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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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den Extremen auch den Schein der Berechtigung nehmen und ihre Wurzel
völlig zerstören.

Wenn es nach dem Gesagten klar ist, daß die Einheitsidee in Italien
aus der Unmöglichkeit, für eine föderative Gestaltung der Nation den Booen
zu gewinnen, entsprungen ist, so wird man auch ohne nähere Prüfung
nicht umhin können, Guizot's Cvnföderationsplüne für einen Anachronismus
zu halten; dies darf uns indessen nicht abhalten, auf Guizot's positive Vor-
schlage näher einzugehen, weil es sehr lehrreich ist, klar zu erkennen, aus
welchen Gesichtspunkten' der bedeutendste Staatsmann der älteren franzö¬
sischen Schule die Gestaltung des Nachbarlandes betrachtet.

Ein Hauptvorzug der consöderativen Gestaltung der Nation soll darin
bestehen, daß auf diesem Wege die römische Frage eine ungezwungene Lö¬
sung finden kann. Allerdings sieht Guizot sehr wohl ein, daß ein absolut
regierter Staat sich nicht in eine Conföderation constitutioneller Staaten ein¬
fügen läßt, ohne ein Heerd beständiger revolutionärer Bestrebungen zu wer¬
den; dessenungeachtet ist er durchaus nicht der Meinung, daß, um die Un-
gleichartigkeit der Staatsformen zu beseitigen, der Constitutionalismus in
ganz Italien aufzuheben sei. Es gilt vielmehr ein Auskunftsmittel zu fin¬
den. Guizot fordert, daß überall im Kirchenstaate an die Stelle des bisheri¬
gen patriarchalischen Priesterregiments die ausgedehnteste communale, ja. er
scheut den Ausdruck nicht, republikanische Selbstverwaltung der einzelnen Ge¬
meinden trete. Eine zweite Forderung, deren Erfüllung der Verfasser indes¬
sen selbst kaum zu hoffen wagt, ist, daß die Curie sich überhaupt zu einer
freieren, wahrhaft liberalen Auffassung der kirchlichen und weltlichen Behält¬
nisse erhebe. Um von allen anderen Schwierigkeiten jener Combination ab¬
zusehen, werfen wir nur die Frage auf: Kann das Papstthum, dessen Macht
einzig in der Zähigkeit beruht, mit der es seine Ansprüche, sie mit der Un¬
fehlbarkeit des Dogma's stempelnd, festhält. -- kann und wird das Papst¬
thum freiwillig (und aus die Freiwilligkeit kommt es doch von Guizot's
Standpunkte aus ganz besonders an) sich in die Umwandelung seiner abso¬
luten Herrschaft in ein blos nominelles Souveraiuetätsverhältniß fügen? Wir
bezweifeln es; und noch mehr bezweifeln wir, daß es jemals in seiner kirch¬
lichen und weltlichen Politik einer freisinnigen Anschauung Raum geben wird.
Nicht, als ob das Papstthum seiner Natur nach politisch conservativ. oder
gar, wozu man es von gewissen Seiten gern stempelt, der Hort des conser-
vativen Princips wäre. Es ist im Gegentheil auf einem Punkte des Welt¬
balls absolutistisch, dort reactioncir. anderswo revolutionär, der Patron des
ausschweifendsten Nationalitätenschwindels, ganz wie sein hierarchisches In¬
teresse es erfordert. Nur dem einen Princip, für welches Guizot seit dem
Beginne seiner staatsmännischen Laufbahn gekämpft hat, dem Principe einer


den Extremen auch den Schein der Berechtigung nehmen und ihre Wurzel
völlig zerstören.

Wenn es nach dem Gesagten klar ist, daß die Einheitsidee in Italien
aus der Unmöglichkeit, für eine föderative Gestaltung der Nation den Booen
zu gewinnen, entsprungen ist, so wird man auch ohne nähere Prüfung
nicht umhin können, Guizot's Cvnföderationsplüne für einen Anachronismus
zu halten; dies darf uns indessen nicht abhalten, auf Guizot's positive Vor-
schlage näher einzugehen, weil es sehr lehrreich ist, klar zu erkennen, aus
welchen Gesichtspunkten' der bedeutendste Staatsmann der älteren franzö¬
sischen Schule die Gestaltung des Nachbarlandes betrachtet.

Ein Hauptvorzug der consöderativen Gestaltung der Nation soll darin
bestehen, daß auf diesem Wege die römische Frage eine ungezwungene Lö¬
sung finden kann. Allerdings sieht Guizot sehr wohl ein, daß ein absolut
regierter Staat sich nicht in eine Conföderation constitutioneller Staaten ein¬
fügen läßt, ohne ein Heerd beständiger revolutionärer Bestrebungen zu wer¬
den; dessenungeachtet ist er durchaus nicht der Meinung, daß, um die Un-
gleichartigkeit der Staatsformen zu beseitigen, der Constitutionalismus in
ganz Italien aufzuheben sei. Es gilt vielmehr ein Auskunftsmittel zu fin¬
den. Guizot fordert, daß überall im Kirchenstaate an die Stelle des bisheri¬
gen patriarchalischen Priesterregiments die ausgedehnteste communale, ja. er
scheut den Ausdruck nicht, republikanische Selbstverwaltung der einzelnen Ge¬
meinden trete. Eine zweite Forderung, deren Erfüllung der Verfasser indes¬
sen selbst kaum zu hoffen wagt, ist, daß die Curie sich überhaupt zu einer
freieren, wahrhaft liberalen Auffassung der kirchlichen und weltlichen Behält¬
nisse erhebe. Um von allen anderen Schwierigkeiten jener Combination ab¬
zusehen, werfen wir nur die Frage auf: Kann das Papstthum, dessen Macht
einzig in der Zähigkeit beruht, mit der es seine Ansprüche, sie mit der Un¬
fehlbarkeit des Dogma's stempelnd, festhält. — kann und wird das Papst¬
thum freiwillig (und aus die Freiwilligkeit kommt es doch von Guizot's
Standpunkte aus ganz besonders an) sich in die Umwandelung seiner abso¬
luten Herrschaft in ein blos nominelles Souveraiuetätsverhältniß fügen? Wir
bezweifeln es; und noch mehr bezweifeln wir, daß es jemals in seiner kirch¬
lichen und weltlichen Politik einer freisinnigen Anschauung Raum geben wird.
Nicht, als ob das Papstthum seiner Natur nach politisch conservativ. oder
gar, wozu man es von gewissen Seiten gern stempelt, der Hort des conser-
vativen Princips wäre. Es ist im Gegentheil auf einem Punkte des Welt¬
balls absolutistisch, dort reactioncir. anderswo revolutionär, der Patron des
ausschweifendsten Nationalitätenschwindels, ganz wie sein hierarchisches In¬
teresse es erfordert. Nur dem einen Princip, für welches Guizot seit dem
Beginne seiner staatsmännischen Laufbahn gekämpft hat, dem Principe einer


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[0319] den Extremen auch den Schein der Berechtigung nehmen und ihre Wurzel völlig zerstören. Wenn es nach dem Gesagten klar ist, daß die Einheitsidee in Italien aus der Unmöglichkeit, für eine föderative Gestaltung der Nation den Booen zu gewinnen, entsprungen ist, so wird man auch ohne nähere Prüfung nicht umhin können, Guizot's Cvnföderationsplüne für einen Anachronismus zu halten; dies darf uns indessen nicht abhalten, auf Guizot's positive Vor- schlage näher einzugehen, weil es sehr lehrreich ist, klar zu erkennen, aus welchen Gesichtspunkten' der bedeutendste Staatsmann der älteren franzö¬ sischen Schule die Gestaltung des Nachbarlandes betrachtet. Ein Hauptvorzug der consöderativen Gestaltung der Nation soll darin bestehen, daß auf diesem Wege die römische Frage eine ungezwungene Lö¬ sung finden kann. Allerdings sieht Guizot sehr wohl ein, daß ein absolut regierter Staat sich nicht in eine Conföderation constitutioneller Staaten ein¬ fügen läßt, ohne ein Heerd beständiger revolutionärer Bestrebungen zu wer¬ den; dessenungeachtet ist er durchaus nicht der Meinung, daß, um die Un- gleichartigkeit der Staatsformen zu beseitigen, der Constitutionalismus in ganz Italien aufzuheben sei. Es gilt vielmehr ein Auskunftsmittel zu fin¬ den. Guizot fordert, daß überall im Kirchenstaate an die Stelle des bisheri¬ gen patriarchalischen Priesterregiments die ausgedehnteste communale, ja. er scheut den Ausdruck nicht, republikanische Selbstverwaltung der einzelnen Ge¬ meinden trete. Eine zweite Forderung, deren Erfüllung der Verfasser indes¬ sen selbst kaum zu hoffen wagt, ist, daß die Curie sich überhaupt zu einer freieren, wahrhaft liberalen Auffassung der kirchlichen und weltlichen Behält¬ nisse erhebe. Um von allen anderen Schwierigkeiten jener Combination ab¬ zusehen, werfen wir nur die Frage auf: Kann das Papstthum, dessen Macht einzig in der Zähigkeit beruht, mit der es seine Ansprüche, sie mit der Un¬ fehlbarkeit des Dogma's stempelnd, festhält. — kann und wird das Papst¬ thum freiwillig (und aus die Freiwilligkeit kommt es doch von Guizot's Standpunkte aus ganz besonders an) sich in die Umwandelung seiner abso¬ luten Herrschaft in ein blos nominelles Souveraiuetätsverhältniß fügen? Wir bezweifeln es; und noch mehr bezweifeln wir, daß es jemals in seiner kirch¬ lichen und weltlichen Politik einer freisinnigen Anschauung Raum geben wird. Nicht, als ob das Papstthum seiner Natur nach politisch conservativ. oder gar, wozu man es von gewissen Seiten gern stempelt, der Hort des conser- vativen Princips wäre. Es ist im Gegentheil auf einem Punkte des Welt¬ balls absolutistisch, dort reactioncir. anderswo revolutionär, der Patron des ausschweifendsten Nationalitätenschwindels, ganz wie sein hierarchisches In¬ teresse es erfordert. Nur dem einen Princip, für welches Guizot seit dem Beginne seiner staatsmännischen Laufbahn gekämpft hat, dem Principe einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/319>, abgerufen am 29.12.2024.