Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wig nicht incorponren wolle und gleichzeitig vollzieht er die Incorporation.
Er erklärt, daß Dänemark nur durch den deutschen Bund dahin gedrängt sei,
Holstein und Lauenburg aus der Gesamlntstaatsverfassung auszusondern, und
gleichzeitig benutzt er den übrig gebliebenen Rumpf des Neichsraths, um Schles¬
wig in eine constitutionelle Verbindung mit Dänemark zu bringen. Man hat
sich in Deutschland daran gewöhnt, die Incorporation Schleswigs für gleich¬
bedeutend mit der Ausdehnung des dänischen Grundgesetzes von 1849 auf
Schleswig zu halten. Dies ist ein Irrthum. Diese Art der Incorporation
würde jetzt gar nicht nach dem Geschmack der Dänen sein. Denn gälte in
Schleswig das dänische Grundgesetz, so hätten die Schleswiger auch alle die
staatsbürgerlichen Freiheiten, welche das Grundgesetz in reichem Maße gewährt.
Mit der Preßfreiheit, dem Associationsrecht, der Petitionssreiheit hätten sie
die wirksamsten Waffen gegen die fortwährenden Uebergriffe der Dänen. Die
Art der Incorporation, welche die Dänen jetzt betreiben, ist viel schliPirler.
Vermittelst des Rumpfreichsraths wollen sie Schleswig constitutionell mit
Dänemark verbinden und es definitiv von Holstein und also von Deutschland
lösen. Das wird in diesen Tagen in Kopenhagen ausgeführt. Was man
von deutscher Seite dagegen unternehmen will, darüber verlautet noch nichts.
Das Mindeste, was wir erwarten dürfen, bleibt immer, daß, solange wir die
factischen Zustände nicht ändern können, wenigstens die rechtliche Lage nicht
zu unserem Nachtheil alterirt werde. Jetzt aber wäre eine unvergleichliche
Gelegenheit geboten, unsere alten Rechtsansprüche wiederherzustellen. Noch
stehen wir immer auf dem Boden des Uebereinkommens von 1852. Damals
hat Deutschland das theuerste Recht der Herzogtümer, ihr Recht auf Verbin¬
dung mit einander, aufgegeben. Aber dagegen hat Dänemark versprochen,
Schleswig nicht zu incorponren und keinen irgend dahin führenden Schritt zu
thu". Diese beiden Zugeständnisse bedingen einander. Wenn Schleswig nicht
mit Holstein verbunden bleiben durfte, so sollte es auch nicht in eine consti¬
tutionelle Verbindung mit Dänemark treten, wenigstens in keine nähere Ver¬
bindung, als in welcher auch Holstein mit dem Königreich steht. Mit diesem Grund¬
satz steht eine für Dänemark und Schleswig gemeinsame Volksvertretung, wie sie
jetzt in Kopenhagen geschaffen wird, in unlösbaren Widerspruch. Dänemark
sagt sich damit grundsätzlich von dem Abkommen von 1852 los. Wir haben
keine Ursache, es dabei festzuhalten. Denn wir haben damals das schwerste
Opfer gebracht, indem die Verbindung Schleswig-Holsteins aufgegeben wurde.
Völkerrechtliche Vertrüge binden gegenseitig oder gar nicht. Durch das jetzige
Vorgehen Dänemarks ist das Abkommen von 1852 außer Kraft gesetzt.
Deutschland hat jetzt zu constatiren, daß es durch seine damals gegebenen Zu-
sicherungen nicht mehr gebunden ist. Dann kann es die Wiederherstellung
des alten Rechtszustandes, wie er vor 1843 bestand, verlangen; es kann die


Grcnzboteii I. 1862. 35

wig nicht incorponren wolle und gleichzeitig vollzieht er die Incorporation.
Er erklärt, daß Dänemark nur durch den deutschen Bund dahin gedrängt sei,
Holstein und Lauenburg aus der Gesamlntstaatsverfassung auszusondern, und
gleichzeitig benutzt er den übrig gebliebenen Rumpf des Neichsraths, um Schles¬
wig in eine constitutionelle Verbindung mit Dänemark zu bringen. Man hat
sich in Deutschland daran gewöhnt, die Incorporation Schleswigs für gleich¬
bedeutend mit der Ausdehnung des dänischen Grundgesetzes von 1849 auf
Schleswig zu halten. Dies ist ein Irrthum. Diese Art der Incorporation
würde jetzt gar nicht nach dem Geschmack der Dänen sein. Denn gälte in
Schleswig das dänische Grundgesetz, so hätten die Schleswiger auch alle die
staatsbürgerlichen Freiheiten, welche das Grundgesetz in reichem Maße gewährt.
Mit der Preßfreiheit, dem Associationsrecht, der Petitionssreiheit hätten sie
die wirksamsten Waffen gegen die fortwährenden Uebergriffe der Dänen. Die
Art der Incorporation, welche die Dänen jetzt betreiben, ist viel schliPirler.
Vermittelst des Rumpfreichsraths wollen sie Schleswig constitutionell mit
Dänemark verbinden und es definitiv von Holstein und also von Deutschland
lösen. Das wird in diesen Tagen in Kopenhagen ausgeführt. Was man
von deutscher Seite dagegen unternehmen will, darüber verlautet noch nichts.
Das Mindeste, was wir erwarten dürfen, bleibt immer, daß, solange wir die
factischen Zustände nicht ändern können, wenigstens die rechtliche Lage nicht
zu unserem Nachtheil alterirt werde. Jetzt aber wäre eine unvergleichliche
Gelegenheit geboten, unsere alten Rechtsansprüche wiederherzustellen. Noch
stehen wir immer auf dem Boden des Uebereinkommens von 1852. Damals
hat Deutschland das theuerste Recht der Herzogtümer, ihr Recht auf Verbin¬
dung mit einander, aufgegeben. Aber dagegen hat Dänemark versprochen,
Schleswig nicht zu incorponren und keinen irgend dahin führenden Schritt zu
thu». Diese beiden Zugeständnisse bedingen einander. Wenn Schleswig nicht
mit Holstein verbunden bleiben durfte, so sollte es auch nicht in eine consti¬
tutionelle Verbindung mit Dänemark treten, wenigstens in keine nähere Ver¬
bindung, als in welcher auch Holstein mit dem Königreich steht. Mit diesem Grund¬
satz steht eine für Dänemark und Schleswig gemeinsame Volksvertretung, wie sie
jetzt in Kopenhagen geschaffen wird, in unlösbaren Widerspruch. Dänemark
sagt sich damit grundsätzlich von dem Abkommen von 1852 los. Wir haben
keine Ursache, es dabei festzuhalten. Denn wir haben damals das schwerste
Opfer gebracht, indem die Verbindung Schleswig-Holsteins aufgegeben wurde.
Völkerrechtliche Vertrüge binden gegenseitig oder gar nicht. Durch das jetzige
Vorgehen Dänemarks ist das Abkommen von 1852 außer Kraft gesetzt.
Deutschland hat jetzt zu constatiren, daß es durch seine damals gegebenen Zu-
sicherungen nicht mehr gebunden ist. Dann kann es die Wiederherstellung
des alten Rechtszustandes, wie er vor 1843 bestand, verlangen; es kann die


Grcnzboteii I. 1862. 35
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0281" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113523"/>
          <p xml:id="ID_837" prev="#ID_836" next="#ID_838"> wig nicht incorponren wolle und gleichzeitig vollzieht er die Incorporation.<lb/>
Er erklärt, daß Dänemark nur durch den deutschen Bund dahin gedrängt sei,<lb/>
Holstein und Lauenburg aus der Gesamlntstaatsverfassung auszusondern, und<lb/>
gleichzeitig benutzt er den übrig gebliebenen Rumpf des Neichsraths, um Schles¬<lb/>
wig in eine constitutionelle Verbindung mit Dänemark zu bringen.  Man hat<lb/>
sich in Deutschland daran gewöhnt, die Incorporation Schleswigs für gleich¬<lb/>
bedeutend mit der Ausdehnung des dänischen Grundgesetzes von 1849 auf<lb/>
Schleswig zu halten.  Dies ist ein Irrthum.  Diese Art der Incorporation<lb/>
würde jetzt gar nicht nach dem Geschmack der Dänen sein.  Denn gälte in<lb/>
Schleswig das dänische Grundgesetz, so hätten die Schleswiger auch alle die<lb/>
staatsbürgerlichen Freiheiten, welche das Grundgesetz in reichem Maße gewährt.<lb/>
Mit der Preßfreiheit, dem Associationsrecht, der Petitionssreiheit hätten sie<lb/>
die wirksamsten Waffen gegen die fortwährenden Uebergriffe der Dänen. Die<lb/>
Art der Incorporation, welche die Dänen jetzt betreiben, ist viel schliPirler.<lb/>
Vermittelst des Rumpfreichsraths wollen sie Schleswig constitutionell mit<lb/>
Dänemark verbinden und es definitiv von Holstein und also von Deutschland<lb/>
lösen.  Das wird in diesen Tagen in Kopenhagen ausgeführt.  Was man<lb/>
von deutscher Seite dagegen unternehmen will, darüber verlautet noch nichts.<lb/>
Das Mindeste, was wir erwarten dürfen, bleibt immer, daß, solange wir die<lb/>
factischen Zustände nicht ändern können, wenigstens die rechtliche Lage nicht<lb/>
zu unserem Nachtheil alterirt werde.  Jetzt aber wäre eine unvergleichliche<lb/>
Gelegenheit geboten, unsere alten Rechtsansprüche wiederherzustellen. Noch<lb/>
stehen wir immer auf dem Boden des Uebereinkommens von 1852. Damals<lb/>
hat Deutschland das theuerste Recht der Herzogtümer, ihr Recht auf Verbin¬<lb/>
dung mit einander, aufgegeben.  Aber dagegen hat Dänemark versprochen,<lb/>
Schleswig nicht zu incorponren und keinen irgend dahin führenden Schritt zu<lb/>
thu».  Diese beiden Zugeständnisse bedingen einander. Wenn Schleswig nicht<lb/>
mit Holstein verbunden bleiben durfte, so sollte es auch nicht in eine consti¬<lb/>
tutionelle Verbindung mit Dänemark treten, wenigstens in keine nähere Ver¬<lb/>
bindung, als in welcher auch Holstein mit dem Königreich steht. Mit diesem Grund¬<lb/>
satz steht eine für Dänemark und Schleswig gemeinsame Volksvertretung, wie sie<lb/>
jetzt in Kopenhagen geschaffen wird, in unlösbaren Widerspruch. Dänemark<lb/>
sagt sich damit grundsätzlich von dem Abkommen von 1852 los.  Wir haben<lb/>
keine Ursache, es dabei festzuhalten.  Denn wir haben damals das schwerste<lb/>
Opfer gebracht, indem die Verbindung Schleswig-Holsteins aufgegeben wurde.<lb/>
Völkerrechtliche Vertrüge binden gegenseitig oder gar nicht.  Durch das jetzige<lb/>
Vorgehen Dänemarks ist das Abkommen von 1852 außer Kraft gesetzt.<lb/>
Deutschland hat jetzt zu constatiren, daß es durch seine damals gegebenen Zu-<lb/>
sicherungen nicht mehr gebunden ist.  Dann kann es die Wiederherstellung<lb/>
des alten Rechtszustandes, wie er vor 1843 bestand, verlangen; es kann die</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzboteii I. 1862. 35</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0281] wig nicht incorponren wolle und gleichzeitig vollzieht er die Incorporation. Er erklärt, daß Dänemark nur durch den deutschen Bund dahin gedrängt sei, Holstein und Lauenburg aus der Gesamlntstaatsverfassung auszusondern, und gleichzeitig benutzt er den übrig gebliebenen Rumpf des Neichsraths, um Schles¬ wig in eine constitutionelle Verbindung mit Dänemark zu bringen. Man hat sich in Deutschland daran gewöhnt, die Incorporation Schleswigs für gleich¬ bedeutend mit der Ausdehnung des dänischen Grundgesetzes von 1849 auf Schleswig zu halten. Dies ist ein Irrthum. Diese Art der Incorporation würde jetzt gar nicht nach dem Geschmack der Dänen sein. Denn gälte in Schleswig das dänische Grundgesetz, so hätten die Schleswiger auch alle die staatsbürgerlichen Freiheiten, welche das Grundgesetz in reichem Maße gewährt. Mit der Preßfreiheit, dem Associationsrecht, der Petitionssreiheit hätten sie die wirksamsten Waffen gegen die fortwährenden Uebergriffe der Dänen. Die Art der Incorporation, welche die Dänen jetzt betreiben, ist viel schliPirler. Vermittelst des Rumpfreichsraths wollen sie Schleswig constitutionell mit Dänemark verbinden und es definitiv von Holstein und also von Deutschland lösen. Das wird in diesen Tagen in Kopenhagen ausgeführt. Was man von deutscher Seite dagegen unternehmen will, darüber verlautet noch nichts. Das Mindeste, was wir erwarten dürfen, bleibt immer, daß, solange wir die factischen Zustände nicht ändern können, wenigstens die rechtliche Lage nicht zu unserem Nachtheil alterirt werde. Jetzt aber wäre eine unvergleichliche Gelegenheit geboten, unsere alten Rechtsansprüche wiederherzustellen. Noch stehen wir immer auf dem Boden des Uebereinkommens von 1852. Damals hat Deutschland das theuerste Recht der Herzogtümer, ihr Recht auf Verbin¬ dung mit einander, aufgegeben. Aber dagegen hat Dänemark versprochen, Schleswig nicht zu incorponren und keinen irgend dahin führenden Schritt zu thu». Diese beiden Zugeständnisse bedingen einander. Wenn Schleswig nicht mit Holstein verbunden bleiben durfte, so sollte es auch nicht in eine consti¬ tutionelle Verbindung mit Dänemark treten, wenigstens in keine nähere Ver¬ bindung, als in welcher auch Holstein mit dem Königreich steht. Mit diesem Grund¬ satz steht eine für Dänemark und Schleswig gemeinsame Volksvertretung, wie sie jetzt in Kopenhagen geschaffen wird, in unlösbaren Widerspruch. Dänemark sagt sich damit grundsätzlich von dem Abkommen von 1852 los. Wir haben keine Ursache, es dabei festzuhalten. Denn wir haben damals das schwerste Opfer gebracht, indem die Verbindung Schleswig-Holsteins aufgegeben wurde. Völkerrechtliche Vertrüge binden gegenseitig oder gar nicht. Durch das jetzige Vorgehen Dänemarks ist das Abkommen von 1852 außer Kraft gesetzt. Deutschland hat jetzt zu constatiren, daß es durch seine damals gegebenen Zu- sicherungen nicht mehr gebunden ist. Dann kann es die Wiederherstellung des alten Rechtszustandes, wie er vor 1843 bestand, verlangen; es kann die Grcnzboteii I. 1862. 35

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/281
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/281>, abgerufen am 23.07.2024.