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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Carbonari zu arg wurde, zur Opposition über; die Jesuiten gleichfalls, sie
sahen ein, daß die Politik des unbarmherzigen Gregor der Klugheit weichen
müsse.

Der Papst Capellari starb zu einer Zeit, wo ganz Italien kochte und sich
zu neuem revolutionären Ueberschäumcn anschickte. Die Bewogung. die im
Norden und Osten des Kirchenstaats nusbrechen sollte, unterblieb, man war¬
tete die Wahl des neuen Papstes ab. Es war, als ob aus dem Conclave
der Cardinäle ein Heiland hervorgehe" sollte. In Frage standen der Cardi¬
nal Lambruschini, der die Politik des sechzehnten Gregor fortgesetzt hätte,
und der Cardinal Micara, der dem Volk wie ein neuer Sixtus der Fünfte
erschien. Keiner von beiden erlangte die Mehrheit der Stimmen, der Bischof
von Imola, der gerade Scrutolor war, las Zettel auf Zettel mit seinem Na¬
men beschrieben ab. Als er genug Stimmen zu haben glaubte, sank er ohn¬
mächtig in seinen Sessel. Die Kirche hatte einen neuen Stellvertreter Christi,
der Kirchenstaat einen neuen Fürsten, der sich Pius der Neunte nannte.

Zwei Rathgeber wählte sich Pius, einen geistlichen und einen weltlichen,
den Abbate Graziosi zum Beichtvater, den Cardinal Gizzi zum Staatssccretär.
Das Volk begann zu hoffen. Der neue Papst hatte so noble Manieren, war
so salbungsvoll elegant, sy>ach so fließend und mit so schöner Stimme. Er
mußte allerdings mehr leisten, wenn er die Hoffnung Italiens erfüllen wollte,
aber nicht lange, so schien es in der That, als ob er mehr, viel mehr leisten
werde. Er entschloß sich, eine Amnestie zu ertheilen.

Der Papst als weltlicher Fürst soll regieren in einem unentwirrbaren
Netz von Formeln. Einflüssen, Intriguen,, Cardinälen. Prälaten, Kollegien
und Congregativnen. er steht plötzlich mitten in einer uralten Maschine, von
der er selbst nur ein Rad bildet, er muß beim Regierungsantritt dem heiligen
Kollegium schwören, die Nechte, Besitzungen und Gewohnheiten der Kirche
unversehrt aufrecht zu erhalten. Damit soll der Weiseste und Entschlossenste
einmal reformiren. geschweige ein sanfter Paladin der heiligen Jungfrau.
Dennoch ließ sichs hier fast so an, als ob dies möglich wäre. Oestreich und
die gesammte Anhängerschaft des verblichnen Gregor boten das Aeußerste auf,
die Amnestie zu hintertreiben. Als die Cardinäle darüber abzustimmen auf-
gefordert wurden, gaben fast alle eine schwarze Kugel, aber der Papst legte
sein weißes Barct auf die Schüssel und sprach lächelnd: "Alles ist weiß --
einstimmig angenommen."

Am 16. Juli 1846 erschien das Motuproprio gedruckt an den Straßenecken
von Rom. Es ist der einzige freie reformatorische Act des Papstes Pius,
seine Ehrensäule in der Geschichte. Ein Jahrhundert von Leiden und Qual
war durch einen Augenblick der Milde getilgt. Das Volk jubelte. Pius
schwelgte im Weihrauch einer unerhörten Popularität. Gioberti triumphirte;,
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Carbonari zu arg wurde, zur Opposition über; die Jesuiten gleichfalls, sie
sahen ein, daß die Politik des unbarmherzigen Gregor der Klugheit weichen
müsse.

Der Papst Capellari starb zu einer Zeit, wo ganz Italien kochte und sich
zu neuem revolutionären Ueberschäumcn anschickte. Die Bewogung. die im
Norden und Osten des Kirchenstaats nusbrechen sollte, unterblieb, man war¬
tete die Wahl des neuen Papstes ab. Es war, als ob aus dem Conclave
der Cardinäle ein Heiland hervorgehe» sollte. In Frage standen der Cardi¬
nal Lambruschini, der die Politik des sechzehnten Gregor fortgesetzt hätte,
und der Cardinal Micara, der dem Volk wie ein neuer Sixtus der Fünfte
erschien. Keiner von beiden erlangte die Mehrheit der Stimmen, der Bischof
von Imola, der gerade Scrutolor war, las Zettel auf Zettel mit seinem Na¬
men beschrieben ab. Als er genug Stimmen zu haben glaubte, sank er ohn¬
mächtig in seinen Sessel. Die Kirche hatte einen neuen Stellvertreter Christi,
der Kirchenstaat einen neuen Fürsten, der sich Pius der Neunte nannte.

Zwei Rathgeber wählte sich Pius, einen geistlichen und einen weltlichen,
den Abbate Graziosi zum Beichtvater, den Cardinal Gizzi zum Staatssccretär.
Das Volk begann zu hoffen. Der neue Papst hatte so noble Manieren, war
so salbungsvoll elegant, sy>ach so fließend und mit so schöner Stimme. Er
mußte allerdings mehr leisten, wenn er die Hoffnung Italiens erfüllen wollte,
aber nicht lange, so schien es in der That, als ob er mehr, viel mehr leisten
werde. Er entschloß sich, eine Amnestie zu ertheilen.

Der Papst als weltlicher Fürst soll regieren in einem unentwirrbaren
Netz von Formeln. Einflüssen, Intriguen,, Cardinälen. Prälaten, Kollegien
und Congregativnen. er steht plötzlich mitten in einer uralten Maschine, von
der er selbst nur ein Rad bildet, er muß beim Regierungsantritt dem heiligen
Kollegium schwören, die Nechte, Besitzungen und Gewohnheiten der Kirche
unversehrt aufrecht zu erhalten. Damit soll der Weiseste und Entschlossenste
einmal reformiren. geschweige ein sanfter Paladin der heiligen Jungfrau.
Dennoch ließ sichs hier fast so an, als ob dies möglich wäre. Oestreich und
die gesammte Anhängerschaft des verblichnen Gregor boten das Aeußerste auf,
die Amnestie zu hintertreiben. Als die Cardinäle darüber abzustimmen auf-
gefordert wurden, gaben fast alle eine schwarze Kugel, aber der Papst legte
sein weißes Barct auf die Schüssel und sprach lächelnd: „Alles ist weiß —
einstimmig angenommen."

Am 16. Juli 1846 erschien das Motuproprio gedruckt an den Straßenecken
von Rom. Es ist der einzige freie reformatorische Act des Papstes Pius,
seine Ehrensäule in der Geschichte. Ein Jahrhundert von Leiden und Qual
war durch einen Augenblick der Milde getilgt. Das Volk jubelte. Pius
schwelgte im Weihrauch einer unerhörten Popularität. Gioberti triumphirte;,
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[0354] Carbonari zu arg wurde, zur Opposition über; die Jesuiten gleichfalls, sie sahen ein, daß die Politik des unbarmherzigen Gregor der Klugheit weichen müsse. Der Papst Capellari starb zu einer Zeit, wo ganz Italien kochte und sich zu neuem revolutionären Ueberschäumcn anschickte. Die Bewogung. die im Norden und Osten des Kirchenstaats nusbrechen sollte, unterblieb, man war¬ tete die Wahl des neuen Papstes ab. Es war, als ob aus dem Conclave der Cardinäle ein Heiland hervorgehe» sollte. In Frage standen der Cardi¬ nal Lambruschini, der die Politik des sechzehnten Gregor fortgesetzt hätte, und der Cardinal Micara, der dem Volk wie ein neuer Sixtus der Fünfte erschien. Keiner von beiden erlangte die Mehrheit der Stimmen, der Bischof von Imola, der gerade Scrutolor war, las Zettel auf Zettel mit seinem Na¬ men beschrieben ab. Als er genug Stimmen zu haben glaubte, sank er ohn¬ mächtig in seinen Sessel. Die Kirche hatte einen neuen Stellvertreter Christi, der Kirchenstaat einen neuen Fürsten, der sich Pius der Neunte nannte. Zwei Rathgeber wählte sich Pius, einen geistlichen und einen weltlichen, den Abbate Graziosi zum Beichtvater, den Cardinal Gizzi zum Staatssccretär. Das Volk begann zu hoffen. Der neue Papst hatte so noble Manieren, war so salbungsvoll elegant, sy>ach so fließend und mit so schöner Stimme. Er mußte allerdings mehr leisten, wenn er die Hoffnung Italiens erfüllen wollte, aber nicht lange, so schien es in der That, als ob er mehr, viel mehr leisten werde. Er entschloß sich, eine Amnestie zu ertheilen. Der Papst als weltlicher Fürst soll regieren in einem unentwirrbaren Netz von Formeln. Einflüssen, Intriguen,, Cardinälen. Prälaten, Kollegien und Congregativnen. er steht plötzlich mitten in einer uralten Maschine, von der er selbst nur ein Rad bildet, er muß beim Regierungsantritt dem heiligen Kollegium schwören, die Nechte, Besitzungen und Gewohnheiten der Kirche unversehrt aufrecht zu erhalten. Damit soll der Weiseste und Entschlossenste einmal reformiren. geschweige ein sanfter Paladin der heiligen Jungfrau. Dennoch ließ sichs hier fast so an, als ob dies möglich wäre. Oestreich und die gesammte Anhängerschaft des verblichnen Gregor boten das Aeußerste auf, die Amnestie zu hintertreiben. Als die Cardinäle darüber abzustimmen auf- gefordert wurden, gaben fast alle eine schwarze Kugel, aber der Papst legte sein weißes Barct auf die Schüssel und sprach lächelnd: „Alles ist weiß — einstimmig angenommen." Am 16. Juli 1846 erschien das Motuproprio gedruckt an den Straßenecken von Rom. Es ist der einzige freie reformatorische Act des Papstes Pius, seine Ehrensäule in der Geschichte. Ein Jahrhundert von Leiden und Qual war durch einen Augenblick der Milde getilgt. Das Volk jubelte. Pius schwelgte im Weihrauch einer unerhörten Popularität. Gioberti triumphirte;, itPv-I««' ^«''t^'»' 5' 4 ^ ''' " ^ -. . -F»-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/354>, abgerufen am 23.07.2024.