Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

"Sie lügen, Hoheit", erwiderte der Kaufmann. "Sie wollen mich blos
an sich locken und dann durchprügeln."

"Ich weide dich nicht mit einem. Finger anrühren", versprach der
Fürst.

Jener war noch nicht beruhigt, der Fürst gab stärkere Zusicherungen, aber
nicht eher fühlte der Kaufmann sich bewogen, zu trauen, als bis Alexis Iu-
riwitsch zum Zeichen seiner Aufrichtigkeit sich bekreuzt und alle Heiligen zu
Zeugen angerufen, daß er nichts Böses im Schilde führe. Die Chronik des
Schloßverwaiters erzählt, daß der Fürst dem Kaufmann immer die größte
Achtung bewiesen, für seine Familie gesorgt und den Sohn desselben in den
Staatsdienst gebracht habe, in welchem er sich bis zum Bicegouverneur em¬
porgeschwungen und ein Gut mit tausend Seelen erworben.

Wenn Fürst Alexis sein Mittagsschläfchen hielt, dürfte im Städtchen keine
Katze sich unterstehen zu miaue". Im Sommer wurde jeden Tag nach Tische
auf dem Balkon des Schlosses em Großvaterstuhl aufgestellt, in welchem
der Fürst einzuschlafen pflegte, und bevor er aufwachte, wagte keine Seele in
ganz Zaboria und auf den Wolgabooten einen Ton von sich zu geben. Ge¬
schah dies einmal, so wurde der Betreffende sofort beim Kragen genommen
und im Stalle mit der vorgeschriebenen Anzahl von Prügeln bestraft. Da¬
mit Niemand sich mit Nichtwissen entschuldigen könne, wurde während der
Siesta Sr. Hoheit auf dem Schloßbande eine Fahne aufgehißt. Da begab
sich's einmal, daß ein ruinirter Landedelmann aus der Nachbarschaft, der bei
Fürst Alexis als Schmarotzer lebte, während dieser stillen Zeit unter dem
Schlafbalkon von Zaboria vomberwandelte. Ais derselbe am Fenster zwei
Damen erblickte, die ebenfalls wegen Mangel an Mitteln bei dem reichern
Standesgenossen ihren Aufenthalt genommen hatten, versuchte der zum Schwa¬
tzen aufgelegte Parasit mit ihnen eilt lustiges Gespräch anzuspinnen. Sie
winkten ihm mit ihren Taschentüchern, sich still zu verhalten. Er seinerseits
antwortete darauf mit allerlei Grimassen, um sie zu lautem Gelächter zu brin¬
gen, und als das nicht gelang, brach er plötzlich mit der ersten Zeile eines
Gassenhauers los, der "die Straße" hieß, und gab dann Fersengeld. Die
Wächter im Schlosse waren eingeschlafen, und der Störenfried entkam ohne
bemerkt zu werden. Der Fürst erwachte und geriet!) in die äußerste Furie
über die freche Störung.

"Wer sang da die Straße?" fragte er mit Donnerstimme. Man spürte
nach allen Richtungen hin, aber der lustige Bösewicht hatte bereits einen
Heuboden gewonnen, wo er sich hinlegte und that, als ob er im tiefsten
Schlafe läge. Niemand wußte, daß er der Schuldige war, als die jungen
Damen, und diese hätten ihn um keinen Preis verrathen.

"Wer hat die Straße gesungen?" kreischte Fürst Alexis Juriwitsch. Die


„Sie lügen, Hoheit", erwiderte der Kaufmann. „Sie wollen mich blos
an sich locken und dann durchprügeln."

„Ich weide dich nicht mit einem. Finger anrühren", versprach der
Fürst.

Jener war noch nicht beruhigt, der Fürst gab stärkere Zusicherungen, aber
nicht eher fühlte der Kaufmann sich bewogen, zu trauen, als bis Alexis Iu-
riwitsch zum Zeichen seiner Aufrichtigkeit sich bekreuzt und alle Heiligen zu
Zeugen angerufen, daß er nichts Böses im Schilde führe. Die Chronik des
Schloßverwaiters erzählt, daß der Fürst dem Kaufmann immer die größte
Achtung bewiesen, für seine Familie gesorgt und den Sohn desselben in den
Staatsdienst gebracht habe, in welchem er sich bis zum Bicegouverneur em¬
porgeschwungen und ein Gut mit tausend Seelen erworben.

Wenn Fürst Alexis sein Mittagsschläfchen hielt, dürfte im Städtchen keine
Katze sich unterstehen zu miaue». Im Sommer wurde jeden Tag nach Tische
auf dem Balkon des Schlosses em Großvaterstuhl aufgestellt, in welchem
der Fürst einzuschlafen pflegte, und bevor er aufwachte, wagte keine Seele in
ganz Zaboria und auf den Wolgabooten einen Ton von sich zu geben. Ge¬
schah dies einmal, so wurde der Betreffende sofort beim Kragen genommen
und im Stalle mit der vorgeschriebenen Anzahl von Prügeln bestraft. Da¬
mit Niemand sich mit Nichtwissen entschuldigen könne, wurde während der
Siesta Sr. Hoheit auf dem Schloßbande eine Fahne aufgehißt. Da begab
sich's einmal, daß ein ruinirter Landedelmann aus der Nachbarschaft, der bei
Fürst Alexis als Schmarotzer lebte, während dieser stillen Zeit unter dem
Schlafbalkon von Zaboria vomberwandelte. Ais derselbe am Fenster zwei
Damen erblickte, die ebenfalls wegen Mangel an Mitteln bei dem reichern
Standesgenossen ihren Aufenthalt genommen hatten, versuchte der zum Schwa¬
tzen aufgelegte Parasit mit ihnen eilt lustiges Gespräch anzuspinnen. Sie
winkten ihm mit ihren Taschentüchern, sich still zu verhalten. Er seinerseits
antwortete darauf mit allerlei Grimassen, um sie zu lautem Gelächter zu brin¬
gen, und als das nicht gelang, brach er plötzlich mit der ersten Zeile eines
Gassenhauers los, der „die Straße" hieß, und gab dann Fersengeld. Die
Wächter im Schlosse waren eingeschlafen, und der Störenfried entkam ohne
bemerkt zu werden. Der Fürst erwachte und geriet!) in die äußerste Furie
über die freche Störung.

„Wer sang da die Straße?" fragte er mit Donnerstimme. Man spürte
nach allen Richtungen hin, aber der lustige Bösewicht hatte bereits einen
Heuboden gewonnen, wo er sich hinlegte und that, als ob er im tiefsten
Schlafe läge. Niemand wußte, daß er der Schuldige war, als die jungen
Damen, und diese hätten ihn um keinen Preis verrathen.

„Wer hat die Straße gesungen?" kreischte Fürst Alexis Juriwitsch. Die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0428" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113670"/>
          <p xml:id="ID_1334"> &#x201E;Sie lügen, Hoheit", erwiderte der Kaufmann. &#x201E;Sie wollen mich blos<lb/>
an sich locken und dann durchprügeln."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1335"> &#x201E;Ich weide dich nicht mit einem. Finger anrühren", versprach der<lb/>
Fürst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1336"> Jener war noch nicht beruhigt, der Fürst gab stärkere Zusicherungen, aber<lb/>
nicht eher fühlte der Kaufmann sich bewogen, zu trauen, als bis Alexis Iu-<lb/>
riwitsch zum Zeichen seiner Aufrichtigkeit sich bekreuzt und alle Heiligen zu<lb/>
Zeugen angerufen, daß er nichts Böses im Schilde führe. Die Chronik des<lb/>
Schloßverwaiters erzählt, daß der Fürst dem Kaufmann immer die größte<lb/>
Achtung bewiesen, für seine Familie gesorgt und den Sohn desselben in den<lb/>
Staatsdienst gebracht habe, in welchem er sich bis zum Bicegouverneur em¬<lb/>
porgeschwungen und ein Gut mit tausend Seelen erworben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1337"> Wenn Fürst Alexis sein Mittagsschläfchen hielt, dürfte im Städtchen keine<lb/>
Katze sich unterstehen zu miaue». Im Sommer wurde jeden Tag nach Tische<lb/>
auf dem Balkon des Schlosses em Großvaterstuhl aufgestellt, in welchem<lb/>
der Fürst einzuschlafen pflegte, und bevor er aufwachte, wagte keine Seele in<lb/>
ganz Zaboria und auf den Wolgabooten einen Ton von sich zu geben. Ge¬<lb/>
schah dies einmal, so wurde der Betreffende sofort beim Kragen genommen<lb/>
und im Stalle mit der vorgeschriebenen Anzahl von Prügeln bestraft. Da¬<lb/>
mit Niemand sich mit Nichtwissen entschuldigen könne, wurde während der<lb/>
Siesta Sr. Hoheit auf dem Schloßbande eine Fahne aufgehißt. Da begab<lb/>
sich's einmal, daß ein ruinirter Landedelmann aus der Nachbarschaft, der bei<lb/>
Fürst Alexis als Schmarotzer lebte, während dieser stillen Zeit unter dem<lb/>
Schlafbalkon von Zaboria vomberwandelte. Ais derselbe am Fenster zwei<lb/>
Damen erblickte, die ebenfalls wegen Mangel an Mitteln bei dem reichern<lb/>
Standesgenossen ihren Aufenthalt genommen hatten, versuchte der zum Schwa¬<lb/>
tzen aufgelegte Parasit mit ihnen eilt lustiges Gespräch anzuspinnen. Sie<lb/>
winkten ihm mit ihren Taschentüchern, sich still zu verhalten. Er seinerseits<lb/>
antwortete darauf mit allerlei Grimassen, um sie zu lautem Gelächter zu brin¬<lb/>
gen, und als das nicht gelang, brach er plötzlich mit der ersten Zeile eines<lb/>
Gassenhauers los, der &#x201E;die Straße" hieß, und gab dann Fersengeld. Die<lb/>
Wächter im Schlosse waren eingeschlafen, und der Störenfried entkam ohne<lb/>
bemerkt zu werden. Der Fürst erwachte und geriet!) in die äußerste Furie<lb/>
über die freche Störung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1338"> &#x201E;Wer sang da die Straße?" fragte er mit Donnerstimme. Man spürte<lb/>
nach allen Richtungen hin, aber der lustige Bösewicht hatte bereits einen<lb/>
Heuboden gewonnen, wo er sich hinlegte und that, als ob er im tiefsten<lb/>
Schlafe läge. Niemand wußte, daß er der Schuldige war, als die jungen<lb/>
Damen, und diese hätten ihn um keinen Preis verrathen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1339" next="#ID_1340"> &#x201E;Wer hat die Straße gesungen?" kreischte Fürst Alexis Juriwitsch. Die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0428] „Sie lügen, Hoheit", erwiderte der Kaufmann. „Sie wollen mich blos an sich locken und dann durchprügeln." „Ich weide dich nicht mit einem. Finger anrühren", versprach der Fürst. Jener war noch nicht beruhigt, der Fürst gab stärkere Zusicherungen, aber nicht eher fühlte der Kaufmann sich bewogen, zu trauen, als bis Alexis Iu- riwitsch zum Zeichen seiner Aufrichtigkeit sich bekreuzt und alle Heiligen zu Zeugen angerufen, daß er nichts Böses im Schilde führe. Die Chronik des Schloßverwaiters erzählt, daß der Fürst dem Kaufmann immer die größte Achtung bewiesen, für seine Familie gesorgt und den Sohn desselben in den Staatsdienst gebracht habe, in welchem er sich bis zum Bicegouverneur em¬ porgeschwungen und ein Gut mit tausend Seelen erworben. Wenn Fürst Alexis sein Mittagsschläfchen hielt, dürfte im Städtchen keine Katze sich unterstehen zu miaue». Im Sommer wurde jeden Tag nach Tische auf dem Balkon des Schlosses em Großvaterstuhl aufgestellt, in welchem der Fürst einzuschlafen pflegte, und bevor er aufwachte, wagte keine Seele in ganz Zaboria und auf den Wolgabooten einen Ton von sich zu geben. Ge¬ schah dies einmal, so wurde der Betreffende sofort beim Kragen genommen und im Stalle mit der vorgeschriebenen Anzahl von Prügeln bestraft. Da¬ mit Niemand sich mit Nichtwissen entschuldigen könne, wurde während der Siesta Sr. Hoheit auf dem Schloßbande eine Fahne aufgehißt. Da begab sich's einmal, daß ein ruinirter Landedelmann aus der Nachbarschaft, der bei Fürst Alexis als Schmarotzer lebte, während dieser stillen Zeit unter dem Schlafbalkon von Zaboria vomberwandelte. Ais derselbe am Fenster zwei Damen erblickte, die ebenfalls wegen Mangel an Mitteln bei dem reichern Standesgenossen ihren Aufenthalt genommen hatten, versuchte der zum Schwa¬ tzen aufgelegte Parasit mit ihnen eilt lustiges Gespräch anzuspinnen. Sie winkten ihm mit ihren Taschentüchern, sich still zu verhalten. Er seinerseits antwortete darauf mit allerlei Grimassen, um sie zu lautem Gelächter zu brin¬ gen, und als das nicht gelang, brach er plötzlich mit der ersten Zeile eines Gassenhauers los, der „die Straße" hieß, und gab dann Fersengeld. Die Wächter im Schlosse waren eingeschlafen, und der Störenfried entkam ohne bemerkt zu werden. Der Fürst erwachte und geriet!) in die äußerste Furie über die freche Störung. „Wer sang da die Straße?" fragte er mit Donnerstimme. Man spürte nach allen Richtungen hin, aber der lustige Bösewicht hatte bereits einen Heuboden gewonnen, wo er sich hinlegte und that, als ob er im tiefsten Schlafe läge. Niemand wußte, daß er der Schuldige war, als die jungen Damen, und diese hätten ihn um keinen Preis verrathen. „Wer hat die Straße gesungen?" kreischte Fürst Alexis Juriwitsch. Die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/428
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/428>, abgerufen am 23.07.2024.