Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.liebe Gebäude sind nach seiner Ansicht die Schläge gerichtet, die zunächst den Die Schrift erörtert in vierundzwanzig Kapiteln, die unter einander mehr Dessenungeachtet dürfen wir wohl behaupten, daß das Buch wenig zur liebe Gebäude sind nach seiner Ansicht die Schläge gerichtet, die zunächst den Die Schrift erörtert in vierundzwanzig Kapiteln, die unter einander mehr Dessenungeachtet dürfen wir wohl behaupten, daß das Buch wenig zur <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0310" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113552"/> <p xml:id="ID_935" prev="#ID_934"> liebe Gebäude sind nach seiner Ansicht die Schläge gerichtet, die zunächst den<lb/> einen oder anderen Theil desselben treffen. In solchen Prüfungen seien wir<lb/> also der katholischen Kirche unsere Sympathien schuldig. In demselben Sinne<lb/> hatte er sich nicht lange vorher bei der Aufnahme Lacordaire's in die Aka¬<lb/> demie ausgesprochen. Vor einem halben Jahrhundert sei Italien ähnlichen<lb/> Erschütterungen ausgesetzt gewesen. Damals aber seien sie unter ihrem wah¬<lb/> ren Charakter erschienen; der berühmte Publicist der Liberalen (B. Constant)<lb/> habe sie als Acte der Usurpation und Eroberung bezeichnet. „Verdienen,"<lb/> fährt Guizot fort, „dieselben Thatsachen nicht mehr denselben Namen? Haben<lb/> sie ihre Natur verändert, weil nicht mehr Frankreich sie offen für seine Rech¬<lb/> nung ausführt und sich die Früchte derselben aneignet? Oder sollten diese<lb/> Gewaltthaten etwa legitim geworden sein, weil man sie heut im Namen der<lb/> Demokratie und kraft dessen, was man ihren Willen nennt, ausübt?" Natür¬<lb/> lich fanden diese Anschauungen unter den Ultramontanen ebenso lebhaften<lb/> Beifall, als sie von den französischen Glaubensgenossen Guizot's aufrichtig<lb/> bedauert und eifrig bekämpft wurden. Auf alle Einwendungen antwortet die<lb/> vorliegende Schrift, die vom Standpunkte einer umfassenden politisch-kirch¬<lb/> lichen Anschauung aus die brennenden Tagesfragen zu beurtheilen unter¬<lb/> nimmt.</p><lb/> <p xml:id="ID_936"> Die Schrift erörtert in vierundzwanzig Kapiteln, die unter einander mehr<lb/> in einem inneren, als äußeren Zusammenhange stehen, in der kräftigen dog¬<lb/> matischen Weise, die Guizot eigenthümlich ist, eine Reihe von Fragen über<lb/> das Verhältniß der Kirche zum Staate, der Kirchen unter einander, über die<lb/> verschiedenen Richtungen in den einzelnen Kirchen, über Völkerrecht und Frei¬<lb/> heit. An diese allgemeinen Erörterungen schließen sich dann die Ansichten des<lb/> Verfassers über französische Zustände (doch werden diese nur sehr leise berührt),<lb/> die italienischen Verhältnisse und insbesondere über die Zukunft des Papst¬<lb/> thums an. Selbstverständlich können wir auf dem beschränkten Raum von<lb/> l?0 Seiten keine vollständige Entwicklung der^vorgetragenen Ansichten erwar¬<lb/> ten; auch lag eine solche gar nicht in der Absicht des Verfassers, der kein<lb/> kirchlich-politisches System aufstellen, sondern in mehr aphoristischer Weise<lb/> seine Gedanken über Kirche und Staat aussprechen wollte. Daß diese Ge¬<lb/> danken einen objectiven Charakter tragen, liegt nicht in der Behandlung des<lb/> Gegenstandes, sondern in der abgeschlossenen und festen geistigen Individua¬<lb/> lität des Verfassers, in der Kraft der Ueberzeugung, die jedem Satze den<lb/> Stempel einer unerschütterlichen dogmatischen Sicherheit aufdrückt. Guizot<lb/> demonstrirt nicht, er behauptet; aber er weiß in seine Behauptungen das<lb/> ganze Gewicht seiner bedeutenden Persönlichkeit zu legen, deren Ausdruck mehr<lb/> noch als der Gedanke selbst auf den Leser wirkt.</p><lb/> <p xml:id="ID_937" next="#ID_938"> Dessenungeachtet dürfen wir wohl behaupten, daß das Buch wenig zur</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0310]
liebe Gebäude sind nach seiner Ansicht die Schläge gerichtet, die zunächst den
einen oder anderen Theil desselben treffen. In solchen Prüfungen seien wir
also der katholischen Kirche unsere Sympathien schuldig. In demselben Sinne
hatte er sich nicht lange vorher bei der Aufnahme Lacordaire's in die Aka¬
demie ausgesprochen. Vor einem halben Jahrhundert sei Italien ähnlichen
Erschütterungen ausgesetzt gewesen. Damals aber seien sie unter ihrem wah¬
ren Charakter erschienen; der berühmte Publicist der Liberalen (B. Constant)
habe sie als Acte der Usurpation und Eroberung bezeichnet. „Verdienen,"
fährt Guizot fort, „dieselben Thatsachen nicht mehr denselben Namen? Haben
sie ihre Natur verändert, weil nicht mehr Frankreich sie offen für seine Rech¬
nung ausführt und sich die Früchte derselben aneignet? Oder sollten diese
Gewaltthaten etwa legitim geworden sein, weil man sie heut im Namen der
Demokratie und kraft dessen, was man ihren Willen nennt, ausübt?" Natür¬
lich fanden diese Anschauungen unter den Ultramontanen ebenso lebhaften
Beifall, als sie von den französischen Glaubensgenossen Guizot's aufrichtig
bedauert und eifrig bekämpft wurden. Auf alle Einwendungen antwortet die
vorliegende Schrift, die vom Standpunkte einer umfassenden politisch-kirch¬
lichen Anschauung aus die brennenden Tagesfragen zu beurtheilen unter¬
nimmt.
Die Schrift erörtert in vierundzwanzig Kapiteln, die unter einander mehr
in einem inneren, als äußeren Zusammenhange stehen, in der kräftigen dog¬
matischen Weise, die Guizot eigenthümlich ist, eine Reihe von Fragen über
das Verhältniß der Kirche zum Staate, der Kirchen unter einander, über die
verschiedenen Richtungen in den einzelnen Kirchen, über Völkerrecht und Frei¬
heit. An diese allgemeinen Erörterungen schließen sich dann die Ansichten des
Verfassers über französische Zustände (doch werden diese nur sehr leise berührt),
die italienischen Verhältnisse und insbesondere über die Zukunft des Papst¬
thums an. Selbstverständlich können wir auf dem beschränkten Raum von
l?0 Seiten keine vollständige Entwicklung der^vorgetragenen Ansichten erwar¬
ten; auch lag eine solche gar nicht in der Absicht des Verfassers, der kein
kirchlich-politisches System aufstellen, sondern in mehr aphoristischer Weise
seine Gedanken über Kirche und Staat aussprechen wollte. Daß diese Ge¬
danken einen objectiven Charakter tragen, liegt nicht in der Behandlung des
Gegenstandes, sondern in der abgeschlossenen und festen geistigen Individua¬
lität des Verfassers, in der Kraft der Ueberzeugung, die jedem Satze den
Stempel einer unerschütterlichen dogmatischen Sicherheit aufdrückt. Guizot
demonstrirt nicht, er behauptet; aber er weiß in seine Behauptungen das
ganze Gewicht seiner bedeutenden Persönlichkeit zu legen, deren Ausdruck mehr
noch als der Gedanke selbst auf den Leser wirkt.
Dessenungeachtet dürfen wir wohl behaupten, daß das Buch wenig zur
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |