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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Bedienten des Schlosses raunten wie toll umher, vermochten aber Niemand
zu entdecken, dem man das fragliche musikalische Verbrechen hätte Schuld ge¬
ben können.

"Ich will wissen, wer die Straße gesungen hat!" brüllte der Fürst zum
dritten Mal, indem er jetzt mit einer Hetzpeitsche in der Hand auf der Frei¬
treppe des Hauses erschien. "Er soll augenblicklich vortreten, oder ich haue
euch alle miteinander zusammen." Aber die Aufforderung blieb ohne Erfolg,
und schäumend verschwand die rasende Hoheit wieder im Schlosse. Bald
darauf hörte man ein Knacken und Klirren, und es gab eine böse Zerstörung
unter den Spiegeln und andern Hausgeräthen.

Dem Kellermeister und dem obersten Kammerdiener kam jetzt eine gute
Idee. Sie gingen zu Waska, einem der Mitglieder des Sängerchors im
Haushalt des Fürsten, und baten ihn mit vielen Verbeugungen und flehent¬
lichen Worten, die Sache auf sich zu nehmen, da der wahre Verbrecher nicht
zu finden sei. Waska war Anfangs unverständig genng, dies abzulehnen,
indem er meinte, daß sein Rücken ihm gehöre und keine Neigung spüre, mit
der Peitsche des Herren in so intime Verhältnisse zu trete", als sie in Aus¬
sicht standen. Die Bittsteller versicherten ihm darauf mit Thränen in den
Augen, wenn er nur erklären wollte, daß er Sr. Hoheit Schlaf gestört, werde
man sorgen, daß er ungestraft bleibe,.und auf jeden Fall sollte ihm der er¬
betene Gefallen mit zehn Rudeln vergütet werden, was damals eine große
Summe war. Der Sänger kratzte sich hinter den Ohren. Er hatte keine
Lust, seinen Rücken zu opfern, und doch hätte er das Geld gern verdient.
Endlich sagte er: "Na. ich wills gewesen sein. Aber wenn er mich nicht
eigenhändig durchhaut. seht zu, daß ihr's gnädig macht mit der Prügel¬
suppe."

Inzwischen hatte sich der Fürst in einen Grimm hineingearbeitet, der an
vollständige Verrücktheit grenzte. Er drohte, nicht blos jedem seiner Dome¬
stiken tausend Hiebe geben zu lassen, sondern gleichermaßen den schmarotzen¬
den Adelichen, die bei ihm lebten. Geht und fragt die jungen Damen oben,"
schrie er, "und wenn sie's nicht wissen, kriegen sie ebenfalls Prügel."

Alle Welt war in Furcht Und Zittern. Niemand wagte zu sprechen. Man
getraute sich kaum zu athmen.

"Die Knute geholt!" kreischte Alexis Juriwitsch, daß es durch das ganze
Städtchen zu hören war.

Da kam Rettung für die schwerbedrohten Rücken. "Da bringen sie den
Mensche", da haben sie ihn", sagten mehrere zugleich, als der Kellermeister
und der Kammerdiener den braven Waska mit gefesselten Händen und Füßen
herbeischleppten. Der Fürst ließ sich auf ein Sopha nieder, um mit gebühren¬
der Würde das Urtheil zu sprechen. Waska wurde vor ihn gebracht, und


Bedienten des Schlosses raunten wie toll umher, vermochten aber Niemand
zu entdecken, dem man das fragliche musikalische Verbrechen hätte Schuld ge¬
ben können.

„Ich will wissen, wer die Straße gesungen hat!" brüllte der Fürst zum
dritten Mal, indem er jetzt mit einer Hetzpeitsche in der Hand auf der Frei¬
treppe des Hauses erschien. „Er soll augenblicklich vortreten, oder ich haue
euch alle miteinander zusammen." Aber die Aufforderung blieb ohne Erfolg,
und schäumend verschwand die rasende Hoheit wieder im Schlosse. Bald
darauf hörte man ein Knacken und Klirren, und es gab eine böse Zerstörung
unter den Spiegeln und andern Hausgeräthen.

Dem Kellermeister und dem obersten Kammerdiener kam jetzt eine gute
Idee. Sie gingen zu Waska, einem der Mitglieder des Sängerchors im
Haushalt des Fürsten, und baten ihn mit vielen Verbeugungen und flehent¬
lichen Worten, die Sache auf sich zu nehmen, da der wahre Verbrecher nicht
zu finden sei. Waska war Anfangs unverständig genng, dies abzulehnen,
indem er meinte, daß sein Rücken ihm gehöre und keine Neigung spüre, mit
der Peitsche des Herren in so intime Verhältnisse zu trete», als sie in Aus¬
sicht standen. Die Bittsteller versicherten ihm darauf mit Thränen in den
Augen, wenn er nur erklären wollte, daß er Sr. Hoheit Schlaf gestört, werde
man sorgen, daß er ungestraft bleibe,.und auf jeden Fall sollte ihm der er¬
betene Gefallen mit zehn Rudeln vergütet werden, was damals eine große
Summe war. Der Sänger kratzte sich hinter den Ohren. Er hatte keine
Lust, seinen Rücken zu opfern, und doch hätte er das Geld gern verdient.
Endlich sagte er: „Na. ich wills gewesen sein. Aber wenn er mich nicht
eigenhändig durchhaut. seht zu, daß ihr's gnädig macht mit der Prügel¬
suppe."

Inzwischen hatte sich der Fürst in einen Grimm hineingearbeitet, der an
vollständige Verrücktheit grenzte. Er drohte, nicht blos jedem seiner Dome¬
stiken tausend Hiebe geben zu lassen, sondern gleichermaßen den schmarotzen¬
den Adelichen, die bei ihm lebten. Geht und fragt die jungen Damen oben,"
schrie er, „und wenn sie's nicht wissen, kriegen sie ebenfalls Prügel."

Alle Welt war in Furcht Und Zittern. Niemand wagte zu sprechen. Man
getraute sich kaum zu athmen.

„Die Knute geholt!" kreischte Alexis Juriwitsch, daß es durch das ganze
Städtchen zu hören war.

Da kam Rettung für die schwerbedrohten Rücken. „Da bringen sie den
Mensche», da haben sie ihn", sagten mehrere zugleich, als der Kellermeister
und der Kammerdiener den braven Waska mit gefesselten Händen und Füßen
herbeischleppten. Der Fürst ließ sich auf ein Sopha nieder, um mit gebühren¬
der Würde das Urtheil zu sprechen. Waska wurde vor ihn gebracht, und


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[0429] Bedienten des Schlosses raunten wie toll umher, vermochten aber Niemand zu entdecken, dem man das fragliche musikalische Verbrechen hätte Schuld ge¬ ben können. „Ich will wissen, wer die Straße gesungen hat!" brüllte der Fürst zum dritten Mal, indem er jetzt mit einer Hetzpeitsche in der Hand auf der Frei¬ treppe des Hauses erschien. „Er soll augenblicklich vortreten, oder ich haue euch alle miteinander zusammen." Aber die Aufforderung blieb ohne Erfolg, und schäumend verschwand die rasende Hoheit wieder im Schlosse. Bald darauf hörte man ein Knacken und Klirren, und es gab eine böse Zerstörung unter den Spiegeln und andern Hausgeräthen. Dem Kellermeister und dem obersten Kammerdiener kam jetzt eine gute Idee. Sie gingen zu Waska, einem der Mitglieder des Sängerchors im Haushalt des Fürsten, und baten ihn mit vielen Verbeugungen und flehent¬ lichen Worten, die Sache auf sich zu nehmen, da der wahre Verbrecher nicht zu finden sei. Waska war Anfangs unverständig genng, dies abzulehnen, indem er meinte, daß sein Rücken ihm gehöre und keine Neigung spüre, mit der Peitsche des Herren in so intime Verhältnisse zu trete», als sie in Aus¬ sicht standen. Die Bittsteller versicherten ihm darauf mit Thränen in den Augen, wenn er nur erklären wollte, daß er Sr. Hoheit Schlaf gestört, werde man sorgen, daß er ungestraft bleibe,.und auf jeden Fall sollte ihm der er¬ betene Gefallen mit zehn Rudeln vergütet werden, was damals eine große Summe war. Der Sänger kratzte sich hinter den Ohren. Er hatte keine Lust, seinen Rücken zu opfern, und doch hätte er das Geld gern verdient. Endlich sagte er: „Na. ich wills gewesen sein. Aber wenn er mich nicht eigenhändig durchhaut. seht zu, daß ihr's gnädig macht mit der Prügel¬ suppe." Inzwischen hatte sich der Fürst in einen Grimm hineingearbeitet, der an vollständige Verrücktheit grenzte. Er drohte, nicht blos jedem seiner Dome¬ stiken tausend Hiebe geben zu lassen, sondern gleichermaßen den schmarotzen¬ den Adelichen, die bei ihm lebten. Geht und fragt die jungen Damen oben," schrie er, „und wenn sie's nicht wissen, kriegen sie ebenfalls Prügel." Alle Welt war in Furcht Und Zittern. Niemand wagte zu sprechen. Man getraute sich kaum zu athmen. „Die Knute geholt!" kreischte Alexis Juriwitsch, daß es durch das ganze Städtchen zu hören war. Da kam Rettung für die schwerbedrohten Rücken. „Da bringen sie den Mensche», da haben sie ihn", sagten mehrere zugleich, als der Kellermeister und der Kammerdiener den braven Waska mit gefesselten Händen und Füßen herbeischleppten. Der Fürst ließ sich auf ein Sopha nieder, um mit gebühren¬ der Würde das Urtheil zu sprechen. Waska wurde vor ihn gebracht, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/429>, abgerufen am 29.12.2024.