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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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frage gegen Preußen zu entscheiden. Jetzt freilich möchte man das nicht gerne
Wort haben; jetzt mochte man der Schande den Schleier der Nacht über Kopf
und Ohren ziehen. Aber der Verlauf der Sache von der Bregenzer Ver¬
schwörung bis zu den Strafbaiern ist nur zu bekannt. Hassenpflug hatte den
Auftrag, seine Stände zur Widersetzlichkeit aufzuhetzen, bannt der Numpfbun-
destag einen Vorwand habe, zu interveniren. Eine solche Aufgabe ist nur
schwer für den, der ein Gewissen hat. Für Hassenpflug war sie leicht. Er legte
den Ständen kein Budget vor; also war es den Ständen unmöglich, ein Bud¬
get zu genehmigen ober Steuern zu bewilligen, welche gar nicht ordnungs¬
mäßig beantragt waren. Dies war der Dienst, welchen Hassenpflug den Bre¬
genzer Verschwornen zu leisten hatte. Am 17. September 1850 hielt der kur¬
hessische Minister zu Frankfurt >n einer Versammlung, welche sich für den
Bundestag ausgab, einen langen Vortrag über die Lage Kurhesseus, deren
Schwierigketten er selbst auf die frivolste Weise geschaffen hatte. Hier galt
es el" Unrecht auszuführen; hier konnte der Bund ausnahmsweise einmal schnell
Handel". Der Gesandte für Lichtenstein, damals die einzige staatswissenschaft-
liche Autorität für die Bregenzer, erstattete Bericht und befürwortete das Ver¬
langen Ku" Hessens. Schon am 30. September 1350 ward die Intervention
beschlossen. Der weitere Verlauf der Sache vergißt sich nicht leicht, so lange
die Schande Preußens nicht wieder ausgetilgt ist. Mit überraschender Schnel¬
ligkeit gelangte" wir über Bronzcll "ach Olmütz.

Die Bundeswidrigkeit der kurhessischen Verfassung war also eine vom
Zaune gebrochene Erfindung; sie wurde "ur in Gang gebracht, damit Fürst
Schwarzenberg sein Programm "avilir 1a l^i'ussö" ^ausführen könne. Man
hätte diese Erfindung nicht gemacht, wenn man nicht die Unfähigkeit der da¬
malige" Staatsmänner Preußens gekannt hätte. Herr v. Manteuffel hatte so
viel als Spritzenmeister zu thu", um den angeblichen Brand im Innern zu
löschen, daß er in Olmütz demüthig Buße that für die Sünden von'Radowitz,
nur um mit der kurhessischen Sache nicht weiter behelligt zu werden. Aber
damit war Fürst Schwarzenberg noch nicht zufrieden. Manteuffel hatte sich
unterfangen, die Kurhessen gegen Oestreich zu vertheidigen; zur Strafe mußte
er nun selbst in Hessen als Spritzenmeister auftreten und die Durchführung
des Unrechts erzwingen helfen. Vermuthlich um sich über die Schande zu
trösten, erfand Manteuffel dann die Theorie von der Revolution in Schlaf¬
rock und Pantoffeln.

Hier liegt der Grund, weshalb die hessische Verfassungsfrage eine so
ausnahmsweise große Bedeutung hat. In Hannover, in Mecklenburg, in
Anhalt und -- man darf fast fragen, wo nicht in Deutschland? -- sind Ver¬
fassungen verletzt. Aber in Kurhessen war die Verfassungsverletzüng nur das
Mittel zur Vernichtung der preußischen UmonspoUtik und zur Herabdrückung


Grenzboten I. 1362. 45

frage gegen Preußen zu entscheiden. Jetzt freilich möchte man das nicht gerne
Wort haben; jetzt mochte man der Schande den Schleier der Nacht über Kopf
und Ohren ziehen. Aber der Verlauf der Sache von der Bregenzer Ver¬
schwörung bis zu den Strafbaiern ist nur zu bekannt. Hassenpflug hatte den
Auftrag, seine Stände zur Widersetzlichkeit aufzuhetzen, bannt der Numpfbun-
destag einen Vorwand habe, zu interveniren. Eine solche Aufgabe ist nur
schwer für den, der ein Gewissen hat. Für Hassenpflug war sie leicht. Er legte
den Ständen kein Budget vor; also war es den Ständen unmöglich, ein Bud¬
get zu genehmigen ober Steuern zu bewilligen, welche gar nicht ordnungs¬
mäßig beantragt waren. Dies war der Dienst, welchen Hassenpflug den Bre¬
genzer Verschwornen zu leisten hatte. Am 17. September 1850 hielt der kur¬
hessische Minister zu Frankfurt >n einer Versammlung, welche sich für den
Bundestag ausgab, einen langen Vortrag über die Lage Kurhesseus, deren
Schwierigketten er selbst auf die frivolste Weise geschaffen hatte. Hier galt
es el» Unrecht auszuführen; hier konnte der Bund ausnahmsweise einmal schnell
Handel». Der Gesandte für Lichtenstein, damals die einzige staatswissenschaft-
liche Autorität für die Bregenzer, erstattete Bericht und befürwortete das Ver¬
langen Ku» Hessens. Schon am 30. September 1350 ward die Intervention
beschlossen. Der weitere Verlauf der Sache vergißt sich nicht leicht, so lange
die Schande Preußens nicht wieder ausgetilgt ist. Mit überraschender Schnel¬
ligkeit gelangte» wir über Bronzcll »ach Olmütz.

Die Bundeswidrigkeit der kurhessischen Verfassung war also eine vom
Zaune gebrochene Erfindung; sie wurde »ur in Gang gebracht, damit Fürst
Schwarzenberg sein Programm „avilir 1a l^i'ussö" ^ausführen könne. Man
hätte diese Erfindung nicht gemacht, wenn man nicht die Unfähigkeit der da¬
malige» Staatsmänner Preußens gekannt hätte. Herr v. Manteuffel hatte so
viel als Spritzenmeister zu thu», um den angeblichen Brand im Innern zu
löschen, daß er in Olmütz demüthig Buße that für die Sünden von'Radowitz,
nur um mit der kurhessischen Sache nicht weiter behelligt zu werden. Aber
damit war Fürst Schwarzenberg noch nicht zufrieden. Manteuffel hatte sich
unterfangen, die Kurhessen gegen Oestreich zu vertheidigen; zur Strafe mußte
er nun selbst in Hessen als Spritzenmeister auftreten und die Durchführung
des Unrechts erzwingen helfen. Vermuthlich um sich über die Schande zu
trösten, erfand Manteuffel dann die Theorie von der Revolution in Schlaf¬
rock und Pantoffeln.

Hier liegt der Grund, weshalb die hessische Verfassungsfrage eine so
ausnahmsweise große Bedeutung hat. In Hannover, in Mecklenburg, in
Anhalt und — man darf fast fragen, wo nicht in Deutschland? — sind Ver¬
fassungen verletzt. Aber in Kurhessen war die Verfassungsverletzüng nur das
Mittel zur Vernichtung der preußischen UmonspoUtik und zur Herabdrückung


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[0361] frage gegen Preußen zu entscheiden. Jetzt freilich möchte man das nicht gerne Wort haben; jetzt mochte man der Schande den Schleier der Nacht über Kopf und Ohren ziehen. Aber der Verlauf der Sache von der Bregenzer Ver¬ schwörung bis zu den Strafbaiern ist nur zu bekannt. Hassenpflug hatte den Auftrag, seine Stände zur Widersetzlichkeit aufzuhetzen, bannt der Numpfbun- destag einen Vorwand habe, zu interveniren. Eine solche Aufgabe ist nur schwer für den, der ein Gewissen hat. Für Hassenpflug war sie leicht. Er legte den Ständen kein Budget vor; also war es den Ständen unmöglich, ein Bud¬ get zu genehmigen ober Steuern zu bewilligen, welche gar nicht ordnungs¬ mäßig beantragt waren. Dies war der Dienst, welchen Hassenpflug den Bre¬ genzer Verschwornen zu leisten hatte. Am 17. September 1850 hielt der kur¬ hessische Minister zu Frankfurt >n einer Versammlung, welche sich für den Bundestag ausgab, einen langen Vortrag über die Lage Kurhesseus, deren Schwierigketten er selbst auf die frivolste Weise geschaffen hatte. Hier galt es el» Unrecht auszuführen; hier konnte der Bund ausnahmsweise einmal schnell Handel». Der Gesandte für Lichtenstein, damals die einzige staatswissenschaft- liche Autorität für die Bregenzer, erstattete Bericht und befürwortete das Ver¬ langen Ku» Hessens. Schon am 30. September 1350 ward die Intervention beschlossen. Der weitere Verlauf der Sache vergißt sich nicht leicht, so lange die Schande Preußens nicht wieder ausgetilgt ist. Mit überraschender Schnel¬ ligkeit gelangte» wir über Bronzcll »ach Olmütz. Die Bundeswidrigkeit der kurhessischen Verfassung war also eine vom Zaune gebrochene Erfindung; sie wurde »ur in Gang gebracht, damit Fürst Schwarzenberg sein Programm „avilir 1a l^i'ussö" ^ausführen könne. Man hätte diese Erfindung nicht gemacht, wenn man nicht die Unfähigkeit der da¬ malige» Staatsmänner Preußens gekannt hätte. Herr v. Manteuffel hatte so viel als Spritzenmeister zu thu», um den angeblichen Brand im Innern zu löschen, daß er in Olmütz demüthig Buße that für die Sünden von'Radowitz, nur um mit der kurhessischen Sache nicht weiter behelligt zu werden. Aber damit war Fürst Schwarzenberg noch nicht zufrieden. Manteuffel hatte sich unterfangen, die Kurhessen gegen Oestreich zu vertheidigen; zur Strafe mußte er nun selbst in Hessen als Spritzenmeister auftreten und die Durchführung des Unrechts erzwingen helfen. Vermuthlich um sich über die Schande zu trösten, erfand Manteuffel dann die Theorie von der Revolution in Schlaf¬ rock und Pantoffeln. Hier liegt der Grund, weshalb die hessische Verfassungsfrage eine so ausnahmsweise große Bedeutung hat. In Hannover, in Mecklenburg, in Anhalt und — man darf fast fragen, wo nicht in Deutschland? — sind Ver¬ fassungen verletzt. Aber in Kurhessen war die Verfassungsverletzüng nur das Mittel zur Vernichtung der preußischen UmonspoUtik und zur Herabdrückung Grenzboten I. 1362. 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/361>, abgerufen am 23.07.2024.