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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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weder eine Beute der Tagesstimmungen, oder in hilfloser Verbitterung. Es
gab in der That nichts Festes, nichts Ehrwürdiges und nichts Erhebendes
mehr in der Empfindung einer großen Mehrzahl. Ein gut geartetes Volt
von kräftigem Gefügt des Geistes, überreich mit Bildungselementen versehen,
war in dringender Gefahr, so charakterlos, schönrcdnensch und arm an Muth
und politischer Thatkraft zu werden, wie der Verfasser des Tagebuches selbst
und die Mehrzahl seiner vornehmen Bekannten.

Am auffallendsten aber wird der Unterschied zwischen einst und jetzt bei Betrach¬
tung dU Stellung, welche das erlauchte Geschlecht der Hohenzollern zu seinem Volke
einnimmt. Und da das ermahnte Buch sich vorzugsweise mit Anekdoten aus
dem Hof und .Nabinet Friedrich Wilhelms des Vierten beschäftigt, so ist hier der
Ort, daran zu erinnern. Die Hohenzollern haben seit der Mitte des vorigen Jahr¬
hunderts auch dadurch sich von den Regentensamilicn des Continents unter¬
schieden, daß Publicum und Presse in einer Weise mit ihnen beschäftigt
wurden, die im übrigen Europa, England ausgenommen, unerhört war. Bei
keinem Königsgeschlecht ist Charakter und Privatleben der Regierenden so leb¬
haft, freimüthig und unablässig besprochen worden. Schon die auffallende
Persönlichkeit Friedrich Wilhelms des Ersten gab viele Beranlassuug ; seine Kinder
aber haben selbst mit einer beispiellose" Rücksichtslosigkeit über sich, über ihre
Familien und Verhältnisse in die Öffentlichkeit berichtet. Friedrich Wilhelm der
Zweite wurde durch Carricaturen, endlose Pasquille und schlechte Romane an¬
gegriffen, Friedrich Wilhelm der Dritte vor und nach dem Jahre 1806 durch die
ersten Versuche Einzelner, sich am Staatsleben zu betheiligen, rücksichtslos
recensirt. So unbequem diese Kritik einer schwachen öffentlichen Meinung
für die Fürsten auch war, die beurtheilenden Stimmen waren weder kräf-
ig, noch unbefangen genug, um wesentlich zu nützen. Im merkwürdigen
Gegensatz zu dieser Vergangenheit steht die Periode von 1815 bis 1840.
Unter der neu organisirten Bundcscensur verstummten öffentliche Kritiken über
Friedrich Wilhelm drü Dritten, seinen Hof und sein Beamtenregiment fast ganz.
Diese Ruhe vergrößerte wahrscheinlich das Behagen, mit welchem die Mitglieder
der königlichen Familie in ihrem Volke lebten, sie verbesserte aber nicht ihre Stel¬
lung, nicht die ihres Hofes und der Negierung. Denn >n dieser Zeit der innern
Stille, welche Friedrich Wilhelm der Dritte in Preußen zu erhalten wußte, wurde
der Gesichtskreis der preußischen Politik und des Hoff kleiner und enger.
Die Männer aus der Zeit der Erhebung wurden alt, spärlich war der Nach¬
wuchs von neuen Talenten. Hos und Staat machten kurz vor dem Tode
des greisen Königs den Eindruck eines vereinsamten, hernntergetommnen Wesens,
welches der verstorbene General Gagern in seiner kurzen Weise vortrefflich
geschildert hat.

Mit Friedrich Wilhelm dem Vierten begann wieder die glossirende Kritik


weder eine Beute der Tagesstimmungen, oder in hilfloser Verbitterung. Es
gab in der That nichts Festes, nichts Ehrwürdiges und nichts Erhebendes
mehr in der Empfindung einer großen Mehrzahl. Ein gut geartetes Volt
von kräftigem Gefügt des Geistes, überreich mit Bildungselementen versehen,
war in dringender Gefahr, so charakterlos, schönrcdnensch und arm an Muth
und politischer Thatkraft zu werden, wie der Verfasser des Tagebuches selbst
und die Mehrzahl seiner vornehmen Bekannten.

Am auffallendsten aber wird der Unterschied zwischen einst und jetzt bei Betrach¬
tung dU Stellung, welche das erlauchte Geschlecht der Hohenzollern zu seinem Volke
einnimmt. Und da das ermahnte Buch sich vorzugsweise mit Anekdoten aus
dem Hof und .Nabinet Friedrich Wilhelms des Vierten beschäftigt, so ist hier der
Ort, daran zu erinnern. Die Hohenzollern haben seit der Mitte des vorigen Jahr¬
hunderts auch dadurch sich von den Regentensamilicn des Continents unter¬
schieden, daß Publicum und Presse in einer Weise mit ihnen beschäftigt
wurden, die im übrigen Europa, England ausgenommen, unerhört war. Bei
keinem Königsgeschlecht ist Charakter und Privatleben der Regierenden so leb¬
haft, freimüthig und unablässig besprochen worden. Schon die auffallende
Persönlichkeit Friedrich Wilhelms des Ersten gab viele Beranlassuug ; seine Kinder
aber haben selbst mit einer beispiellose» Rücksichtslosigkeit über sich, über ihre
Familien und Verhältnisse in die Öffentlichkeit berichtet. Friedrich Wilhelm der
Zweite wurde durch Carricaturen, endlose Pasquille und schlechte Romane an¬
gegriffen, Friedrich Wilhelm der Dritte vor und nach dem Jahre 1806 durch die
ersten Versuche Einzelner, sich am Staatsleben zu betheiligen, rücksichtslos
recensirt. So unbequem diese Kritik einer schwachen öffentlichen Meinung
für die Fürsten auch war, die beurtheilenden Stimmen waren weder kräf-
ig, noch unbefangen genug, um wesentlich zu nützen. Im merkwürdigen
Gegensatz zu dieser Vergangenheit steht die Periode von 1815 bis 1840.
Unter der neu organisirten Bundcscensur verstummten öffentliche Kritiken über
Friedrich Wilhelm drü Dritten, seinen Hof und sein Beamtenregiment fast ganz.
Diese Ruhe vergrößerte wahrscheinlich das Behagen, mit welchem die Mitglieder
der königlichen Familie in ihrem Volke lebten, sie verbesserte aber nicht ihre Stel¬
lung, nicht die ihres Hofes und der Negierung. Denn >n dieser Zeit der innern
Stille, welche Friedrich Wilhelm der Dritte in Preußen zu erhalten wußte, wurde
der Gesichtskreis der preußischen Politik und des Hoff kleiner und enger.
Die Männer aus der Zeit der Erhebung wurden alt, spärlich war der Nach¬
wuchs von neuen Talenten. Hos und Staat machten kurz vor dem Tode
des greisen Königs den Eindruck eines vereinsamten, hernntergetommnen Wesens,
welches der verstorbene General Gagern in seiner kurzen Weise vortrefflich
geschildert hat.

Mit Friedrich Wilhelm dem Vierten begann wieder die glossirende Kritik


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[0439] weder eine Beute der Tagesstimmungen, oder in hilfloser Verbitterung. Es gab in der That nichts Festes, nichts Ehrwürdiges und nichts Erhebendes mehr in der Empfindung einer großen Mehrzahl. Ein gut geartetes Volt von kräftigem Gefügt des Geistes, überreich mit Bildungselementen versehen, war in dringender Gefahr, so charakterlos, schönrcdnensch und arm an Muth und politischer Thatkraft zu werden, wie der Verfasser des Tagebuches selbst und die Mehrzahl seiner vornehmen Bekannten. Am auffallendsten aber wird der Unterschied zwischen einst und jetzt bei Betrach¬ tung dU Stellung, welche das erlauchte Geschlecht der Hohenzollern zu seinem Volke einnimmt. Und da das ermahnte Buch sich vorzugsweise mit Anekdoten aus dem Hof und .Nabinet Friedrich Wilhelms des Vierten beschäftigt, so ist hier der Ort, daran zu erinnern. Die Hohenzollern haben seit der Mitte des vorigen Jahr¬ hunderts auch dadurch sich von den Regentensamilicn des Continents unter¬ schieden, daß Publicum und Presse in einer Weise mit ihnen beschäftigt wurden, die im übrigen Europa, England ausgenommen, unerhört war. Bei keinem Königsgeschlecht ist Charakter und Privatleben der Regierenden so leb¬ haft, freimüthig und unablässig besprochen worden. Schon die auffallende Persönlichkeit Friedrich Wilhelms des Ersten gab viele Beranlassuug ; seine Kinder aber haben selbst mit einer beispiellose» Rücksichtslosigkeit über sich, über ihre Familien und Verhältnisse in die Öffentlichkeit berichtet. Friedrich Wilhelm der Zweite wurde durch Carricaturen, endlose Pasquille und schlechte Romane an¬ gegriffen, Friedrich Wilhelm der Dritte vor und nach dem Jahre 1806 durch die ersten Versuche Einzelner, sich am Staatsleben zu betheiligen, rücksichtslos recensirt. So unbequem diese Kritik einer schwachen öffentlichen Meinung für die Fürsten auch war, die beurtheilenden Stimmen waren weder kräf- ig, noch unbefangen genug, um wesentlich zu nützen. Im merkwürdigen Gegensatz zu dieser Vergangenheit steht die Periode von 1815 bis 1840. Unter der neu organisirten Bundcscensur verstummten öffentliche Kritiken über Friedrich Wilhelm drü Dritten, seinen Hof und sein Beamtenregiment fast ganz. Diese Ruhe vergrößerte wahrscheinlich das Behagen, mit welchem die Mitglieder der königlichen Familie in ihrem Volke lebten, sie verbesserte aber nicht ihre Stel¬ lung, nicht die ihres Hofes und der Negierung. Denn >n dieser Zeit der innern Stille, welche Friedrich Wilhelm der Dritte in Preußen zu erhalten wußte, wurde der Gesichtskreis der preußischen Politik und des Hoff kleiner und enger. Die Männer aus der Zeit der Erhebung wurden alt, spärlich war der Nach¬ wuchs von neuen Talenten. Hos und Staat machten kurz vor dem Tode des greisen Königs den Eindruck eines vereinsamten, hernntergetommnen Wesens, welches der verstorbene General Gagern in seiner kurzen Weise vortrefflich geschildert hat. Mit Friedrich Wilhelm dem Vierten begann wieder die glossirende Kritik

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/439>, abgerufen am 23.07.2024.