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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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der Machtstellung Preußens in Deutschland. Aus diesem Grunde muß Preu¬
ßen, wenn es seine richtige Politik wiedergewinnen will, das Recht in Kur¬
hessen wiederherstellen. Aus demselben Grunde sind Oestreich und die Würz¬
burger Regierungen die natürlichen Gegner des turhessischen Rechts. An und
für sich würden diese Regierungen gewiß nicht viel gegen die Verfassung von 1831
und selbst gegen das Wahlgesetz von 1849 einzuwenden baben. Neuerdings hat
noch die vortreffliche badische Denkschrift gezeigt, daß es mit der angeblichen B"n-
deswidrigkeit dieser Verfassung nicht viel auf sich hat, und daß alle die Bestim¬
mungen, welche man als gegen die Bundcsgrundgcsetze verstoßend bezeichnet
hat, eine bundesmäßige Prüfung wohl aushalten und sich auch sämmtlich in
anderen deutschen Verfassungen, welche noch jetzt unangefochten bestehen, wie¬
derfinden. Also gegen die kurhessische Verfassung an sich würden Oestreich und
die Würzburger Coalirten schwerlich viel einzuwenden habe", wenn sie damit
sich einen kleinen populären Nimbus verschaffen könnten. Aber Preußen hat
1859 die kurhessische Frage wieder auf die Tagesordnung gesetzt; darum ist
sie in Würzburg von vornhnein verurtheilt.

Also ist Kurhessen das Feld, wo Preußen seine Stellung in Deutschland
wieder erobern muß. Das Abgeordnetenhaus hat dies vollkommen begriffen.
Mit 241 gegen 58 Stimmen erklärt das Haus es als dringend geboten, daß
die Regierung mit allen ihren Mitteln auf die Wiederherstellung des verfas¬
sungsmäßigen Rechtszustandes in Kurhessen, insbesondere auf eine sofortige
Berufung der hessischen Volksvertretung auf Grund der Verfassung vom 5. Jan.
1831, der in den Jahren 1848 und 1849 dazu gegebenen Erläuterungen und
daran vorgenommenen Abänderungen und des Wahlgesetzes vom 5. April
1849 hinwirke. Dürfen wir hoffen, daß unsere Regierung, gekräftigt durch
die Zustimmung der Volksvertretung, nunmehr im Sinne dieses Beschlusses
handeln wird? Leider berechtigt das Auftreten des Grafen Bernstorff uns nicht
zu solcher Hoffnung. Nicht einmal über das Ziel ist er mit dem Abgeord¬
netenhaus einig. Zwar auch er will die Wiederherstellung des verfassungs¬
mäßigen Rechtszustandes, aber er hat bis jetzt noch nicht zu einer klaren An¬
schauung darüber komme" können, ob das Wahlgesetz von 1849 mit dazu
gehört oder nicht, obgleich doch selbst die kurhessischc Negierung nie geleugnet
hat, daß das Wahlgesetz von 1349 ans verfassungsmäßigen Wege zu Stande
gekommen ist. Noch unmittelbar vor der Abstimmung hielt Graf Bernstorff
es für seine Pflicht, ausdrücklich gegen eine Bemerkung, des Berichterstatters
hervorzuheben, daß die Frage des Wahlgesetzes für die Regierung eine offene
sei. Die Minister, welche zugleich Abgeordnete sind, verließen vor der Abstim¬
mung das Haus. Sie befanden sich allerdings in einem mißlichen Dilemma.
Sie wollten nicht für das Wahlgesetz von 1849 , und doch auch, nicht gegen
den kurhessischen Antrag im Ganzen stimmen; also stimmten sie gar nicht.


der Machtstellung Preußens in Deutschland. Aus diesem Grunde muß Preu¬
ßen, wenn es seine richtige Politik wiedergewinnen will, das Recht in Kur¬
hessen wiederherstellen. Aus demselben Grunde sind Oestreich und die Würz¬
burger Regierungen die natürlichen Gegner des turhessischen Rechts. An und
für sich würden diese Regierungen gewiß nicht viel gegen die Verfassung von 1831
und selbst gegen das Wahlgesetz von 1849 einzuwenden baben. Neuerdings hat
noch die vortreffliche badische Denkschrift gezeigt, daß es mit der angeblichen B»n-
deswidrigkeit dieser Verfassung nicht viel auf sich hat, und daß alle die Bestim¬
mungen, welche man als gegen die Bundcsgrundgcsetze verstoßend bezeichnet
hat, eine bundesmäßige Prüfung wohl aushalten und sich auch sämmtlich in
anderen deutschen Verfassungen, welche noch jetzt unangefochten bestehen, wie¬
derfinden. Also gegen die kurhessische Verfassung an sich würden Oestreich und
die Würzburger Coalirten schwerlich viel einzuwenden habe», wenn sie damit
sich einen kleinen populären Nimbus verschaffen könnten. Aber Preußen hat
1859 die kurhessische Frage wieder auf die Tagesordnung gesetzt; darum ist
sie in Würzburg von vornhnein verurtheilt.

Also ist Kurhessen das Feld, wo Preußen seine Stellung in Deutschland
wieder erobern muß. Das Abgeordnetenhaus hat dies vollkommen begriffen.
Mit 241 gegen 58 Stimmen erklärt das Haus es als dringend geboten, daß
die Regierung mit allen ihren Mitteln auf die Wiederherstellung des verfas¬
sungsmäßigen Rechtszustandes in Kurhessen, insbesondere auf eine sofortige
Berufung der hessischen Volksvertretung auf Grund der Verfassung vom 5. Jan.
1831, der in den Jahren 1848 und 1849 dazu gegebenen Erläuterungen und
daran vorgenommenen Abänderungen und des Wahlgesetzes vom 5. April
1849 hinwirke. Dürfen wir hoffen, daß unsere Regierung, gekräftigt durch
die Zustimmung der Volksvertretung, nunmehr im Sinne dieses Beschlusses
handeln wird? Leider berechtigt das Auftreten des Grafen Bernstorff uns nicht
zu solcher Hoffnung. Nicht einmal über das Ziel ist er mit dem Abgeord¬
netenhaus einig. Zwar auch er will die Wiederherstellung des verfassungs¬
mäßigen Rechtszustandes, aber er hat bis jetzt noch nicht zu einer klaren An¬
schauung darüber komme» können, ob das Wahlgesetz von 1849 mit dazu
gehört oder nicht, obgleich doch selbst die kurhessischc Negierung nie geleugnet
hat, daß das Wahlgesetz von 1349 ans verfassungsmäßigen Wege zu Stande
gekommen ist. Noch unmittelbar vor der Abstimmung hielt Graf Bernstorff
es für seine Pflicht, ausdrücklich gegen eine Bemerkung, des Berichterstatters
hervorzuheben, daß die Frage des Wahlgesetzes für die Regierung eine offene
sei. Die Minister, welche zugleich Abgeordnete sind, verließen vor der Abstim¬
mung das Haus. Sie befanden sich allerdings in einem mißlichen Dilemma.
Sie wollten nicht für das Wahlgesetz von 1849 , und doch auch, nicht gegen
den kurhessischen Antrag im Ganzen stimmen; also stimmten sie gar nicht.


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[0362] der Machtstellung Preußens in Deutschland. Aus diesem Grunde muß Preu¬ ßen, wenn es seine richtige Politik wiedergewinnen will, das Recht in Kur¬ hessen wiederherstellen. Aus demselben Grunde sind Oestreich und die Würz¬ burger Regierungen die natürlichen Gegner des turhessischen Rechts. An und für sich würden diese Regierungen gewiß nicht viel gegen die Verfassung von 1831 und selbst gegen das Wahlgesetz von 1849 einzuwenden baben. Neuerdings hat noch die vortreffliche badische Denkschrift gezeigt, daß es mit der angeblichen B»n- deswidrigkeit dieser Verfassung nicht viel auf sich hat, und daß alle die Bestim¬ mungen, welche man als gegen die Bundcsgrundgcsetze verstoßend bezeichnet hat, eine bundesmäßige Prüfung wohl aushalten und sich auch sämmtlich in anderen deutschen Verfassungen, welche noch jetzt unangefochten bestehen, wie¬ derfinden. Also gegen die kurhessische Verfassung an sich würden Oestreich und die Würzburger Coalirten schwerlich viel einzuwenden habe», wenn sie damit sich einen kleinen populären Nimbus verschaffen könnten. Aber Preußen hat 1859 die kurhessische Frage wieder auf die Tagesordnung gesetzt; darum ist sie in Würzburg von vornhnein verurtheilt. Also ist Kurhessen das Feld, wo Preußen seine Stellung in Deutschland wieder erobern muß. Das Abgeordnetenhaus hat dies vollkommen begriffen. Mit 241 gegen 58 Stimmen erklärt das Haus es als dringend geboten, daß die Regierung mit allen ihren Mitteln auf die Wiederherstellung des verfas¬ sungsmäßigen Rechtszustandes in Kurhessen, insbesondere auf eine sofortige Berufung der hessischen Volksvertretung auf Grund der Verfassung vom 5. Jan. 1831, der in den Jahren 1848 und 1849 dazu gegebenen Erläuterungen und daran vorgenommenen Abänderungen und des Wahlgesetzes vom 5. April 1849 hinwirke. Dürfen wir hoffen, daß unsere Regierung, gekräftigt durch die Zustimmung der Volksvertretung, nunmehr im Sinne dieses Beschlusses handeln wird? Leider berechtigt das Auftreten des Grafen Bernstorff uns nicht zu solcher Hoffnung. Nicht einmal über das Ziel ist er mit dem Abgeord¬ netenhaus einig. Zwar auch er will die Wiederherstellung des verfassungs¬ mäßigen Rechtszustandes, aber er hat bis jetzt noch nicht zu einer klaren An¬ schauung darüber komme» können, ob das Wahlgesetz von 1849 mit dazu gehört oder nicht, obgleich doch selbst die kurhessischc Negierung nie geleugnet hat, daß das Wahlgesetz von 1349 ans verfassungsmäßigen Wege zu Stande gekommen ist. Noch unmittelbar vor der Abstimmung hielt Graf Bernstorff es für seine Pflicht, ausdrücklich gegen eine Bemerkung, des Berichterstatters hervorzuheben, daß die Frage des Wahlgesetzes für die Regierung eine offene sei. Die Minister, welche zugleich Abgeordnete sind, verließen vor der Abstim¬ mung das Haus. Sie befanden sich allerdings in einem mißlichen Dilemma. Sie wollten nicht für das Wahlgesetz von 1849 , und doch auch, nicht gegen den kurhessischen Antrag im Ganzen stimmen; also stimmten sie gar nicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/362>, abgerufen am 23.07.2024.