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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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stützen; der Antrag der Fortschrittspartei "verfolgt zwar dieselbe Richtung, aber
geht von einer principiellen Grundlage aus, welche die Regierung mit ihrem
eigenen Standpunkt nicht zu vereinigen vermag"; endlich der Antrag der Ab¬
geordneten Bresgen und Genossen "scheint auch in seiner Richtung von dem
Standpunkte der Regierung abzuweichen."

Die deutsche Commission wählte hieraus aus ihrer Mitte eine Subcom-
mission, welche eine Einigung in Betreff der drei vorliegenden Anträge ver¬
suchen sollte. Um ein Zusammengehen mit der Regierung nicht zu erschweren,
nahm die Subcommission auf die Bedenken und Ansichten des Grafen Bern-
storff alle mögliche Rücksicht. Deshalb ließ sie den Antrag von Bresgen und
Genossen, welcher der Regierung am wenigsten gefallen hatte, ganz sollen.
Aus den beiden anderen Anträgen ward im Wege des Compromisses ein ge¬
meinsamer neuer Antrag formulirt. Als Grundlage war dabei der vom Mi¬
nister gebilligte ursprüngliche Antrag der Fraction Grabow angenommen; aus
dem Antrag der Fortschrittspartei waren einige Wendungen adoptirt, von de¬
nen man annahm, daß sie mit dem Standpunkt der Regierung nicht in einem
principiellen Widerspruch stehen. Namentlich wurde die Berufung auf das
"unveräußerliche" Recht der deutschen Nation auf bundesstaatliche Einigung
nicht aufgenommen; eben so wenig war in dem neuen gemeinsamen Antrag
von einem "nur thatsächlichen" Bestehen des Bundestags die Rede. Man
ließ die Frage über die Rechtsbeständigkeit des Bundestags ganz unberührt.
Während in diesen Punkten von der linken Seite nachgegeben wurde, gab
man von der rechten "Seite die Berufung aus den Artikel 11 der Bundesacte
auf. So vereinigte man sich über eine Fassung, in deren Schlußantrag das
Haus "für nothwendig erklärt: daß bei der dringend gebotenen Reform der
deutschen Bundesverfassung zwischen dem östreichischen Bundesgebiete und dem
übrigen Deutschland ein unlösliches Bundesverhältniß erhalten wird; 2) daß
innerhalb dieses weiteren Bundes Preußen und die übrigen deutschen Staaten,
unbeschadet ihrer inneren Selbständigkeit, sich bezüglich der militärischen, dip¬
lomatischen und handelspolitischen Angelegenheiten zu einem engeren Bunde
vereinigen, in welchem die Krone Preußens die einheitliche Bundesregierung
führt und eine gemeinsame Nationalvertretung die Mitwirkung bei der Gesetz¬
gebung und die verfassungsmüßige Controle über die Bundesregierung übt;
3) daß die königliche Staatsregierung im vollen Bewußtsein ihres deutschen
Berufs diese bundesstaatliche Organisation offen als das Ziel ihrer Politik
hinstellt und zunächst durch Vereinbarungen mit den deutschen Staaten ihrer
Verwirklichung entgegen zu führen strebt." In diesen Sätzen hoffte man eine
Formel gefunden zu haben, mit welcher sich die verschiedenen liberalen Frac-
tionen des Hauses einverstanden erklären konnten, und in welcher auch die Regierung
nicht einen principiellen Widerspruch gegen ihren Standpunkt finden würde.


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stützen; der Antrag der Fortschrittspartei „verfolgt zwar dieselbe Richtung, aber
geht von einer principiellen Grundlage aus, welche die Regierung mit ihrem
eigenen Standpunkt nicht zu vereinigen vermag"; endlich der Antrag der Ab¬
geordneten Bresgen und Genossen „scheint auch in seiner Richtung von dem
Standpunkte der Regierung abzuweichen."

Die deutsche Commission wählte hieraus aus ihrer Mitte eine Subcom-
mission, welche eine Einigung in Betreff der drei vorliegenden Anträge ver¬
suchen sollte. Um ein Zusammengehen mit der Regierung nicht zu erschweren,
nahm die Subcommission auf die Bedenken und Ansichten des Grafen Bern-
storff alle mögliche Rücksicht. Deshalb ließ sie den Antrag von Bresgen und
Genossen, welcher der Regierung am wenigsten gefallen hatte, ganz sollen.
Aus den beiden anderen Anträgen ward im Wege des Compromisses ein ge¬
meinsamer neuer Antrag formulirt. Als Grundlage war dabei der vom Mi¬
nister gebilligte ursprüngliche Antrag der Fraction Grabow angenommen; aus
dem Antrag der Fortschrittspartei waren einige Wendungen adoptirt, von de¬
nen man annahm, daß sie mit dem Standpunkt der Regierung nicht in einem
principiellen Widerspruch stehen. Namentlich wurde die Berufung auf das
„unveräußerliche" Recht der deutschen Nation auf bundesstaatliche Einigung
nicht aufgenommen; eben so wenig war in dem neuen gemeinsamen Antrag
von einem „nur thatsächlichen" Bestehen des Bundestags die Rede. Man
ließ die Frage über die Rechtsbeständigkeit des Bundestags ganz unberührt.
Während in diesen Punkten von der linken Seite nachgegeben wurde, gab
man von der rechten «Seite die Berufung aus den Artikel 11 der Bundesacte
auf. So vereinigte man sich über eine Fassung, in deren Schlußantrag das
Haus „für nothwendig erklärt: daß bei der dringend gebotenen Reform der
deutschen Bundesverfassung zwischen dem östreichischen Bundesgebiete und dem
übrigen Deutschland ein unlösliches Bundesverhältniß erhalten wird; 2) daß
innerhalb dieses weiteren Bundes Preußen und die übrigen deutschen Staaten,
unbeschadet ihrer inneren Selbständigkeit, sich bezüglich der militärischen, dip¬
lomatischen und handelspolitischen Angelegenheiten zu einem engeren Bunde
vereinigen, in welchem die Krone Preußens die einheitliche Bundesregierung
führt und eine gemeinsame Nationalvertretung die Mitwirkung bei der Gesetz¬
gebung und die verfassungsmüßige Controle über die Bundesregierung übt;
3) daß die königliche Staatsregierung im vollen Bewußtsein ihres deutschen
Berufs diese bundesstaatliche Organisation offen als das Ziel ihrer Politik
hinstellt und zunächst durch Vereinbarungen mit den deutschen Staaten ihrer
Verwirklichung entgegen zu führen strebt." In diesen Sätzen hoffte man eine
Formel gefunden zu haben, mit welcher sich die verschiedenen liberalen Frac-
tionen des Hauses einverstanden erklären konnten, und in welcher auch die Regierung
nicht einen principiellen Widerspruch gegen ihren Standpunkt finden würde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/411>, abgerufen am 23.07.2024.