sich heischend erhöht,
zur Besonnenheit zurückführen will. Und die öffentliche Meinung Mit ihrem Ver-


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[0530] Sie kamen deshalb in die Lage, persönliche Stimmungen der höchsten Staats¬ autorität zu hoch anzuschlagen, und nicht deutlich genug zu empfinden, wohin unten im Volke, die Strömung ging. Und während sie sich vorzugsweise als Diener eines geliebten Herrn fühlten, untergruben sie selbst die Wurzeln ihrer Kraft und ihres Einflusses bei demselben, weil sie zu sehr versäumten, sich ihm gegenüber als Führer einer großen Richtung und Partei im Staatsleben geltend zu machen. Dazu kam ein andrer Uebelstand. Wer vermitteln will zwischen Krone und Volk, der muß nicht nur seines Einflusses auf Beide sicher fein, und das waren sie durchaus nicht, — er muß außerdem selbst ein so großes und festes Verständniß des Nothwendigen haben, daß er die Gegensätze beider Parteien in sich aufnimmt und durch höhere Gesichtspunkte überwindet. Die liberalen Minister aber, zu ihren College» in stillem Gegensatz, in offenem Zwiespalt mit dem Einfluß der Hofcoterien und einem Theil der nächsten Umgebung des Thrones, auf Beamte ihrer eige¬ nen Bureaux angewiesen, welche nur in kleiner Minderzahl tüchtig, in der Mehrzahl beschränkt und widerwillig sogar gegen sie arbeiteten, waren selbst in ihren eigenen Ministerien selten in der Lage, ihre Ueberzeugungen ganz durchzusetzen, und waren doch an einer gründlichen Beseitigung dieser störenden Einwirkungen durch denselben hohen Willen verhindert, der ihnen ihr Amt verliehen hatte, Wie sehr diese kleinen Leiden stilles Widerstreben, Mangel an Zucht und Disciplin hinderten, störten, ärgerten, das konnte, wer näher zusah, fast bei jeder Maßregel erkennen, die sie durchzusetzen suchten. So lange die Minister im Amte waren, mußten sie vor der Welt die Schuld tragen, jetzt, da 'sie sich von ihrem Amte gelöst haben, dürfen wir ihnen sagen, wie wir sehr wohl wußten, daß sie ein Martyrium in stiller Pflichttreue ertragen haben. And wir haben nicht mehr Veranlassung zu bcrnthcilen. ob sie bei größerer Ent¬ schlossenheit und festem Zusammenhalten nicht wenigstens einen Theil dieser Hemmnisse einer alten verdorbenen Maschinerie beseitigt hätten. Wer durch Alter, Temperament und bürgerliche Stellung veranlaßt wurde, eine sturmlose Entwickelung des preußischen Lerfassungslebens unter denselben wohlwollenden Ministern für wünschenswerth zu halten, der hätte sich allerdings gefreut, die Liberalen, durch Gesinnungsgenossen verstärkt, jetzt in Mem'ver¬ jüngten Ministerium in kräftigerer Wirksamkeit zu sehen. Aber auch wenn Aussicht dagewesen wäre, dieser Wunsch konnte nicht ohne eine heimliche Sorge sein. Denn ein neues liberales Ministerium wäre in der gegenwär¬ tigen Lage nur durch einen neuen Compromiß seiner Ueberzeugungen mit den Stimmungen der Krone zur Regierung gekommen. Die Minister aber hätten unter solchen Umständen nicht Macht genug gehabt, alles das zu gewähren, was jetzt ein Ministerium verheißen muß. welches die aufwogende öffentliche Mei¬ nung beherrschen und den jugendlichen Drang im Volke, der sich heischend erhöht, zur Besonnenheit zurückführen will. Und die öffentliche Meinung Mit ihrem Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/530>, abgerufen am 23.07.2024.