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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Kirche von der weltlichen Souverainetät des Papstes abhängig ist, und daß
die Beseitigung derselben nicht zu einer Reform des Katholicismus, sondern
zum völligen Umsturz desselben führen müsse. Diese Besorgniß erscheint aber
als nicht begründet. Der Papst als weltlicher Herr ist schon seit Jahrhun¬
derten nichts weniger als selbständig gewesen. Bald ein Werkzeug in Frank¬
reichs, bald in Oestreichs Händen, gelegentlich auch dein Einflüsse der na¬
tionalen italienischen Bestrebungen unterworfen, ist die Hierarchie in alle In¬
triguen einer verwickelten und keineswegs moralischen Staatskunst verflochten
worden, hat sie, um in dem Ringen der rivalisirenden, Mächte sich zu be¬
haupten, sich in die widerspruchvollsten, dem geistlichen Ansehen der Kirche
verderblichsten Stellungen drängen lassen. So schwebt die Curie, ein Bild
des tiefsten inneren Verfalles, zwischen dem Elende einer ohnmächtigen Sou¬
verainetät und den ungezügelten Ansprüchen auf universale Weltherrschaft,
ein Spielball in der Hand der Mächtigen dieser Welt, und doch erfüllt von
dem anmaßlichen Dünkel, den die Machtfülle einer längst vergangenen Zeit
in ihr zurückgelassen hat. Der Priesterstaat in Rom ragt wie eine vereinzelte
Ruine der Vergangenheit in die Gegenwart hinein. Die geschichtliche Vor¬
aussetzung seiner Existenz, ein weltbeherrschendes, aber der geistlichen Macht
dienstbares Kaiserthum, liegt unter den Trümmern des Mittelalters begrabe".
Der größte Papst, den die Geschichte seit der Periode der Gregore und Jnno-
cenze aufzuweisen hat, Julius II., hat dies mit genialen Blicke erkannt und
nach dieser Erkenntniß gehandelt. Sein Plan war, dem Papstthum eine na¬
tionale Grundlage zu geben, Italien unter der dreifachen Krone zu vereinigen.
Seine Entwürfe, durchkreuzt von den französischen und östreichischen Plänen
auf Italien, wurden mit ihm zu Grabe getragen. Seine Nachfolger mu߬
ten sich in ihrer Politik durch die Habsburgischen Weltherrschaftspläne be¬
stimmen lassen. Die universale Tendenz der Curie mußte wieder um so
schärfer hervortreten, je heftiger ihre universale Berechtigung von der großen
Reformbewegung des 16. Jahrhunderts bestritten wurde; ihre nationalen
Bestrebungen aber mußten um so mehr zusammenschrumpfen, je weniger sie
bei dem Uebergewichte Habsburgs in Italien Raum fanden, sich zu ent¬
wickeln. Die italienische Nation war trotz ihres geistigen Aufschwunges zu
schwach und sittlich und politisch zerfahren, um im 17. und 18. Jahrhundert
einer selbständigen Politik als alleinige Stütze zu dienen. So sah die Curie
sich darauf beschränkt, die kirchlich - reactionären Dienste des Hauses Habs¬
burg sich gefallen zu lassen, und zum Dank dessen Politik zu fördern, mit dem
stillen Vorbehalte natürlich, gegen den anspruchsvollen Protector, wenn die
Lage es erlaubte, sich auch den Gegnern des Habsburgischen Hauses anzu¬
schließen. Das unvermeidliche Ergebniß war eine Schaukelpolitik, in der es
darauf ankam, den Einfluß der östreichischen und französischen Macht zu


Kirche von der weltlichen Souverainetät des Papstes abhängig ist, und daß
die Beseitigung derselben nicht zu einer Reform des Katholicismus, sondern
zum völligen Umsturz desselben führen müsse. Diese Besorgniß erscheint aber
als nicht begründet. Der Papst als weltlicher Herr ist schon seit Jahrhun¬
derten nichts weniger als selbständig gewesen. Bald ein Werkzeug in Frank¬
reichs, bald in Oestreichs Händen, gelegentlich auch dein Einflüsse der na¬
tionalen italienischen Bestrebungen unterworfen, ist die Hierarchie in alle In¬
triguen einer verwickelten und keineswegs moralischen Staatskunst verflochten
worden, hat sie, um in dem Ringen der rivalisirenden, Mächte sich zu be¬
haupten, sich in die widerspruchvollsten, dem geistlichen Ansehen der Kirche
verderblichsten Stellungen drängen lassen. So schwebt die Curie, ein Bild
des tiefsten inneren Verfalles, zwischen dem Elende einer ohnmächtigen Sou¬
verainetät und den ungezügelten Ansprüchen auf universale Weltherrschaft,
ein Spielball in der Hand der Mächtigen dieser Welt, und doch erfüllt von
dem anmaßlichen Dünkel, den die Machtfülle einer längst vergangenen Zeit
in ihr zurückgelassen hat. Der Priesterstaat in Rom ragt wie eine vereinzelte
Ruine der Vergangenheit in die Gegenwart hinein. Die geschichtliche Vor¬
aussetzung seiner Existenz, ein weltbeherrschendes, aber der geistlichen Macht
dienstbares Kaiserthum, liegt unter den Trümmern des Mittelalters begrabe».
Der größte Papst, den die Geschichte seit der Periode der Gregore und Jnno-
cenze aufzuweisen hat, Julius II., hat dies mit genialen Blicke erkannt und
nach dieser Erkenntniß gehandelt. Sein Plan war, dem Papstthum eine na¬
tionale Grundlage zu geben, Italien unter der dreifachen Krone zu vereinigen.
Seine Entwürfe, durchkreuzt von den französischen und östreichischen Plänen
auf Italien, wurden mit ihm zu Grabe getragen. Seine Nachfolger mu߬
ten sich in ihrer Politik durch die Habsburgischen Weltherrschaftspläne be¬
stimmen lassen. Die universale Tendenz der Curie mußte wieder um so
schärfer hervortreten, je heftiger ihre universale Berechtigung von der großen
Reformbewegung des 16. Jahrhunderts bestritten wurde; ihre nationalen
Bestrebungen aber mußten um so mehr zusammenschrumpfen, je weniger sie
bei dem Uebergewichte Habsburgs in Italien Raum fanden, sich zu ent¬
wickeln. Die italienische Nation war trotz ihres geistigen Aufschwunges zu
schwach und sittlich und politisch zerfahren, um im 17. und 18. Jahrhundert
einer selbständigen Politik als alleinige Stütze zu dienen. So sah die Curie
sich darauf beschränkt, die kirchlich - reactionären Dienste des Hauses Habs¬
burg sich gefallen zu lassen, und zum Dank dessen Politik zu fördern, mit dem
stillen Vorbehalte natürlich, gegen den anspruchsvollen Protector, wenn die
Lage es erlaubte, sich auch den Gegnern des Habsburgischen Hauses anzu¬
schließen. Das unvermeidliche Ergebniß war eine Schaukelpolitik, in der es
darauf ankam, den Einfluß der östreichischen und französischen Macht zu


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[0314] Kirche von der weltlichen Souverainetät des Papstes abhängig ist, und daß die Beseitigung derselben nicht zu einer Reform des Katholicismus, sondern zum völligen Umsturz desselben führen müsse. Diese Besorgniß erscheint aber als nicht begründet. Der Papst als weltlicher Herr ist schon seit Jahrhun¬ derten nichts weniger als selbständig gewesen. Bald ein Werkzeug in Frank¬ reichs, bald in Oestreichs Händen, gelegentlich auch dein Einflüsse der na¬ tionalen italienischen Bestrebungen unterworfen, ist die Hierarchie in alle In¬ triguen einer verwickelten und keineswegs moralischen Staatskunst verflochten worden, hat sie, um in dem Ringen der rivalisirenden, Mächte sich zu be¬ haupten, sich in die widerspruchvollsten, dem geistlichen Ansehen der Kirche verderblichsten Stellungen drängen lassen. So schwebt die Curie, ein Bild des tiefsten inneren Verfalles, zwischen dem Elende einer ohnmächtigen Sou¬ verainetät und den ungezügelten Ansprüchen auf universale Weltherrschaft, ein Spielball in der Hand der Mächtigen dieser Welt, und doch erfüllt von dem anmaßlichen Dünkel, den die Machtfülle einer längst vergangenen Zeit in ihr zurückgelassen hat. Der Priesterstaat in Rom ragt wie eine vereinzelte Ruine der Vergangenheit in die Gegenwart hinein. Die geschichtliche Vor¬ aussetzung seiner Existenz, ein weltbeherrschendes, aber der geistlichen Macht dienstbares Kaiserthum, liegt unter den Trümmern des Mittelalters begrabe». Der größte Papst, den die Geschichte seit der Periode der Gregore und Jnno- cenze aufzuweisen hat, Julius II., hat dies mit genialen Blicke erkannt und nach dieser Erkenntniß gehandelt. Sein Plan war, dem Papstthum eine na¬ tionale Grundlage zu geben, Italien unter der dreifachen Krone zu vereinigen. Seine Entwürfe, durchkreuzt von den französischen und östreichischen Plänen auf Italien, wurden mit ihm zu Grabe getragen. Seine Nachfolger mu߬ ten sich in ihrer Politik durch die Habsburgischen Weltherrschaftspläne be¬ stimmen lassen. Die universale Tendenz der Curie mußte wieder um so schärfer hervortreten, je heftiger ihre universale Berechtigung von der großen Reformbewegung des 16. Jahrhunderts bestritten wurde; ihre nationalen Bestrebungen aber mußten um so mehr zusammenschrumpfen, je weniger sie bei dem Uebergewichte Habsburgs in Italien Raum fanden, sich zu ent¬ wickeln. Die italienische Nation war trotz ihres geistigen Aufschwunges zu schwach und sittlich und politisch zerfahren, um im 17. und 18. Jahrhundert einer selbständigen Politik als alleinige Stütze zu dienen. So sah die Curie sich darauf beschränkt, die kirchlich - reactionären Dienste des Hauses Habs¬ burg sich gefallen zu lassen, und zum Dank dessen Politik zu fördern, mit dem stillen Vorbehalte natürlich, gegen den anspruchsvollen Protector, wenn die Lage es erlaubte, sich auch den Gegnern des Habsburgischen Hauses anzu¬ schließen. Das unvermeidliche Ergebniß war eine Schaukelpolitik, in der es darauf ankam, den Einfluß der östreichischen und französischen Macht zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/314>, abgerufen am 23.07.2024.