Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

balanciren, eine Politik, zwar zähe, aber ohne großartige Anschauungen und
ohne bestimmte Ziele. Noch einmal in unserer Zeit schien die Stimme der
Nation den Papst zur Leitung des nationalen Aufschwunges zu berufen, als
Pius IX. den heiligen Stuhl bestieg. Nicht blos an der Persönlichkeit des Pap¬
stes scheiterte der Versuch, auch nicht allein an den europäischen Verhält¬
nissen, sondern vorzugsweise an dem inneren Widerspruche, der darin lag,
von einer abgelebten Gewalt die Hebung der alten Leiden und die Anbah¬
nung neuer Zustände zu erwarten. Die Bestrebungen, welche in Julius' II.
Zeit an äußeren Verhältnissen sich gebrochen hatten, mußten im 19. Jahr¬
hundert an der innerlich aufs Tiefste veränderten Natur der Dinge zu Grunde
gehen.' Inmitten der Veränderungen. welche die Staatsidee des 18. Jahr¬
hunderts über Europa gebracht hatte, war das Bestehen geistlicher Sou-
verainetäten, deren Trümmer in Deutschland von den Bildungen des moder¬
nen Staates bereits so überwachsen waren, daß man nicht mehr die Spuren
derselben erkennen konnte, ein den bestehenden Verhältnissen vollkommen wi¬
dersprechender Anachronismus, und Thorheit und phantastische Schwärmerei
war es, von einer Macht, deren innere, schöpferische Lebenskraft längst abge¬
storben war, eine nationale Regeneration zu hoffen. Der Piuscultus hat
nur dazu gedient, den Beweis zu liefern, daß das Papstthum völlig unfähig
ist, sowohl neue nationale Gestaltungen zu erzeugen, als auch inmitten der¬
selben seine alte Stellung zu behaupten. Die Lebensbedingung der weltlichen
Macht des Papstthums wird und muß unabänderlich dieselbe bleiben, die sie
seit Jahrhunderten gewesen ist. Die Curie hat, um ihre Existenz zu erhal¬
ten, der in Italien grade herrschenden Macht zu dienen; wird ihr der Dienst
lästig, so bleibt ihr nur übrig, für den Einfluß und die Herrschaft der riva-
lisirenden Macht zu wirken. Diese Situation ist unauflöslich verbunden mit
der weltlichen Souverainetät des Papstthums, und in der Fortdauer einer so
beschaffner Souverainetät sieht Guizot eine Lebensfrage für die katholische
Kirche.

Ist dies aber ein der Würde der Kirche, ein den geistlichen Interessen der
Gläubigen entsprechender Zustand? Die Antwort darauf können wir uns er¬
sparen. Wir werden wohl, ohne Widerspruch zu finden, behaupten dürfen,
daß ein der weltlichen Macht beraubter, unter dem Schutze Italiens stehen¬
der Papst, die geistlichen Interessen des Katholicismus in geistlicherem
Sinne wahrnehmen kann, als der Pricsterfürst. der in allen seinen Erwägun-
gen von der Rücksicht auf seine weltliche Macht geleitet wird, der aber
dessen ungeachtet zu einer wirklich selbständigen weltlichen Stellung gar
nicht gelangen kann, der nur gelegentlich aufhört, der Vasall Oestreichs zu
sein, um der Vasallenschaft Frankreichs zu verfallen. In der That besteht
der reelle Werth der päpstlichen Souverainetät nur darin, daß das Ober-


39*

balanciren, eine Politik, zwar zähe, aber ohne großartige Anschauungen und
ohne bestimmte Ziele. Noch einmal in unserer Zeit schien die Stimme der
Nation den Papst zur Leitung des nationalen Aufschwunges zu berufen, als
Pius IX. den heiligen Stuhl bestieg. Nicht blos an der Persönlichkeit des Pap¬
stes scheiterte der Versuch, auch nicht allein an den europäischen Verhält¬
nissen, sondern vorzugsweise an dem inneren Widerspruche, der darin lag,
von einer abgelebten Gewalt die Hebung der alten Leiden und die Anbah¬
nung neuer Zustände zu erwarten. Die Bestrebungen, welche in Julius' II.
Zeit an äußeren Verhältnissen sich gebrochen hatten, mußten im 19. Jahr¬
hundert an der innerlich aufs Tiefste veränderten Natur der Dinge zu Grunde
gehen.' Inmitten der Veränderungen. welche die Staatsidee des 18. Jahr¬
hunderts über Europa gebracht hatte, war das Bestehen geistlicher Sou-
verainetäten, deren Trümmer in Deutschland von den Bildungen des moder¬
nen Staates bereits so überwachsen waren, daß man nicht mehr die Spuren
derselben erkennen konnte, ein den bestehenden Verhältnissen vollkommen wi¬
dersprechender Anachronismus, und Thorheit und phantastische Schwärmerei
war es, von einer Macht, deren innere, schöpferische Lebenskraft längst abge¬
storben war, eine nationale Regeneration zu hoffen. Der Piuscultus hat
nur dazu gedient, den Beweis zu liefern, daß das Papstthum völlig unfähig
ist, sowohl neue nationale Gestaltungen zu erzeugen, als auch inmitten der¬
selben seine alte Stellung zu behaupten. Die Lebensbedingung der weltlichen
Macht des Papstthums wird und muß unabänderlich dieselbe bleiben, die sie
seit Jahrhunderten gewesen ist. Die Curie hat, um ihre Existenz zu erhal¬
ten, der in Italien grade herrschenden Macht zu dienen; wird ihr der Dienst
lästig, so bleibt ihr nur übrig, für den Einfluß und die Herrschaft der riva-
lisirenden Macht zu wirken. Diese Situation ist unauflöslich verbunden mit
der weltlichen Souverainetät des Papstthums, und in der Fortdauer einer so
beschaffner Souverainetät sieht Guizot eine Lebensfrage für die katholische
Kirche.

Ist dies aber ein der Würde der Kirche, ein den geistlichen Interessen der
Gläubigen entsprechender Zustand? Die Antwort darauf können wir uns er¬
sparen. Wir werden wohl, ohne Widerspruch zu finden, behaupten dürfen,
daß ein der weltlichen Macht beraubter, unter dem Schutze Italiens stehen¬
der Papst, die geistlichen Interessen des Katholicismus in geistlicherem
Sinne wahrnehmen kann, als der Pricsterfürst. der in allen seinen Erwägun-
gen von der Rücksicht auf seine weltliche Macht geleitet wird, der aber
dessen ungeachtet zu einer wirklich selbständigen weltlichen Stellung gar
nicht gelangen kann, der nur gelegentlich aufhört, der Vasall Oestreichs zu
sein, um der Vasallenschaft Frankreichs zu verfallen. In der That besteht
der reelle Werth der päpstlichen Souverainetät nur darin, daß das Ober-


39*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0315" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113557"/>
          <p xml:id="ID_948" prev="#ID_947"> balanciren, eine Politik, zwar zähe, aber ohne großartige Anschauungen und<lb/>
ohne bestimmte Ziele. Noch einmal in unserer Zeit schien die Stimme der<lb/>
Nation den Papst zur Leitung des nationalen Aufschwunges zu berufen, als<lb/>
Pius IX. den heiligen Stuhl bestieg. Nicht blos an der Persönlichkeit des Pap¬<lb/>
stes scheiterte der Versuch, auch nicht allein an den europäischen Verhält¬<lb/>
nissen, sondern vorzugsweise an dem inneren Widerspruche, der darin lag,<lb/>
von einer abgelebten Gewalt die Hebung der alten Leiden und die Anbah¬<lb/>
nung neuer Zustände zu erwarten. Die Bestrebungen, welche in Julius' II.<lb/>
Zeit an äußeren Verhältnissen sich gebrochen hatten, mußten im 19. Jahr¬<lb/>
hundert an der innerlich aufs Tiefste veränderten Natur der Dinge zu Grunde<lb/>
gehen.' Inmitten der Veränderungen. welche die Staatsidee des 18. Jahr¬<lb/>
hunderts über Europa gebracht hatte, war das Bestehen geistlicher Sou-<lb/>
verainetäten, deren Trümmer in Deutschland von den Bildungen des moder¬<lb/>
nen Staates bereits so überwachsen waren, daß man nicht mehr die Spuren<lb/>
derselben erkennen konnte, ein den bestehenden Verhältnissen vollkommen wi¬<lb/>
dersprechender Anachronismus, und Thorheit und phantastische Schwärmerei<lb/>
war es, von einer Macht, deren innere, schöpferische Lebenskraft längst abge¬<lb/>
storben war, eine nationale Regeneration zu hoffen. Der Piuscultus hat<lb/>
nur dazu gedient, den Beweis zu liefern, daß das Papstthum völlig unfähig<lb/>
ist, sowohl neue nationale Gestaltungen zu erzeugen, als auch inmitten der¬<lb/>
selben seine alte Stellung zu behaupten. Die Lebensbedingung der weltlichen<lb/>
Macht des Papstthums wird und muß unabänderlich dieselbe bleiben, die sie<lb/>
seit Jahrhunderten gewesen ist. Die Curie hat, um ihre Existenz zu erhal¬<lb/>
ten, der in Italien grade herrschenden Macht zu dienen; wird ihr der Dienst<lb/>
lästig, so bleibt ihr nur übrig, für den Einfluß und die Herrschaft der riva-<lb/>
lisirenden Macht zu wirken. Diese Situation ist unauflöslich verbunden mit<lb/>
der weltlichen Souverainetät des Papstthums, und in der Fortdauer einer so<lb/>
beschaffner Souverainetät sieht Guizot eine Lebensfrage für die katholische<lb/>
Kirche.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_949" next="#ID_950"> Ist dies aber ein der Würde der Kirche, ein den geistlichen Interessen der<lb/>
Gläubigen entsprechender Zustand? Die Antwort darauf können wir uns er¬<lb/>
sparen. Wir werden wohl, ohne Widerspruch zu finden, behaupten dürfen,<lb/>
daß ein der weltlichen Macht beraubter, unter dem Schutze Italiens stehen¬<lb/>
der Papst, die geistlichen Interessen des Katholicismus in geistlicherem<lb/>
Sinne wahrnehmen kann, als der Pricsterfürst. der in allen seinen Erwägun-<lb/>
gen von der Rücksicht auf seine weltliche Macht geleitet wird, der aber<lb/>
dessen ungeachtet zu einer wirklich selbständigen weltlichen Stellung gar<lb/>
nicht gelangen kann, der nur gelegentlich aufhört, der Vasall Oestreichs zu<lb/>
sein, um der Vasallenschaft Frankreichs zu verfallen. In der That besteht<lb/>
der reelle Werth der päpstlichen Souverainetät nur darin, daß das Ober-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 39*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0315] balanciren, eine Politik, zwar zähe, aber ohne großartige Anschauungen und ohne bestimmte Ziele. Noch einmal in unserer Zeit schien die Stimme der Nation den Papst zur Leitung des nationalen Aufschwunges zu berufen, als Pius IX. den heiligen Stuhl bestieg. Nicht blos an der Persönlichkeit des Pap¬ stes scheiterte der Versuch, auch nicht allein an den europäischen Verhält¬ nissen, sondern vorzugsweise an dem inneren Widerspruche, der darin lag, von einer abgelebten Gewalt die Hebung der alten Leiden und die Anbah¬ nung neuer Zustände zu erwarten. Die Bestrebungen, welche in Julius' II. Zeit an äußeren Verhältnissen sich gebrochen hatten, mußten im 19. Jahr¬ hundert an der innerlich aufs Tiefste veränderten Natur der Dinge zu Grunde gehen.' Inmitten der Veränderungen. welche die Staatsidee des 18. Jahr¬ hunderts über Europa gebracht hatte, war das Bestehen geistlicher Sou- verainetäten, deren Trümmer in Deutschland von den Bildungen des moder¬ nen Staates bereits so überwachsen waren, daß man nicht mehr die Spuren derselben erkennen konnte, ein den bestehenden Verhältnissen vollkommen wi¬ dersprechender Anachronismus, und Thorheit und phantastische Schwärmerei war es, von einer Macht, deren innere, schöpferische Lebenskraft längst abge¬ storben war, eine nationale Regeneration zu hoffen. Der Piuscultus hat nur dazu gedient, den Beweis zu liefern, daß das Papstthum völlig unfähig ist, sowohl neue nationale Gestaltungen zu erzeugen, als auch inmitten der¬ selben seine alte Stellung zu behaupten. Die Lebensbedingung der weltlichen Macht des Papstthums wird und muß unabänderlich dieselbe bleiben, die sie seit Jahrhunderten gewesen ist. Die Curie hat, um ihre Existenz zu erhal¬ ten, der in Italien grade herrschenden Macht zu dienen; wird ihr der Dienst lästig, so bleibt ihr nur übrig, für den Einfluß und die Herrschaft der riva- lisirenden Macht zu wirken. Diese Situation ist unauflöslich verbunden mit der weltlichen Souverainetät des Papstthums, und in der Fortdauer einer so beschaffner Souverainetät sieht Guizot eine Lebensfrage für die katholische Kirche. Ist dies aber ein der Würde der Kirche, ein den geistlichen Interessen der Gläubigen entsprechender Zustand? Die Antwort darauf können wir uns er¬ sparen. Wir werden wohl, ohne Widerspruch zu finden, behaupten dürfen, daß ein der weltlichen Macht beraubter, unter dem Schutze Italiens stehen¬ der Papst, die geistlichen Interessen des Katholicismus in geistlicherem Sinne wahrnehmen kann, als der Pricsterfürst. der in allen seinen Erwägun- gen von der Rücksicht auf seine weltliche Macht geleitet wird, der aber dessen ungeachtet zu einer wirklich selbständigen weltlichen Stellung gar nicht gelangen kann, der nur gelegentlich aufhört, der Vasall Oestreichs zu sein, um der Vasallenschaft Frankreichs zu verfallen. In der That besteht der reelle Werth der päpstlichen Souverainetät nur darin, daß das Ober- 39*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/315
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/315>, abgerufen am 29.12.2024.