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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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von Zaboria, und als er endlich eintraf, war das Eis inzwischen so stark
geworden, daß selbst Jaschka, und Hütte er einen Kopf von Blei gehabt, nicht
im Stande gewesen wäre, den begehrten Neisak kunstgerecht zu machen.

Wo sein eignes Interesse nicht ins Spiel kam, war Fürst Alexis ein gro¬
ßer Liebhaber der Gerechtigkeit. So hatte er einmal gehört, daß ein Kauf¬
mann beim Jahrmarkt im Städtchen die Frau eines Bauern betrogen. So¬
fort ging er in die Bude des Delinquenten, nahm ihm ein ganzes Stück Tuch
weg und schickte es der armen Frau, indem er ihr sagen ließ, der Kaufmann
Tschurkin sende es ihr mit schönem Compliment zur Ausgleichung der kleinen
Summe, um die sie bei ihm betrogen worden. Dem Kaufmann bemerkte er,
wofern er nicht besser nach seinen Leuten sähe, so würde er, der Fürst, sich
genöthigt sehen, in seiner Manier den Verlauf der Waaren zu besorgen. Kaum
eine Woche war seitdem verflossen, so erfuhr der Fürst, daß der unehrliche
Kaufmann wieder Jemand verkürzt, der bei ihm feine Leinwand genommen.
Unverzüglich stieg er zu Pferde, galoppirte aus den Markt und trat in Tschur-
kin's Bude.

"Ach, Tschurkin, Tschurkin, du hast meine Befehle vergessen", begann er.
"schreckbar, was du für ein schlechtes Gedächtniß hast! Aber das hilft nun
Alles nichts, ich habe dir mein Wort gegeben, und das müssen wir halten.
Marsch hinaus aus dem Laden!"

Tschurkin und seine Gehilfen gehorchten, und Fürst Alexis Juriwitsch trat
hinter den Ladentisch, nahm die Elle in die Hand und schrie mit einer
Stimme, die über den ganzen Jahrmarkt zu hören war: "Heran, meine Da¬
men und Herren und besehen Sie sich unsre Waaren. Wir haben Atlas,
Muslin und alle Arten Damenkleider, Strümpfe, Taschentücher. Kattun. Lein¬
wand und allerlei Zeug. Wir messen vortrefflich und zu wohlfeilen Preisen.
Wir wechseln nicht und nehmen kein kleines Geld von unsern Kunden. Wir
verkaufen unsre Waaren genau für das..was sie uns kosten, zu Baarpreisen,
aber wer kein baares Geld hat, kann Credit haben. Wenn man uns bezahlt,
danken wir dafür, wo nicht, so hilfts auch nichts."

Alle Welt rannte nach der Bude Tschurkin's. Fürst Alexis maß Jedem,
der nach einem Stoff verlangte, d"s Geforderte zu, in drei Stunden war
Alles ausverkauft, aber die Summe, die dafür erlangt worden, war keines¬
wegs beträchtlich.

"Da ist das baare Geld", sagte der Fürst zu Tschurkin. als der Verkauf
vorbei war, "aber eine gute Menge Waare ist auf Borg weggegeben worden.
Du kannst dich jetzt daran machen, die Schulden einzucassiren. Mein Antheil
an der Sache ist abgemacht, aber du wirst wohl thun, die Leute nicht zu
vergessen, die du betrogen hast."

Hoheit bat dann im bescheidnen Ton eines Gehilfen Tschurkin, ihm die


von Zaboria, und als er endlich eintraf, war das Eis inzwischen so stark
geworden, daß selbst Jaschka, und Hütte er einen Kopf von Blei gehabt, nicht
im Stande gewesen wäre, den begehrten Neisak kunstgerecht zu machen.

Wo sein eignes Interesse nicht ins Spiel kam, war Fürst Alexis ein gro¬
ßer Liebhaber der Gerechtigkeit. So hatte er einmal gehört, daß ein Kauf¬
mann beim Jahrmarkt im Städtchen die Frau eines Bauern betrogen. So¬
fort ging er in die Bude des Delinquenten, nahm ihm ein ganzes Stück Tuch
weg und schickte es der armen Frau, indem er ihr sagen ließ, der Kaufmann
Tschurkin sende es ihr mit schönem Compliment zur Ausgleichung der kleinen
Summe, um die sie bei ihm betrogen worden. Dem Kaufmann bemerkte er,
wofern er nicht besser nach seinen Leuten sähe, so würde er, der Fürst, sich
genöthigt sehen, in seiner Manier den Verlauf der Waaren zu besorgen. Kaum
eine Woche war seitdem verflossen, so erfuhr der Fürst, daß der unehrliche
Kaufmann wieder Jemand verkürzt, der bei ihm feine Leinwand genommen.
Unverzüglich stieg er zu Pferde, galoppirte aus den Markt und trat in Tschur-
kin's Bude.

„Ach, Tschurkin, Tschurkin, du hast meine Befehle vergessen", begann er.
„schreckbar, was du für ein schlechtes Gedächtniß hast! Aber das hilft nun
Alles nichts, ich habe dir mein Wort gegeben, und das müssen wir halten.
Marsch hinaus aus dem Laden!"

Tschurkin und seine Gehilfen gehorchten, und Fürst Alexis Juriwitsch trat
hinter den Ladentisch, nahm die Elle in die Hand und schrie mit einer
Stimme, die über den ganzen Jahrmarkt zu hören war: „Heran, meine Da¬
men und Herren und besehen Sie sich unsre Waaren. Wir haben Atlas,
Muslin und alle Arten Damenkleider, Strümpfe, Taschentücher. Kattun. Lein¬
wand und allerlei Zeug. Wir messen vortrefflich und zu wohlfeilen Preisen.
Wir wechseln nicht und nehmen kein kleines Geld von unsern Kunden. Wir
verkaufen unsre Waaren genau für das..was sie uns kosten, zu Baarpreisen,
aber wer kein baares Geld hat, kann Credit haben. Wenn man uns bezahlt,
danken wir dafür, wo nicht, so hilfts auch nichts."

Alle Welt rannte nach der Bude Tschurkin's. Fürst Alexis maß Jedem,
der nach einem Stoff verlangte, d«s Geforderte zu, in drei Stunden war
Alles ausverkauft, aber die Summe, die dafür erlangt worden, war keines¬
wegs beträchtlich.

„Da ist das baare Geld", sagte der Fürst zu Tschurkin. als der Verkauf
vorbei war, „aber eine gute Menge Waare ist auf Borg weggegeben worden.
Du kannst dich jetzt daran machen, die Schulden einzucassiren. Mein Antheil
an der Sache ist abgemacht, aber du wirst wohl thun, die Leute nicht zu
vergessen, die du betrogen hast."

Hoheit bat dann im bescheidnen Ton eines Gehilfen Tschurkin, ihm die


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[0426] von Zaboria, und als er endlich eintraf, war das Eis inzwischen so stark geworden, daß selbst Jaschka, und Hütte er einen Kopf von Blei gehabt, nicht im Stande gewesen wäre, den begehrten Neisak kunstgerecht zu machen. Wo sein eignes Interesse nicht ins Spiel kam, war Fürst Alexis ein gro¬ ßer Liebhaber der Gerechtigkeit. So hatte er einmal gehört, daß ein Kauf¬ mann beim Jahrmarkt im Städtchen die Frau eines Bauern betrogen. So¬ fort ging er in die Bude des Delinquenten, nahm ihm ein ganzes Stück Tuch weg und schickte es der armen Frau, indem er ihr sagen ließ, der Kaufmann Tschurkin sende es ihr mit schönem Compliment zur Ausgleichung der kleinen Summe, um die sie bei ihm betrogen worden. Dem Kaufmann bemerkte er, wofern er nicht besser nach seinen Leuten sähe, so würde er, der Fürst, sich genöthigt sehen, in seiner Manier den Verlauf der Waaren zu besorgen. Kaum eine Woche war seitdem verflossen, so erfuhr der Fürst, daß der unehrliche Kaufmann wieder Jemand verkürzt, der bei ihm feine Leinwand genommen. Unverzüglich stieg er zu Pferde, galoppirte aus den Markt und trat in Tschur- kin's Bude. „Ach, Tschurkin, Tschurkin, du hast meine Befehle vergessen", begann er. „schreckbar, was du für ein schlechtes Gedächtniß hast! Aber das hilft nun Alles nichts, ich habe dir mein Wort gegeben, und das müssen wir halten. Marsch hinaus aus dem Laden!" Tschurkin und seine Gehilfen gehorchten, und Fürst Alexis Juriwitsch trat hinter den Ladentisch, nahm die Elle in die Hand und schrie mit einer Stimme, die über den ganzen Jahrmarkt zu hören war: „Heran, meine Da¬ men und Herren und besehen Sie sich unsre Waaren. Wir haben Atlas, Muslin und alle Arten Damenkleider, Strümpfe, Taschentücher. Kattun. Lein¬ wand und allerlei Zeug. Wir messen vortrefflich und zu wohlfeilen Preisen. Wir wechseln nicht und nehmen kein kleines Geld von unsern Kunden. Wir verkaufen unsre Waaren genau für das..was sie uns kosten, zu Baarpreisen, aber wer kein baares Geld hat, kann Credit haben. Wenn man uns bezahlt, danken wir dafür, wo nicht, so hilfts auch nichts." Alle Welt rannte nach der Bude Tschurkin's. Fürst Alexis maß Jedem, der nach einem Stoff verlangte, d«s Geforderte zu, in drei Stunden war Alles ausverkauft, aber die Summe, die dafür erlangt worden, war keines¬ wegs beträchtlich. „Da ist das baare Geld", sagte der Fürst zu Tschurkin. als der Verkauf vorbei war, „aber eine gute Menge Waare ist auf Borg weggegeben worden. Du kannst dich jetzt daran machen, die Schulden einzucassiren. Mein Antheil an der Sache ist abgemacht, aber du wirst wohl thun, die Leute nicht zu vergessen, die du betrogen hast." Hoheit bat dann im bescheidnen Ton eines Gehilfen Tschurkin, ihm die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/426>, abgerufen am 29.12.2024.