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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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harren. Wir besitzen ausführliche Berichte über Brunelleschi's Wirken und
können aus Leo Bald. Alberti's Buche überdie Architektur unmittelbare Einsicht
in dieses Universalmannes künstlerische Grundsätze schöpfen. Messungen und
Verzeichnungen der vereinzelten Bauglieder, um die schönen an ihnen bemerk¬
baren Verhältnisse, den einfachen und doch so reichen Schmuck an denselben
zu verstehen, bilden vorzugsweise Brunelleschi's Beschäftigung. Ebenso ist bei
Alberti das technisch-mathematische Interesse an den römischen Bauresten jedes
andere überragend. Eine schön geführte Fruchtschnur, ein in leisen und un¬
gezwungenen Linien sich bewegendes Ornament, die feine Gliederung eines Ge¬
simses, das gefällige Maß der einzelnen Glieder: das erweckt eine förmliche Be¬
geisterung und berauscht die vor Allem auf das Harmonische und Rhythmische
gerichtete Phantasie, die alte Kunst aber zu restauriren, oder sie im Ganzen und
Großen wieder zu beleben und in der Gegenwart einzuführen, kommt Keinem
ernst in den Sinn. Wie ein Freund der schönen Natur etwa eine schöne Blume
liebt und genießt, an ihrem Dasein sich erfreut und mit diesem Dasein sich
begnügt, in derselben naiven Weise treten die Nenaissancekünstler der Antike ent¬
gegen. Kein gröberer Irrthum als die Meinung, als wäre schon damals die
antike Kunstschönheit der wirklichen Natur als einzig giltiges Ideal gegenüber¬
gestellt worden, vielmehr ist gerade das unmerNiche Ineinanderfließen der Liebe
zur Natur und zur Antike, die gleichmäßige Behandlung beider für die Rich¬
tung der Renaissanceperiode charakteristisch. Es ist kein bloßer Zufall, daß der
Mann, der die Begeisterung für das Alterthum am weitesten trieb, daß Leo
B. Alberti gleichzeitig durch den feinsten Natursinn unter seinen Zeitgenossen
sich auszeichnet. Gerade dieses sympathische Mitleben mit der Natur, das ihn
weinen machte vor Freude bei dem Anblick schöner Bäume, und gesunden
ließ, wenn er sich in einer reizenden Landschaft bewegte, verlieh ihm auch für
das Verständniß und den Genuß der Antike die reichste Befähigung.

Nicht zur Natur, auch nicht zur gegenwärtigen Kunst stand die Antike im
Verhältnisse des Gegensatzes, und der Gedanke, der uns schier zur Verzweiflung
bringt, daß es auch der höchsten Krafteinsetzung nicht gelingen kann, der Antike
auch nur entfernt nahe zu kommen, war der letzte, der einen Renaissancekünst¬
ler bekümmerte.

Um zu diesen Betrachtungen zu gelangen und dadurch die eigene Schwung¬
kraft zu lähmen, fehlt es glücklicher Weise der Renaiffanceperivde an der. über¬
sichtlichen Kenntniß der Antike. Wohlgemut!) und zuversichtlich wird die schö¬
pferische Thätigkeit begonnen, von der Schönheit der Antike sich abschrecken zu
lassen, hieße gerade soviel, als auf die Anregungen der schönen Natur zu verzichten.
Dadurch aber wird das unmittelbare Anlehnen an die Antike, das reiche Ent¬
lehnen von derselben in hohem Grade erleichtert. Nichts wirkt bei der Be¬
trachtung der Renaissancekunst so überraschend' und scheint unseren Vorstellungen


harren. Wir besitzen ausführliche Berichte über Brunelleschi's Wirken und
können aus Leo Bald. Alberti's Buche überdie Architektur unmittelbare Einsicht
in dieses Universalmannes künstlerische Grundsätze schöpfen. Messungen und
Verzeichnungen der vereinzelten Bauglieder, um die schönen an ihnen bemerk¬
baren Verhältnisse, den einfachen und doch so reichen Schmuck an denselben
zu verstehen, bilden vorzugsweise Brunelleschi's Beschäftigung. Ebenso ist bei
Alberti das technisch-mathematische Interesse an den römischen Bauresten jedes
andere überragend. Eine schön geführte Fruchtschnur, ein in leisen und un¬
gezwungenen Linien sich bewegendes Ornament, die feine Gliederung eines Ge¬
simses, das gefällige Maß der einzelnen Glieder: das erweckt eine förmliche Be¬
geisterung und berauscht die vor Allem auf das Harmonische und Rhythmische
gerichtete Phantasie, die alte Kunst aber zu restauriren, oder sie im Ganzen und
Großen wieder zu beleben und in der Gegenwart einzuführen, kommt Keinem
ernst in den Sinn. Wie ein Freund der schönen Natur etwa eine schöne Blume
liebt und genießt, an ihrem Dasein sich erfreut und mit diesem Dasein sich
begnügt, in derselben naiven Weise treten die Nenaissancekünstler der Antike ent¬
gegen. Kein gröberer Irrthum als die Meinung, als wäre schon damals die
antike Kunstschönheit der wirklichen Natur als einzig giltiges Ideal gegenüber¬
gestellt worden, vielmehr ist gerade das unmerNiche Ineinanderfließen der Liebe
zur Natur und zur Antike, die gleichmäßige Behandlung beider für die Rich¬
tung der Renaissanceperiode charakteristisch. Es ist kein bloßer Zufall, daß der
Mann, der die Begeisterung für das Alterthum am weitesten trieb, daß Leo
B. Alberti gleichzeitig durch den feinsten Natursinn unter seinen Zeitgenossen
sich auszeichnet. Gerade dieses sympathische Mitleben mit der Natur, das ihn
weinen machte vor Freude bei dem Anblick schöner Bäume, und gesunden
ließ, wenn er sich in einer reizenden Landschaft bewegte, verlieh ihm auch für
das Verständniß und den Genuß der Antike die reichste Befähigung.

Nicht zur Natur, auch nicht zur gegenwärtigen Kunst stand die Antike im
Verhältnisse des Gegensatzes, und der Gedanke, der uns schier zur Verzweiflung
bringt, daß es auch der höchsten Krafteinsetzung nicht gelingen kann, der Antike
auch nur entfernt nahe zu kommen, war der letzte, der einen Renaissancekünst¬
ler bekümmerte.

Um zu diesen Betrachtungen zu gelangen und dadurch die eigene Schwung¬
kraft zu lähmen, fehlt es glücklicher Weise der Renaiffanceperivde an der. über¬
sichtlichen Kenntniß der Antike. Wohlgemut!) und zuversichtlich wird die schö¬
pferische Thätigkeit begonnen, von der Schönheit der Antike sich abschrecken zu
lassen, hieße gerade soviel, als auf die Anregungen der schönen Natur zu verzichten.
Dadurch aber wird das unmittelbare Anlehnen an die Antike, das reiche Ent¬
lehnen von derselben in hohem Grade erleichtert. Nichts wirkt bei der Be¬
trachtung der Renaissancekunst so überraschend' und scheint unseren Vorstellungen


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[0504] harren. Wir besitzen ausführliche Berichte über Brunelleschi's Wirken und können aus Leo Bald. Alberti's Buche überdie Architektur unmittelbare Einsicht in dieses Universalmannes künstlerische Grundsätze schöpfen. Messungen und Verzeichnungen der vereinzelten Bauglieder, um die schönen an ihnen bemerk¬ baren Verhältnisse, den einfachen und doch so reichen Schmuck an denselben zu verstehen, bilden vorzugsweise Brunelleschi's Beschäftigung. Ebenso ist bei Alberti das technisch-mathematische Interesse an den römischen Bauresten jedes andere überragend. Eine schön geführte Fruchtschnur, ein in leisen und un¬ gezwungenen Linien sich bewegendes Ornament, die feine Gliederung eines Ge¬ simses, das gefällige Maß der einzelnen Glieder: das erweckt eine förmliche Be¬ geisterung und berauscht die vor Allem auf das Harmonische und Rhythmische gerichtete Phantasie, die alte Kunst aber zu restauriren, oder sie im Ganzen und Großen wieder zu beleben und in der Gegenwart einzuführen, kommt Keinem ernst in den Sinn. Wie ein Freund der schönen Natur etwa eine schöne Blume liebt und genießt, an ihrem Dasein sich erfreut und mit diesem Dasein sich begnügt, in derselben naiven Weise treten die Nenaissancekünstler der Antike ent¬ gegen. Kein gröberer Irrthum als die Meinung, als wäre schon damals die antike Kunstschönheit der wirklichen Natur als einzig giltiges Ideal gegenüber¬ gestellt worden, vielmehr ist gerade das unmerNiche Ineinanderfließen der Liebe zur Natur und zur Antike, die gleichmäßige Behandlung beider für die Rich¬ tung der Renaissanceperiode charakteristisch. Es ist kein bloßer Zufall, daß der Mann, der die Begeisterung für das Alterthum am weitesten trieb, daß Leo B. Alberti gleichzeitig durch den feinsten Natursinn unter seinen Zeitgenossen sich auszeichnet. Gerade dieses sympathische Mitleben mit der Natur, das ihn weinen machte vor Freude bei dem Anblick schöner Bäume, und gesunden ließ, wenn er sich in einer reizenden Landschaft bewegte, verlieh ihm auch für das Verständniß und den Genuß der Antike die reichste Befähigung. Nicht zur Natur, auch nicht zur gegenwärtigen Kunst stand die Antike im Verhältnisse des Gegensatzes, und der Gedanke, der uns schier zur Verzweiflung bringt, daß es auch der höchsten Krafteinsetzung nicht gelingen kann, der Antike auch nur entfernt nahe zu kommen, war der letzte, der einen Renaissancekünst¬ ler bekümmerte. Um zu diesen Betrachtungen zu gelangen und dadurch die eigene Schwung¬ kraft zu lähmen, fehlt es glücklicher Weise der Renaiffanceperivde an der. über¬ sichtlichen Kenntniß der Antike. Wohlgemut!) und zuversichtlich wird die schö¬ pferische Thätigkeit begonnen, von der Schönheit der Antike sich abschrecken zu lassen, hieße gerade soviel, als auf die Anregungen der schönen Natur zu verzichten. Dadurch aber wird das unmittelbare Anlehnen an die Antike, das reiche Ent¬ lehnen von derselben in hohem Grade erleichtert. Nichts wirkt bei der Be¬ trachtung der Renaissancekunst so überraschend' und scheint unseren Vorstellungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/504>, abgerufen am 23.07.2024.