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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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hindurch wie einen anvertrauten Schatz treu bewahrt hatte und jetzt, meist
ungebeten, durch zufällige Funde, dem Lichte der Oberwelt wieder übergab.
Diese Reichthümer aufzunehmen ward der Theseustempel bestimmt, ein pracht¬
voller wohlerhnltener Marmorbau aus den besten Zeiten der Kunst, der im
Mittelalter als Kirche des heiligen Georg gedient hatte und in seinem über¬
wölbten Innern den nöthigsten Schutz gegen die Unbilden der Witterung ge¬
währt. Dabei möchte sich denn noch verschmerzen lassen, daß die Beleuchtung
der darin aufliewahrten Kunstwerke meist eine höchst ungünstige ist, was frei¬
lich das Studium und den Genuß derselben beträchtlich schmälert; schlimmer
ist die Ueberfüllung, welche dem der Kunst geweihten Tempel durchaus das
Ansehen einer Rumpelkammer, eines vollgepfropften Kellers verleiht. Und
doch befinden sich darin Kunstwerke von der größten Schönheit und von hoher
Wichtigkeit; eine Marmorplatte mit noch deutlich erhaltene" Resten der ur¬
sprünglichen Bemalung zeigt uns das Bildniß des Aristotles, eines Kriegers
von altem Schrot und Korn, wie uns Aristophanes die Sieger von Marathon
schildert; auf einer großen Neliefplatte, die beim Bau eines Schulhauses in
Eleusis vor reichlich zwei Jahren gesunden ward, erblicken wir die heiligen
Gottheiten jener Stadt der Mysterien in den strengen, hoheitsvollen Formen
der Kunst zur Zeit des Phidias. Eine Reihe einfacher, aber fein empfundener
Grabmonumente führt uns in das Leben der griechischen Familie ein; meist
sind es Scenen des Abschieds oder auch des Mahles, bisweilen auch der
Toilette, gewöhnlich nur von dem Namen der Verstorbenen begleitet, dem
aber nicht selten much ein liebevoller Spruch, ein sinniges Dichterwort hinzu¬
gefügt ist. Unter den Statuen finden wir alterthümliche Ideale, die uns mit
den eben erst erwachenden Regungen griechischen Kunstsinnes bekannt machen;
dann Statuen von vollendeter Schönheit, Götter und Menschen darstellend,
wie sie die höchste Blüthe der Kunst bildete; endlich Belege des sinkenden und
gesunkenen Zustandes der Kunst in späteren Jahrhunderten. Alle diese Kunst¬
werke stehen und liegen bunt durch einander gewürfelt, und kaum ist für den
Beschauer Platz genug vorhanden, um die Gegenstände zu besehen, nirgends
so viel Raum, daß er aus einiger Entfernung den Gesammteindruck eines der
Kunstwerke in sich aufnehmen könnte. Dessenungeachtet ist aber doch die
Cella des Theseions der beste und' sicherste Aufbewahrungsort für alte Kunst¬
werke in Griechenland. Schon der Hintere Raum, der Opisthodom des Tem¬
pels, bietet wegen des Mangels an Bedachung den dort aufbewahrten Mo¬
numenten nur geringen Schutz; und sühlt einmal ein neugieriger Antiquar
(was selten genug sein mag) das Bedürfniß die dortigen Denkmäler zu be-
sichtigen, so wird an ihm das alte Wort wahr, dem Menschen sei der Schweiß
vor die Arbeit gestellt. Denn durch das ziemlich hohe hölzerne Gitter, welches
jenen Raum verschließt, führt keine Pforte , sondern auf einer Leiter, welche


Grenzboten I. 1862, SS

hindurch wie einen anvertrauten Schatz treu bewahrt hatte und jetzt, meist
ungebeten, durch zufällige Funde, dem Lichte der Oberwelt wieder übergab.
Diese Reichthümer aufzunehmen ward der Theseustempel bestimmt, ein pracht¬
voller wohlerhnltener Marmorbau aus den besten Zeiten der Kunst, der im
Mittelalter als Kirche des heiligen Georg gedient hatte und in seinem über¬
wölbten Innern den nöthigsten Schutz gegen die Unbilden der Witterung ge¬
währt. Dabei möchte sich denn noch verschmerzen lassen, daß die Beleuchtung
der darin aufliewahrten Kunstwerke meist eine höchst ungünstige ist, was frei¬
lich das Studium und den Genuß derselben beträchtlich schmälert; schlimmer
ist die Ueberfüllung, welche dem der Kunst geweihten Tempel durchaus das
Ansehen einer Rumpelkammer, eines vollgepfropften Kellers verleiht. Und
doch befinden sich darin Kunstwerke von der größten Schönheit und von hoher
Wichtigkeit; eine Marmorplatte mit noch deutlich erhaltene» Resten der ur¬
sprünglichen Bemalung zeigt uns das Bildniß des Aristotles, eines Kriegers
von altem Schrot und Korn, wie uns Aristophanes die Sieger von Marathon
schildert; auf einer großen Neliefplatte, die beim Bau eines Schulhauses in
Eleusis vor reichlich zwei Jahren gesunden ward, erblicken wir die heiligen
Gottheiten jener Stadt der Mysterien in den strengen, hoheitsvollen Formen
der Kunst zur Zeit des Phidias. Eine Reihe einfacher, aber fein empfundener
Grabmonumente führt uns in das Leben der griechischen Familie ein; meist
sind es Scenen des Abschieds oder auch des Mahles, bisweilen auch der
Toilette, gewöhnlich nur von dem Namen der Verstorbenen begleitet, dem
aber nicht selten much ein liebevoller Spruch, ein sinniges Dichterwort hinzu¬
gefügt ist. Unter den Statuen finden wir alterthümliche Ideale, die uns mit
den eben erst erwachenden Regungen griechischen Kunstsinnes bekannt machen;
dann Statuen von vollendeter Schönheit, Götter und Menschen darstellend,
wie sie die höchste Blüthe der Kunst bildete; endlich Belege des sinkenden und
gesunkenen Zustandes der Kunst in späteren Jahrhunderten. Alle diese Kunst¬
werke stehen und liegen bunt durch einander gewürfelt, und kaum ist für den
Beschauer Platz genug vorhanden, um die Gegenstände zu besehen, nirgends
so viel Raum, daß er aus einiger Entfernung den Gesammteindruck eines der
Kunstwerke in sich aufnehmen könnte. Dessenungeachtet ist aber doch die
Cella des Theseions der beste und' sicherste Aufbewahrungsort für alte Kunst¬
werke in Griechenland. Schon der Hintere Raum, der Opisthodom des Tem¬
pels, bietet wegen des Mangels an Bedachung den dort aufbewahrten Mo¬
numenten nur geringen Schutz; und sühlt einmal ein neugieriger Antiquar
(was selten genug sein mag) das Bedürfniß die dortigen Denkmäler zu be-
sichtigen, so wird an ihm das alte Wort wahr, dem Menschen sei der Schweiß
vor die Arbeit gestellt. Denn durch das ziemlich hohe hölzerne Gitter, welches
jenen Raum verschließt, führt keine Pforte , sondern auf einer Leiter, welche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/465>, abgerufen am 29.12.2024.