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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Allgemein ist niber bei Freunden und Gegnern die Ueberzeugung, daß
jede wesentliche Förderung der deutschen Frage von den Fortschritten ab"
hängt, welche der preußische Staat in seiner innern Entwicklung Macht, Und
nicht minder lebhaft wird außerhalb Preußens empfunden, daß dieser größte
Staat in Mehrer wichtigen Elementen seines Daseins bis jetzt hinter den An¬
forderungen der Gegenwart zurückgeblieben, wenigstens nicht so weit den klei¬
neren vorausgekommen ist, daß er als Führer und Vorbild Mit vollem Ver¬
trauen betrachtet werden konnte. Die lange Negierung Friedrich Wilhelm des
Dritten, so segensreich ihr friedlicher Verlauf dem Volke erschien, war wenig
geeignet, Feldherrn, Staatsmänner, politische Charaktere zu ziehen. Die ex-
perimentirende Herrschaft seines geistvollen und unglücklichen Nachfolgers, welche
überall aufregte und gegen das altpreußische Wesen reagirte, gewährte zwar
dir Formen eines Verfassungsstaates, aber sie gönnte dem Volke nur wenige
von den befreienden und erhebenden Stimmungen, welche im politischen
Leben ebensowohl die Vorbedingung als die Folge jedes großen Fortschritts
sind. Wie aus schwerer Krankheit Genesende trete" jetzt die Preußen in dem
Haus der Abgeordneten und in ihren Vereinen zusammen. Noch fehlt dort zu
sehr das frische Selbstvertrauen, welches der jungen Kraft dieses Staates geziemte.
Es wat kein Zufall, daß dort in weiten Landschaften durch vierzehn Jahre,
seit der vereinigte Landtag zum ersten Mal einberufen ward und die Preußen ihre
Vertreter nach Frankfurt sandten, bis zur letzten Abgeordnctenwahl kaum ein jun¬
ges Talent in der Diplomatie, auf der Tribune, oder in der Presse sich emporrang.
Die ganze geistige Bewegung unterhielten die Führer, welche 1847 und 1848 meist
aus deu LaNdedclleutcn und Beamten für das neue Leben fast zufällig gewählt
worden waren. Erst die Neuwahlen des letzten Herbstes haben mit einer ge¬
wissen Reichlichkeit neue Kraft der Nation auf die Tribüne gesandt. uUd die
Verhandlungen des Abgeordnetenhauses, wie arm an Resultaten sie bei der
Ungefügigkeit der unfertigen Verfassung sein Mögen, werden wenigstens als
politische Schule ihre segnende Wirkung ausüben. Allerdings ein ungenügender
Gewinn so großer Arbeit.

Langsam wird es auch dort besser. Aber die innern preußischen Con-
flikte lähmen weit mehr als alle Regierungen der Mittelstaaten die Fortbil¬
dung der deutschen Frage.

Denn der deutsche Bundesstaat wird mit jedem großen Schritt, den Preu¬
ßen in der eigenen Entwickelung vorwärts thut, seiner Lösung näher geführt werden.




Allgemein ist niber bei Freunden und Gegnern die Ueberzeugung, daß
jede wesentliche Förderung der deutschen Frage von den Fortschritten ab«
hängt, welche der preußische Staat in seiner innern Entwicklung Macht, Und
nicht minder lebhaft wird außerhalb Preußens empfunden, daß dieser größte
Staat in Mehrer wichtigen Elementen seines Daseins bis jetzt hinter den An¬
forderungen der Gegenwart zurückgeblieben, wenigstens nicht so weit den klei¬
neren vorausgekommen ist, daß er als Führer und Vorbild Mit vollem Ver¬
trauen betrachtet werden konnte. Die lange Negierung Friedrich Wilhelm des
Dritten, so segensreich ihr friedlicher Verlauf dem Volke erschien, war wenig
geeignet, Feldherrn, Staatsmänner, politische Charaktere zu ziehen. Die ex-
perimentirende Herrschaft seines geistvollen und unglücklichen Nachfolgers, welche
überall aufregte und gegen das altpreußische Wesen reagirte, gewährte zwar
dir Formen eines Verfassungsstaates, aber sie gönnte dem Volke nur wenige
von den befreienden und erhebenden Stimmungen, welche im politischen
Leben ebensowohl die Vorbedingung als die Folge jedes großen Fortschritts
sind. Wie aus schwerer Krankheit Genesende trete» jetzt die Preußen in dem
Haus der Abgeordneten und in ihren Vereinen zusammen. Noch fehlt dort zu
sehr das frische Selbstvertrauen, welches der jungen Kraft dieses Staates geziemte.
Es wat kein Zufall, daß dort in weiten Landschaften durch vierzehn Jahre,
seit der vereinigte Landtag zum ersten Mal einberufen ward und die Preußen ihre
Vertreter nach Frankfurt sandten, bis zur letzten Abgeordnctenwahl kaum ein jun¬
ges Talent in der Diplomatie, auf der Tribune, oder in der Presse sich emporrang.
Die ganze geistige Bewegung unterhielten die Führer, welche 1847 und 1848 meist
aus deu LaNdedclleutcn und Beamten für das neue Leben fast zufällig gewählt
worden waren. Erst die Neuwahlen des letzten Herbstes haben mit einer ge¬
wissen Reichlichkeit neue Kraft der Nation auf die Tribüne gesandt. uUd die
Verhandlungen des Abgeordnetenhauses, wie arm an Resultaten sie bei der
Ungefügigkeit der unfertigen Verfassung sein Mögen, werden wenigstens als
politische Schule ihre segnende Wirkung ausüben. Allerdings ein ungenügender
Gewinn so großer Arbeit.

Langsam wird es auch dort besser. Aber die innern preußischen Con-
flikte lähmen weit mehr als alle Regierungen der Mittelstaaten die Fortbil¬
dung der deutschen Frage.

Denn der deutsche Bundesstaat wird mit jedem großen Schritt, den Preu¬
ßen in der eigenen Entwickelung vorwärts thut, seiner Lösung näher geführt werden.




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[0334] Allgemein ist niber bei Freunden und Gegnern die Ueberzeugung, daß jede wesentliche Förderung der deutschen Frage von den Fortschritten ab« hängt, welche der preußische Staat in seiner innern Entwicklung Macht, Und nicht minder lebhaft wird außerhalb Preußens empfunden, daß dieser größte Staat in Mehrer wichtigen Elementen seines Daseins bis jetzt hinter den An¬ forderungen der Gegenwart zurückgeblieben, wenigstens nicht so weit den klei¬ neren vorausgekommen ist, daß er als Führer und Vorbild Mit vollem Ver¬ trauen betrachtet werden konnte. Die lange Negierung Friedrich Wilhelm des Dritten, so segensreich ihr friedlicher Verlauf dem Volke erschien, war wenig geeignet, Feldherrn, Staatsmänner, politische Charaktere zu ziehen. Die ex- perimentirende Herrschaft seines geistvollen und unglücklichen Nachfolgers, welche überall aufregte und gegen das altpreußische Wesen reagirte, gewährte zwar dir Formen eines Verfassungsstaates, aber sie gönnte dem Volke nur wenige von den befreienden und erhebenden Stimmungen, welche im politischen Leben ebensowohl die Vorbedingung als die Folge jedes großen Fortschritts sind. Wie aus schwerer Krankheit Genesende trete» jetzt die Preußen in dem Haus der Abgeordneten und in ihren Vereinen zusammen. Noch fehlt dort zu sehr das frische Selbstvertrauen, welches der jungen Kraft dieses Staates geziemte. Es wat kein Zufall, daß dort in weiten Landschaften durch vierzehn Jahre, seit der vereinigte Landtag zum ersten Mal einberufen ward und die Preußen ihre Vertreter nach Frankfurt sandten, bis zur letzten Abgeordnctenwahl kaum ein jun¬ ges Talent in der Diplomatie, auf der Tribune, oder in der Presse sich emporrang. Die ganze geistige Bewegung unterhielten die Führer, welche 1847 und 1848 meist aus deu LaNdedclleutcn und Beamten für das neue Leben fast zufällig gewählt worden waren. Erst die Neuwahlen des letzten Herbstes haben mit einer ge¬ wissen Reichlichkeit neue Kraft der Nation auf die Tribüne gesandt. uUd die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses, wie arm an Resultaten sie bei der Ungefügigkeit der unfertigen Verfassung sein Mögen, werden wenigstens als politische Schule ihre segnende Wirkung ausüben. Allerdings ein ungenügender Gewinn so großer Arbeit. Langsam wird es auch dort besser. Aber die innern preußischen Con- flikte lähmen weit mehr als alle Regierungen der Mittelstaaten die Fortbil¬ dung der deutschen Frage. Denn der deutsche Bundesstaat wird mit jedem großen Schritt, den Preu¬ ßen in der eigenen Entwickelung vorwärts thut, seiner Lösung näher geführt werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/334>, abgerufen am 29.12.2024.