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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Sie dem Oberst von Schuler, daß ich mich freue, diese Nachricht zuhören, er
möge morgen Ruhetag machen, ich werde morgen hinauskommen." Der
Lieutenant v. B . . . e empfahl sich und sagte beim Hinausgehen: "Kommen
Sie mit, Junkcrchen, ich werde Sie mitnehmen." Das geschah, und ich war
glücklich, wieder beim Truppentheil zu sein, verschmerzte gern den wohlver¬
dienten Verweis wegen Meiner wiederholten Absentirung und nahm mir fest
vor. einen solchen mir nie mehr zuzuziehen und lieber bis zum Tode zu mar¬
sch iren.

Dies muß am 28. October gewesen sein, denn des andern Morgens er¬
fuhren wir, daß Stettin an diesemselbigcn Morgen übergeben worden sei und
unser braver General von Jserstädt und Vierzchnhe>ligen capitulirt habe!

Wir brachen sofort nach dieser Nachricht aus und setzten unsern Rückzug
über Stargard und Stolpe nach Danzig fort. Der letzte Verweis meines
Hauptmanns war so ernstlich gewesen (denn er hatte mir, wenn ich noch
einmal zurückbliebe, ohne Erbarmen 20 Fuchtel versprochen), daß ich die Com-
pagnie nicht mehr verlassen habe: aber ich wäre dennoch dieser Strafe ver¬
fallen, wenn mein braver Hauptmann nicht gar so gutherzig gewesen wäre.
Hinter Stolpe in Kassuben erhielt ich ein furchtbar schlechtes Quartier, so daß
ich dort nichts genießen konnte, wenn mein blutarmer Wirth auch etwas zu bieten
gehabt hätte. Ich besuchte einen Kameraden, der in einer Mühle in Vergleich zu mir
prächtig aufgenommen war und so freundliche Wirthsleute hatte, daß sie mir an¬
boten, auch noch zu ihrem Junker ins Quartier zu kommen, >mis ich dankbar an¬
nahm. Da mein Bursche in dem alten Quartier zurückgeblieben war und
des andern Morgens nicht dafür sorgen konnte, daß ich zeitig genug aufstand,
um zur rechten Zeit zur Compagnie zu kommen, so erschien ich bei derselben erst,
als ich schon vermißt und gemeldet war. Der Hauptmann ließ mich vor¬
treten, zog den Säbel und sagte: "nun muß ich doch einmal ein Exempel
statuiren." Ich trat vor, sing aber an zu weinen und sagte: "ach. Herr
Hauptmann. Sie hauen mich ja entzwei." Ob ihm dies und meine
ganze zerknirschte Figur so komisch vorkam, oder er überhaupt nur die Ab¬
sicht gehabt, mich zu schrecken, lasse ich dahin gestellt. Genug, er sing un¬
geheuer an zu lachen und steckte den Säbel ein, meinte aber, es sei dies das
letzte Mal. daß ich so wegkäme, und so entging ich, Gott sei Dank! einer
Strafe, zu der man damals ohne großes Verschulden leicht kommen konnte,
bin auch niemals derselben verfallen.
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Etwa am 22. oder 23. November rückten wir in Danzig ein. womit die
große Retirade für uns ein End? hatte. Wir glaubten in der Festung bleiben
zu können, aber es wurde uns nur ein Ruhetag gestattet, weil uns der Com¬
mandant General v. Manstein nicht behalten wollte. Wir traten also den
Marsch nach Graudenz an. waren indeß kaum eine Meile marschirt. als wir


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Sie dem Oberst von Schuler, daß ich mich freue, diese Nachricht zuhören, er
möge morgen Ruhetag machen, ich werde morgen hinauskommen." Der
Lieutenant v. B . . . e empfahl sich und sagte beim Hinausgehen: „Kommen
Sie mit, Junkcrchen, ich werde Sie mitnehmen." Das geschah, und ich war
glücklich, wieder beim Truppentheil zu sein, verschmerzte gern den wohlver¬
dienten Verweis wegen Meiner wiederholten Absentirung und nahm mir fest
vor. einen solchen mir nie mehr zuzuziehen und lieber bis zum Tode zu mar¬
sch iren.

Dies muß am 28. October gewesen sein, denn des andern Morgens er¬
fuhren wir, daß Stettin an diesemselbigcn Morgen übergeben worden sei und
unser braver General von Jserstädt und Vierzchnhe>ligen capitulirt habe!

Wir brachen sofort nach dieser Nachricht aus und setzten unsern Rückzug
über Stargard und Stolpe nach Danzig fort. Der letzte Verweis meines
Hauptmanns war so ernstlich gewesen (denn er hatte mir, wenn ich noch
einmal zurückbliebe, ohne Erbarmen 20 Fuchtel versprochen), daß ich die Com-
pagnie nicht mehr verlassen habe: aber ich wäre dennoch dieser Strafe ver¬
fallen, wenn mein braver Hauptmann nicht gar so gutherzig gewesen wäre.
Hinter Stolpe in Kassuben erhielt ich ein furchtbar schlechtes Quartier, so daß
ich dort nichts genießen konnte, wenn mein blutarmer Wirth auch etwas zu bieten
gehabt hätte. Ich besuchte einen Kameraden, der in einer Mühle in Vergleich zu mir
prächtig aufgenommen war und so freundliche Wirthsleute hatte, daß sie mir an¬
boten, auch noch zu ihrem Junker ins Quartier zu kommen, >mis ich dankbar an¬
nahm. Da mein Bursche in dem alten Quartier zurückgeblieben war und
des andern Morgens nicht dafür sorgen konnte, daß ich zeitig genug aufstand,
um zur rechten Zeit zur Compagnie zu kommen, so erschien ich bei derselben erst,
als ich schon vermißt und gemeldet war. Der Hauptmann ließ mich vor¬
treten, zog den Säbel und sagte: „nun muß ich doch einmal ein Exempel
statuiren." Ich trat vor, sing aber an zu weinen und sagte: „ach. Herr
Hauptmann. Sie hauen mich ja entzwei." Ob ihm dies und meine
ganze zerknirschte Figur so komisch vorkam, oder er überhaupt nur die Ab¬
sicht gehabt, mich zu schrecken, lasse ich dahin gestellt. Genug, er sing un¬
geheuer an zu lachen und steckte den Säbel ein, meinte aber, es sei dies das
letzte Mal. daß ich so wegkäme, und so entging ich, Gott sei Dank! einer
Strafe, zu der man damals ohne großes Verschulden leicht kommen konnte,
bin auch niemals derselben verfallen.
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Etwa am 22. oder 23. November rückten wir in Danzig ein. womit die
große Retirade für uns ein End? hatte. Wir glaubten in der Festung bleiben
zu können, aber es wurde uns nur ein Ruhetag gestattet, weil uns der Com¬
mandant General v. Manstein nicht behalten wollte. Wir traten also den
Marsch nach Graudenz an. waren indeß kaum eine Meile marschirt. als wir


5*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/43>, abgerufen am 23.07.2024.