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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Beamten ankündigte. Als Grund der Visite waren gewisse Mittheilungen
angegeben, die man von Prinzessin Warwara erhalten habe. Diese ganze
Nacht verhandelten der Fürst und jener Bandit -- er hieß Grischka Chatun
-- in verschlossenem Zimmer mit einander. Am folgenden Morgen erhielt
die Dienerschaft Befehl, die Kleider der Prinzessin einzupacken, da sie nach
Memel abreisen wolle, um ihren Gemahl zu besuchen. Am Abend war die
Kutsche bereit. Die Prinzessin nahm von Allen Abschied und stieg ein. Als
sie die Hand ihres Schwiegervaters küßte, zitterte sie am ganzen Leibe und
sank beinahe in Ohnmacht. "Behüte Dich Gott! behüte Dich Gott!" sagte
Alexis Juriwitsch. "Helft ihr in den Wagen."

In dieser Nacht begab sich der Fürst in den Gartenpavillon und blieb
daselbst geraume Zeit. Als man ihn herauskommen sah, bemerkte man, wie
er die Thür verschloß und den Schlüssel in die Wolga warf. Am Morgen
wurden alle Thore, die nach dem Garten führten, zugenagelt, und es erging
der Befehl, daß Niemand mehr in denselben gehen solle.

Um dieselbe Zeit verschwand Anna, eine arme Frau, die seit Wochen
am Fieber gelitten. Niemand hat gedacht, daß sie wiederaufkommen könne,
als sie eines Tages plötzlich ihre Hütte verlassen hatte. Auf welche
Weise, wußte Niemand. Genug, daß man sie niemals wieder zu sehen be¬
kam.

Vierzehn Tage darauf kehrten Grischka Chatun und die beiden Mägde,
welche die Prinzessin Waiwara begleitet, mit der Nachricht, zurück, daß ihre
Herrin auf dem Wege den Anstrengungen der Reise erlegen sei. Chatun
brachte einen Brief von dem Doctor, der sie behandelt, und einen andern
von dem Priester, der sie in der letzten Stunde getröstet hatte. Der Fürst
nahm die beiden Documente in Empfang und verschloß sie in sein Schreibe¬
pult. In Wahrheit hatte Alexis Iuriwitsch jene Anna entführen und statt
seiner Schwiegertochter die Reise fortsetzen lassen. Die Bäuerin war nach
einiger Zeit auf dem Wege an ihrem Fieber gestorben und als Prinzessin War¬
wara begraben worden. Die unglückliche Warwara hatte Chatun inzwischen
aus dem Wagen weggeschleppt und mit Beihilfe des Fürsten in jenein Pavil¬
lon vermauert.

So flüsterte wenigstens die Sage, und die Entdeckung, die später Daniel
Borisowitsch, der Enkel des Fürsten, in jenem Gartenhause machte, und die
ihn veranlaßte, dasselbe niederreißen zu lassen, scheint es zu bestätigen.

Zunächst kam davon nichts an den Tag. Chatun und die beiden Mägde
wurden am folgenden Tage in einem lecken Boot mit irgend einem Auftrag
nach dem andern Ufer der Wolga geschickt. Der Fluß war voll Eis, und es
wehte ein 'starker Wind. Fürst Alexis stand auf einem der Hügel über dem
Strom und schaute zu. Als das Fahrzeug sank, machte er das Zeichen des


Beamten ankündigte. Als Grund der Visite waren gewisse Mittheilungen
angegeben, die man von Prinzessin Warwara erhalten habe. Diese ganze
Nacht verhandelten der Fürst und jener Bandit — er hieß Grischka Chatun
— in verschlossenem Zimmer mit einander. Am folgenden Morgen erhielt
die Dienerschaft Befehl, die Kleider der Prinzessin einzupacken, da sie nach
Memel abreisen wolle, um ihren Gemahl zu besuchen. Am Abend war die
Kutsche bereit. Die Prinzessin nahm von Allen Abschied und stieg ein. Als
sie die Hand ihres Schwiegervaters küßte, zitterte sie am ganzen Leibe und
sank beinahe in Ohnmacht. „Behüte Dich Gott! behüte Dich Gott!" sagte
Alexis Juriwitsch. „Helft ihr in den Wagen."

In dieser Nacht begab sich der Fürst in den Gartenpavillon und blieb
daselbst geraume Zeit. Als man ihn herauskommen sah, bemerkte man, wie
er die Thür verschloß und den Schlüssel in die Wolga warf. Am Morgen
wurden alle Thore, die nach dem Garten führten, zugenagelt, und es erging
der Befehl, daß Niemand mehr in denselben gehen solle.

Um dieselbe Zeit verschwand Anna, eine arme Frau, die seit Wochen
am Fieber gelitten. Niemand hat gedacht, daß sie wiederaufkommen könne,
als sie eines Tages plötzlich ihre Hütte verlassen hatte. Auf welche
Weise, wußte Niemand. Genug, daß man sie niemals wieder zu sehen be¬
kam.

Vierzehn Tage darauf kehrten Grischka Chatun und die beiden Mägde,
welche die Prinzessin Waiwara begleitet, mit der Nachricht, zurück, daß ihre
Herrin auf dem Wege den Anstrengungen der Reise erlegen sei. Chatun
brachte einen Brief von dem Doctor, der sie behandelt, und einen andern
von dem Priester, der sie in der letzten Stunde getröstet hatte. Der Fürst
nahm die beiden Documente in Empfang und verschloß sie in sein Schreibe¬
pult. In Wahrheit hatte Alexis Iuriwitsch jene Anna entführen und statt
seiner Schwiegertochter die Reise fortsetzen lassen. Die Bäuerin war nach
einiger Zeit auf dem Wege an ihrem Fieber gestorben und als Prinzessin War¬
wara begraben worden. Die unglückliche Warwara hatte Chatun inzwischen
aus dem Wagen weggeschleppt und mit Beihilfe des Fürsten in jenein Pavil¬
lon vermauert.

So flüsterte wenigstens die Sage, und die Entdeckung, die später Daniel
Borisowitsch, der Enkel des Fürsten, in jenem Gartenhause machte, und die
ihn veranlaßte, dasselbe niederreißen zu lassen, scheint es zu bestätigen.

Zunächst kam davon nichts an den Tag. Chatun und die beiden Mägde
wurden am folgenden Tage in einem lecken Boot mit irgend einem Auftrag
nach dem andern Ufer der Wolga geschickt. Der Fluß war voll Eis, und es
wehte ein 'starker Wind. Fürst Alexis stand auf einem der Hügel über dem
Strom und schaute zu. Als das Fahrzeug sank, machte er das Zeichen des


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[0477] Beamten ankündigte. Als Grund der Visite waren gewisse Mittheilungen angegeben, die man von Prinzessin Warwara erhalten habe. Diese ganze Nacht verhandelten der Fürst und jener Bandit — er hieß Grischka Chatun — in verschlossenem Zimmer mit einander. Am folgenden Morgen erhielt die Dienerschaft Befehl, die Kleider der Prinzessin einzupacken, da sie nach Memel abreisen wolle, um ihren Gemahl zu besuchen. Am Abend war die Kutsche bereit. Die Prinzessin nahm von Allen Abschied und stieg ein. Als sie die Hand ihres Schwiegervaters küßte, zitterte sie am ganzen Leibe und sank beinahe in Ohnmacht. „Behüte Dich Gott! behüte Dich Gott!" sagte Alexis Juriwitsch. „Helft ihr in den Wagen." In dieser Nacht begab sich der Fürst in den Gartenpavillon und blieb daselbst geraume Zeit. Als man ihn herauskommen sah, bemerkte man, wie er die Thür verschloß und den Schlüssel in die Wolga warf. Am Morgen wurden alle Thore, die nach dem Garten führten, zugenagelt, und es erging der Befehl, daß Niemand mehr in denselben gehen solle. Um dieselbe Zeit verschwand Anna, eine arme Frau, die seit Wochen am Fieber gelitten. Niemand hat gedacht, daß sie wiederaufkommen könne, als sie eines Tages plötzlich ihre Hütte verlassen hatte. Auf welche Weise, wußte Niemand. Genug, daß man sie niemals wieder zu sehen be¬ kam. Vierzehn Tage darauf kehrten Grischka Chatun und die beiden Mägde, welche die Prinzessin Waiwara begleitet, mit der Nachricht, zurück, daß ihre Herrin auf dem Wege den Anstrengungen der Reise erlegen sei. Chatun brachte einen Brief von dem Doctor, der sie behandelt, und einen andern von dem Priester, der sie in der letzten Stunde getröstet hatte. Der Fürst nahm die beiden Documente in Empfang und verschloß sie in sein Schreibe¬ pult. In Wahrheit hatte Alexis Iuriwitsch jene Anna entführen und statt seiner Schwiegertochter die Reise fortsetzen lassen. Die Bäuerin war nach einiger Zeit auf dem Wege an ihrem Fieber gestorben und als Prinzessin War¬ wara begraben worden. Die unglückliche Warwara hatte Chatun inzwischen aus dem Wagen weggeschleppt und mit Beihilfe des Fürsten in jenein Pavil¬ lon vermauert. So flüsterte wenigstens die Sage, und die Entdeckung, die später Daniel Borisowitsch, der Enkel des Fürsten, in jenem Gartenhause machte, und die ihn veranlaßte, dasselbe niederreißen zu lassen, scheint es zu bestätigen. Zunächst kam davon nichts an den Tag. Chatun und die beiden Mägde wurden am folgenden Tage in einem lecken Boot mit irgend einem Auftrag nach dem andern Ufer der Wolga geschickt. Der Fluß war voll Eis, und es wehte ein 'starker Wind. Fürst Alexis stand auf einem der Hügel über dem Strom und schaute zu. Als das Fahrzeug sank, machte er das Zeichen des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/477>, abgerufen am 29.12.2024.