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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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fichtige wird. Er ist ein gerader, unbeugsamer, wir möchten sagen ein
autonomer Charakter, nicht geneigt, sich von dem Wechsel der Umstände Con¬
cessionen abdringen zu lassen, weder nach rechts noch nach links um die Gunst
der Parteien bemüht, unzugänglich vor Allem dem Einfluß Frankreichs, ein
eiserner Gegner mazzinistischer Demagogie, aber der eifrigste, rücksichtsloseste und
ausdauerndste Verfechter der Einheit des italienischen Vaterlandes.

Schon aus seiner Knabenzeit werden Züge entschiedener Willenskraft von
ihm erzählt. Als er sieben Jahre alt war und in die Schule der Jgnoranten-
brüderschaft ging, wurde ihm einmal die dort übliche abgeschmackte Buße auf¬
erlegt, sich mit dem Gesicht auf den Boden zu beugen und mit der Zunge
das Kreuzeszeichen auf dem Flur zu beschreiben. Bellino weigerte sich, und als
der Lehrer darauf bestand, erklärte er trotzig: "Das schickt sich für das Vieh.
Ich thue es nicht." Und dabei blieb er, und die Strafe wurde hinfort Nie¬
mand mehr angesonnen. Sehr jung noch verheirathete sich Ricasoli mit einer
Bonnacorsi, die ihm eine einzige Tochter gebar. Plötzlich zog er sich mit Frau
und Kind -- man sagt, weil er seine Gattin im Verdacht der Untreue gehabt
-- aus der Gesellschaft von Florenz auf sein altes Stammschloß Brolio zurück,
und erst nach neun Jahren verließ die Baronin Anna diesen Ort wieder, um
als Leiche die Familiengruft zu beziehen.

Frühzeitig gehörte Ricasoli zu. den Freunden von Reformen in Florenz,
doch war er stets gegen den Versuch zum Fortschritt nach demokratischen Grund¬
sätzen. 1847 rieth er dein Großherzog in einer Denkschrift, die Monarchie
mit zeitgemäßen Einrichtungen zu umgeben, und zu gleicher Zeit gründete er
mit Salvagnoli und Lambruschini das Journal La Patria, welches das Motto
"?noi-i i birrbiu'i" führte und ein einheitliches Italien befreit vom Papst und
von Oestreich forderte.

Die durch Pius den Neunten angeregt" unklare und empfindsame Agita¬
tion der letzten vierziger Jahre erbaute ihn um so weniger, als er zu einer
Auffassung der Religion und Kirche hinneigte, die sich der protestantischen näherte.
In Brolio pflegte der Baron seine Bauern Sonntags in dem großen Schlo߬
saal zu versammeln, um ihnen das Evangelium zu erklären. Sein Kaplan
stand müßig dabei.

Als zwischen Modena und Toscana der bekannte Streit wegen der Besitz¬
ergreifung von Lucca ausbrach, verhandelte Ricasoli im Auftrag des Gro߬
herzogs mit Carl Albert von Sardinien. Bei dieser Gelegenheit warf er
seinen Blick weiter und sah in dem König den Mann, der zur Befreiung Ita¬
liens berufen sei, nur fand er ihn nicht entschieden genug. "Man muß den
König in der italienischen Sache compromittiren," schrieb er damals an den
toscanischen Minister Serristori.

1848 war er Gonfaloniere von Florenz, nahm aber seinen Abschied, weil


fichtige wird. Er ist ein gerader, unbeugsamer, wir möchten sagen ein
autonomer Charakter, nicht geneigt, sich von dem Wechsel der Umstände Con¬
cessionen abdringen zu lassen, weder nach rechts noch nach links um die Gunst
der Parteien bemüht, unzugänglich vor Allem dem Einfluß Frankreichs, ein
eiserner Gegner mazzinistischer Demagogie, aber der eifrigste, rücksichtsloseste und
ausdauerndste Verfechter der Einheit des italienischen Vaterlandes.

Schon aus seiner Knabenzeit werden Züge entschiedener Willenskraft von
ihm erzählt. Als er sieben Jahre alt war und in die Schule der Jgnoranten-
brüderschaft ging, wurde ihm einmal die dort übliche abgeschmackte Buße auf¬
erlegt, sich mit dem Gesicht auf den Boden zu beugen und mit der Zunge
das Kreuzeszeichen auf dem Flur zu beschreiben. Bellino weigerte sich, und als
der Lehrer darauf bestand, erklärte er trotzig: „Das schickt sich für das Vieh.
Ich thue es nicht." Und dabei blieb er, und die Strafe wurde hinfort Nie¬
mand mehr angesonnen. Sehr jung noch verheirathete sich Ricasoli mit einer
Bonnacorsi, die ihm eine einzige Tochter gebar. Plötzlich zog er sich mit Frau
und Kind — man sagt, weil er seine Gattin im Verdacht der Untreue gehabt
— aus der Gesellschaft von Florenz auf sein altes Stammschloß Brolio zurück,
und erst nach neun Jahren verließ die Baronin Anna diesen Ort wieder, um
als Leiche die Familiengruft zu beziehen.

Frühzeitig gehörte Ricasoli zu. den Freunden von Reformen in Florenz,
doch war er stets gegen den Versuch zum Fortschritt nach demokratischen Grund¬
sätzen. 1847 rieth er dein Großherzog in einer Denkschrift, die Monarchie
mit zeitgemäßen Einrichtungen zu umgeben, und zu gleicher Zeit gründete er
mit Salvagnoli und Lambruschini das Journal La Patria, welches das Motto
„?noi-i i birrbiu'i" führte und ein einheitliches Italien befreit vom Papst und
von Oestreich forderte.

Die durch Pius den Neunten angeregt« unklare und empfindsame Agita¬
tion der letzten vierziger Jahre erbaute ihn um so weniger, als er zu einer
Auffassung der Religion und Kirche hinneigte, die sich der protestantischen näherte.
In Brolio pflegte der Baron seine Bauern Sonntags in dem großen Schlo߬
saal zu versammeln, um ihnen das Evangelium zu erklären. Sein Kaplan
stand müßig dabei.

Als zwischen Modena und Toscana der bekannte Streit wegen der Besitz¬
ergreifung von Lucca ausbrach, verhandelte Ricasoli im Auftrag des Gro߬
herzogs mit Carl Albert von Sardinien. Bei dieser Gelegenheit warf er
seinen Blick weiter und sah in dem König den Mann, der zur Befreiung Ita¬
liens berufen sei, nur fand er ihn nicht entschieden genug. „Man muß den
König in der italienischen Sache compromittiren," schrieb er damals an den
toscanischen Minister Serristori.

1848 war er Gonfaloniere von Florenz, nahm aber seinen Abschied, weil


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/490>, abgerufen am 28.12.2024.