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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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andern vorbei zu kommen, wenn hiev der Feind kommt? Dann bin ich auf
dem Wagen verloren! -- So ritten wir denn ganz gemüthlich im Schritt auf
Erfurt zu. als mit einem Male hinter uns der Ruf erscholl: die Franzosen,
die Franzosen kommen! -- Nun hätte man dies Fahren, dies Umwerfen,
dies Strängcabsckncidcn, dies Plündern der umgeworfenen Wagen :c. sehen
sollen. Keine Feder vermag dies Wirrsal. diesen allgemeinen Schrecken zu
schildern, ich bekam damals einen Vorgeschmack von dem mir später deutlich
gewordenen sg-nos qui xeut der Franzosen. Wie glücklich fühlte ich mich zu
Pferde! -- Mein Brauner ging einen prächtigen Galopp, aber das litt mein
artiger Unteroffizier nicht lange; er nahm das Pferd am Zügel, das gräfliche
Traben sing von Neuem'an. und mit diesem stellten sich bald die schrecklichsten
Milzstiche wieder ein. Er belehrte mich, ich solle Geduld haben, man stürbe
nickt daran, und wenn ich es nur eine Weile aushielte, würde es aufhören
und nie wieder kehren. Mein Persuch bewies, daß er Recht hatte, es wurde
abwechselnd Schritt und Trab geritten, das Milzstechen ließ nach, und die
sechs Stunden bis nach Erfurt wurden von uns in zweien zurückgelegt. Hier
noch vor Anbruch der Finsternis! angekommen, verließ ich mit herzlichem Dank
meinen Husnrcnunteroisizier. dessen Namen ich nicht einmal weiß, und suchte
auf dem nachhause ein Quartierbillet. Auf dem Wege dahin ging ich vor
dem römischen Kaiser, einem großen Gasthofe, vorbei und sah vor demselben
einen Offizier des Bataillons, den noch jetzt lebenden Generallieutenant von
B...e, der sich meiner freundlich annahm und, als er erfuhr, daß ich
den Tag über nichts als etwas Semmel, Aepfel und Brot gegessen hatte,
mir im Gasthof zu essen geben und auch ein Quartierbillet besorgen ließ. Er
war in einem Arm verwundet und trug ihn in der Binde. Nie habe ich
seine Freundlichkeit vergessen und bin ihm heut als 70jähriger Greis noch
dankbar dafür. Ich suchte dann bald mein Quartier auf, das bei armen,
aber freundlichen Bürgersleuten war, wo ich in einem kleinen Stübchen vorn
heraus ein reinliches gutes Bett fand und mit der Sorglosigkeit der Jugend,
mich in einer Festung vollkommen sicher wissend, bis an den hellen Morgen
schlief. Ich hörte Geräusch auf der Straße, sah zum Fenster hinaus und
erfuhr, daß befohlen. Alles, was nicht zur Garnison gehöre, müsse die Stadt
verlassen. Nachdem ich ein kleines Frühstück eingenommen, verließ ich Er¬
furt auf der Straße nach Langensalza zu.

Ich mochte etwa eine halbe Meile fortgewandert sein, als ich auf Offi-
ziers-Packkucchte vom Regiment Kalkstein mit den Pferden ihrer Herrn traf.
Ich bat sie, mich auf einem derselben mitzunehmen, wozu sich einer entschloß,
nachdem ich ihm den Nest meiner kleinen Baarschaft der in 8 Groschen bestand
gegeben hatte; für 4, die ich ihm bot, wollte er sich nicht dazu verstehen.
So kam ich nach Langensalza sechs Stunden von Erfurt, weiter wollten mich


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andern vorbei zu kommen, wenn hiev der Feind kommt? Dann bin ich auf
dem Wagen verloren! — So ritten wir denn ganz gemüthlich im Schritt auf
Erfurt zu. als mit einem Male hinter uns der Ruf erscholl: die Franzosen,
die Franzosen kommen! — Nun hätte man dies Fahren, dies Umwerfen,
dies Strängcabsckncidcn, dies Plündern der umgeworfenen Wagen :c. sehen
sollen. Keine Feder vermag dies Wirrsal. diesen allgemeinen Schrecken zu
schildern, ich bekam damals einen Vorgeschmack von dem mir später deutlich
gewordenen sg-nos qui xeut der Franzosen. Wie glücklich fühlte ich mich zu
Pferde! — Mein Brauner ging einen prächtigen Galopp, aber das litt mein
artiger Unteroffizier nicht lange; er nahm das Pferd am Zügel, das gräfliche
Traben sing von Neuem'an. und mit diesem stellten sich bald die schrecklichsten
Milzstiche wieder ein. Er belehrte mich, ich solle Geduld haben, man stürbe
nickt daran, und wenn ich es nur eine Weile aushielte, würde es aufhören
und nie wieder kehren. Mein Persuch bewies, daß er Recht hatte, es wurde
abwechselnd Schritt und Trab geritten, das Milzstechen ließ nach, und die
sechs Stunden bis nach Erfurt wurden von uns in zweien zurückgelegt. Hier
noch vor Anbruch der Finsternis! angekommen, verließ ich mit herzlichem Dank
meinen Husnrcnunteroisizier. dessen Namen ich nicht einmal weiß, und suchte
auf dem nachhause ein Quartierbillet. Auf dem Wege dahin ging ich vor
dem römischen Kaiser, einem großen Gasthofe, vorbei und sah vor demselben
einen Offizier des Bataillons, den noch jetzt lebenden Generallieutenant von
B...e, der sich meiner freundlich annahm und, als er erfuhr, daß ich
den Tag über nichts als etwas Semmel, Aepfel und Brot gegessen hatte,
mir im Gasthof zu essen geben und auch ein Quartierbillet besorgen ließ. Er
war in einem Arm verwundet und trug ihn in der Binde. Nie habe ich
seine Freundlichkeit vergessen und bin ihm heut als 70jähriger Greis noch
dankbar dafür. Ich suchte dann bald mein Quartier auf, das bei armen,
aber freundlichen Bürgersleuten war, wo ich in einem kleinen Stübchen vorn
heraus ein reinliches gutes Bett fand und mit der Sorglosigkeit der Jugend,
mich in einer Festung vollkommen sicher wissend, bis an den hellen Morgen
schlief. Ich hörte Geräusch auf der Straße, sah zum Fenster hinaus und
erfuhr, daß befohlen. Alles, was nicht zur Garnison gehöre, müsse die Stadt
verlassen. Nachdem ich ein kleines Frühstück eingenommen, verließ ich Er¬
furt auf der Straße nach Langensalza zu.

Ich mochte etwa eine halbe Meile fortgewandert sein, als ich auf Offi-
ziers-Packkucchte vom Regiment Kalkstein mit den Pferden ihrer Herrn traf.
Ich bat sie, mich auf einem derselben mitzunehmen, wozu sich einer entschloß,
nachdem ich ihm den Nest meiner kleinen Baarschaft der in 8 Groschen bestand
gegeben hatte; für 4, die ich ihm bot, wollte er sich nicht dazu verstehen.
So kam ich nach Langensalza sechs Stunden von Erfurt, weiter wollten mich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/37>, abgerufen am 28.12.2024.