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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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stehen, und daß eine Stärkung, nicht eine Schwächung des preußischen Ver-
fassungslcbens eins ihrem Widerstande hervorgeht.

Im vorliegenden Fall steht nach unserem Dafürhalten auf Seite der
Regierung jede Rücksicht der Pflicht und Klugheit. Jeder Minister, welcher Reform
der deutschen Bundesverhältnisse will, wird genöthigt sein, die unvollkommene
bestehende Form so lange zu respectiren, bis er stark genug ist, eine bessere an die
Stelle zu setzen. Er wird die Wege, welche ihm das Bundesgesetz offen
läßt, so lange benutzen, bis er im Stande ist, der Nation neue Gesetze zu
empfehlen und dieselben gegen die Widerstrebenden durchzusetzen.

Ferner ist für die praktischen Resultate, welche bei den gegenwärtigen
Krnftverhältnissen Preußens erreicht werden können, an sich gleichgiltig, ob
sie auf Grund von Artikel 11, oder auf Grund unveräußerlicher Rechte der Na¬
tion gewonnen werden. Wenn es gelingt, die Mißregierung in einem deutschen
Lande mit einer unserer Partei angehöngen zu vertauschen, wenn es gelingt,
die Selbständigkeit Schleswigs gegen die dänische Jncorporationsarveit zu
retten, so wird der deutschen Nation jedenfalls der Weg der angenehmste
sein, der am sichersten und mit den geringsten Opfern zu solchem 'Resultat
führt. Vermag Artikel 11 oder irgend ein anderer dazu zu helfen, so wollen
wir uns wohl hüten, jetzt kritisch zu untersuchen, ob das Statut, in welchem
dieser Paragraph steht, auch jede Bedingung rechtlicher Geltung habe, oder nicht.

In Preußen steht es offenbar so, daß die liberalen Vertreter den guten
Willen der Regierung, für die deutsche Frage etwas zu thun, als vorhanden
annehmen dürfen, daß ihnen aber Eifer und Energie der Regierung nicht
groß genug erscheint, da sie die Schwierigkeiten ebenso zu unterschätzen geneigt
sind, als die Ungelenkigkeit der Regierung dieselben überschätzen mag. Bei
solchem Gegensatz muß den Volksvertretern, wenn sie nicht rechthaberisch zan¬
ken wollen, vor Allem daran liegen, daß die Regierung überhaupt etwas thue
und die ersten Schritte in der gewünschten Richtung durchsetze, gleichviel ob ihre
Methode die möglichst großartigste ist, oder nicht.

Dies ist einfachem Menschenverstand sehr klar, und wir verhehlen nicht,
daß im vorliegenden Fall die Empfindlichkeit der Commission ebenso wenig
Berechtigung haben und ebensowenig den Dank ihrer politischen Freunde
verdienen würde, als ein empfindlicher Stolz der Regierung, wenn diese
ihre Auffassung der Kammer kalt und wortkarg gegenüber stellen wollte. Das
Abgeordnetenhaus aber hat diesmal nach unserer Ueberzeugung die Aufgabe,
den Standpunkt der Regierung zu respectiren.




stehen, und daß eine Stärkung, nicht eine Schwächung des preußischen Ver-
fassungslcbens eins ihrem Widerstande hervorgeht.

Im vorliegenden Fall steht nach unserem Dafürhalten auf Seite der
Regierung jede Rücksicht der Pflicht und Klugheit. Jeder Minister, welcher Reform
der deutschen Bundesverhältnisse will, wird genöthigt sein, die unvollkommene
bestehende Form so lange zu respectiren, bis er stark genug ist, eine bessere an die
Stelle zu setzen. Er wird die Wege, welche ihm das Bundesgesetz offen
läßt, so lange benutzen, bis er im Stande ist, der Nation neue Gesetze zu
empfehlen und dieselben gegen die Widerstrebenden durchzusetzen.

Ferner ist für die praktischen Resultate, welche bei den gegenwärtigen
Krnftverhältnissen Preußens erreicht werden können, an sich gleichgiltig, ob
sie auf Grund von Artikel 11, oder auf Grund unveräußerlicher Rechte der Na¬
tion gewonnen werden. Wenn es gelingt, die Mißregierung in einem deutschen
Lande mit einer unserer Partei angehöngen zu vertauschen, wenn es gelingt,
die Selbständigkeit Schleswigs gegen die dänische Jncorporationsarveit zu
retten, so wird der deutschen Nation jedenfalls der Weg der angenehmste
sein, der am sichersten und mit den geringsten Opfern zu solchem 'Resultat
führt. Vermag Artikel 11 oder irgend ein anderer dazu zu helfen, so wollen
wir uns wohl hüten, jetzt kritisch zu untersuchen, ob das Statut, in welchem
dieser Paragraph steht, auch jede Bedingung rechtlicher Geltung habe, oder nicht.

In Preußen steht es offenbar so, daß die liberalen Vertreter den guten
Willen der Regierung, für die deutsche Frage etwas zu thun, als vorhanden
annehmen dürfen, daß ihnen aber Eifer und Energie der Regierung nicht
groß genug erscheint, da sie die Schwierigkeiten ebenso zu unterschätzen geneigt
sind, als die Ungelenkigkeit der Regierung dieselben überschätzen mag. Bei
solchem Gegensatz muß den Volksvertretern, wenn sie nicht rechthaberisch zan¬
ken wollen, vor Allem daran liegen, daß die Regierung überhaupt etwas thue
und die ersten Schritte in der gewünschten Richtung durchsetze, gleichviel ob ihre
Methode die möglichst großartigste ist, oder nicht.

Dies ist einfachem Menschenverstand sehr klar, und wir verhehlen nicht,
daß im vorliegenden Fall die Empfindlichkeit der Commission ebenso wenig
Berechtigung haben und ebensowenig den Dank ihrer politischen Freunde
verdienen würde, als ein empfindlicher Stolz der Regierung, wenn diese
ihre Auffassung der Kammer kalt und wortkarg gegenüber stellen wollte. Das
Abgeordnetenhaus aber hat diesmal nach unserer Ueberzeugung die Aufgabe,
den Standpunkt der Regierung zu respectiren.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/414>, abgerufen am 23.07.2024.