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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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nen können. Das Unrecht in Kurhessen ist unter preußischer Mitwirkung ge¬
schehen. Das Mindeste, was die Hessen erwarten können, ist also, daß Preu¬
ßen sie nicht an der Wiederherstellung des Rechts hindere und auch nicht
dulde, daß Andere sie daran hindern. Es müßte erklären, daß von Straf-
baiern unter keinen Umstünden die Rede sein kann. Um diesen Standpunkt
zu wahren, müßte vielleicht die Armee mobil gemacht werden. Wenn der
Landtag für einen solchen Zweck sich zu jedem Opfer bereit erklärt, so hat er
sicher das ganze Land auf seiner Seite. Sobald man nur einen Zweck sieht,
wird man auch in dem Militärbudget nicht mehr allzu genau sein.

Während diese Dinge noch in der Schwebe sind, hat Herr v. Beust uns
mit einem weiteren sehr reichen und schätzbaren Material über die Frage der
Bundesreform erfreut. Wer die letzten umfangreichen Veröffentlichungen des
Dresdner Journals überblickt, muß der Thätigkeit des Herrn v. Beust alle
Anerkennung schenken und begreift kaum, wie derselbe noch Zeit behielt, in
seinen Mußestunden sich mit den "Kleinigkeiten" des Marquis de Flers zu be¬
schäftigen. Aber ob seine Thätigkeit auch eben so ersprießlich als umfang¬
reich ist, das ist eine andere Frage. Hier neigt man sich im Allgemeinen zu
der Ansicht, daß er nur leeres Stroh gedroschen hat. Der Widerspruch, wel¬
chen der sächsische Minister den Bedenken des Grafen Rechberg entgegenstellt,
mag sehr scharfsinnig sein. Aber wer hat Zeit, sich an solchen unfruchtbaren
dialektischen Spielen zu ergötzen? Nachdem das ursprüngliche Beust'sche Re-
formproject von allen Seiten als todtgeborcn anerkannt ist, haben diese aus¬
führlichen diplomatischen Erörterungen über dasselbe nur geringes Interesse.
Nur zwei Punkte in der sächsischen Depesche vom 22. Novbr. v. I. verdienen
hervorgehoben zu werden. Erstlich das Erstaunen über den Garantiegedanken,
welches selbst Herr v. Beust beim besten Willen nicht unterdrücken kann. So¬
gar die Kreuzzeitung erklärte sich außer Stande, diesen Gedanken zu fassen,
und unsere gute Sternzeitung nannte ihn transscendentale Jetzt sehen wir,
daß auch Herr v. Beust über eine solche Zumuthung des Grafen Nechberg
wie aus den Wolken gefallen ist. Wenn so die besten Freunde Oestreichs
denken, so brauchen wir uns über dieses Thema nicht zu erhitzen. Zweitens
constatiren wir mit Vergnügen, daß auch Herr v. Beust die mystischen und
überschwenglichen Ansichten des Grafen Rechberg über die Bedeutung des
Bundespräsidiums nicht theilt. Die kritischen Bemerkungen, welche diesem
Gegenstand gewidmet werden, dürften aus dem gesummten Inhalt der ver¬
öffentlichten sächsischen Depeschen die meiste überzeugende Kraft haben.

Während unsere Staatsmänner sich mit solchen Seifenblasen beschäfti¬
gen, scheinen sie es nicht zu bemerken, daß durch ein Täschenspielerkunststück
uns ein Herzogthum geraubt werden soll. Denn das ist die Bedeutung dessen,
was jetzt in Kopenhagen geschieht. Herr Hall erklärt feierlich, daß er Schles-


nen können. Das Unrecht in Kurhessen ist unter preußischer Mitwirkung ge¬
schehen. Das Mindeste, was die Hessen erwarten können, ist also, daß Preu¬
ßen sie nicht an der Wiederherstellung des Rechts hindere und auch nicht
dulde, daß Andere sie daran hindern. Es müßte erklären, daß von Straf-
baiern unter keinen Umstünden die Rede sein kann. Um diesen Standpunkt
zu wahren, müßte vielleicht die Armee mobil gemacht werden. Wenn der
Landtag für einen solchen Zweck sich zu jedem Opfer bereit erklärt, so hat er
sicher das ganze Land auf seiner Seite. Sobald man nur einen Zweck sieht,
wird man auch in dem Militärbudget nicht mehr allzu genau sein.

Während diese Dinge noch in der Schwebe sind, hat Herr v. Beust uns
mit einem weiteren sehr reichen und schätzbaren Material über die Frage der
Bundesreform erfreut. Wer die letzten umfangreichen Veröffentlichungen des
Dresdner Journals überblickt, muß der Thätigkeit des Herrn v. Beust alle
Anerkennung schenken und begreift kaum, wie derselbe noch Zeit behielt, in
seinen Mußestunden sich mit den „Kleinigkeiten" des Marquis de Flers zu be¬
schäftigen. Aber ob seine Thätigkeit auch eben so ersprießlich als umfang¬
reich ist, das ist eine andere Frage. Hier neigt man sich im Allgemeinen zu
der Ansicht, daß er nur leeres Stroh gedroschen hat. Der Widerspruch, wel¬
chen der sächsische Minister den Bedenken des Grafen Rechberg entgegenstellt,
mag sehr scharfsinnig sein. Aber wer hat Zeit, sich an solchen unfruchtbaren
dialektischen Spielen zu ergötzen? Nachdem das ursprüngliche Beust'sche Re-
formproject von allen Seiten als todtgeborcn anerkannt ist, haben diese aus¬
führlichen diplomatischen Erörterungen über dasselbe nur geringes Interesse.
Nur zwei Punkte in der sächsischen Depesche vom 22. Novbr. v. I. verdienen
hervorgehoben zu werden. Erstlich das Erstaunen über den Garantiegedanken,
welches selbst Herr v. Beust beim besten Willen nicht unterdrücken kann. So¬
gar die Kreuzzeitung erklärte sich außer Stande, diesen Gedanken zu fassen,
und unsere gute Sternzeitung nannte ihn transscendentale Jetzt sehen wir,
daß auch Herr v. Beust über eine solche Zumuthung des Grafen Nechberg
wie aus den Wolken gefallen ist. Wenn so die besten Freunde Oestreichs
denken, so brauchen wir uns über dieses Thema nicht zu erhitzen. Zweitens
constatiren wir mit Vergnügen, daß auch Herr v. Beust die mystischen und
überschwenglichen Ansichten des Grafen Rechberg über die Bedeutung des
Bundespräsidiums nicht theilt. Die kritischen Bemerkungen, welche diesem
Gegenstand gewidmet werden, dürften aus dem gesummten Inhalt der ver¬
öffentlichten sächsischen Depeschen die meiste überzeugende Kraft haben.

Während unsere Staatsmänner sich mit solchen Seifenblasen beschäfti¬
gen, scheinen sie es nicht zu bemerken, daß durch ein Täschenspielerkunststück
uns ein Herzogthum geraubt werden soll. Denn das ist die Bedeutung dessen,
was jetzt in Kopenhagen geschieht. Herr Hall erklärt feierlich, daß er Schles-


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[0280] nen können. Das Unrecht in Kurhessen ist unter preußischer Mitwirkung ge¬ schehen. Das Mindeste, was die Hessen erwarten können, ist also, daß Preu¬ ßen sie nicht an der Wiederherstellung des Rechts hindere und auch nicht dulde, daß Andere sie daran hindern. Es müßte erklären, daß von Straf- baiern unter keinen Umstünden die Rede sein kann. Um diesen Standpunkt zu wahren, müßte vielleicht die Armee mobil gemacht werden. Wenn der Landtag für einen solchen Zweck sich zu jedem Opfer bereit erklärt, so hat er sicher das ganze Land auf seiner Seite. Sobald man nur einen Zweck sieht, wird man auch in dem Militärbudget nicht mehr allzu genau sein. Während diese Dinge noch in der Schwebe sind, hat Herr v. Beust uns mit einem weiteren sehr reichen und schätzbaren Material über die Frage der Bundesreform erfreut. Wer die letzten umfangreichen Veröffentlichungen des Dresdner Journals überblickt, muß der Thätigkeit des Herrn v. Beust alle Anerkennung schenken und begreift kaum, wie derselbe noch Zeit behielt, in seinen Mußestunden sich mit den „Kleinigkeiten" des Marquis de Flers zu be¬ schäftigen. Aber ob seine Thätigkeit auch eben so ersprießlich als umfang¬ reich ist, das ist eine andere Frage. Hier neigt man sich im Allgemeinen zu der Ansicht, daß er nur leeres Stroh gedroschen hat. Der Widerspruch, wel¬ chen der sächsische Minister den Bedenken des Grafen Rechberg entgegenstellt, mag sehr scharfsinnig sein. Aber wer hat Zeit, sich an solchen unfruchtbaren dialektischen Spielen zu ergötzen? Nachdem das ursprüngliche Beust'sche Re- formproject von allen Seiten als todtgeborcn anerkannt ist, haben diese aus¬ führlichen diplomatischen Erörterungen über dasselbe nur geringes Interesse. Nur zwei Punkte in der sächsischen Depesche vom 22. Novbr. v. I. verdienen hervorgehoben zu werden. Erstlich das Erstaunen über den Garantiegedanken, welches selbst Herr v. Beust beim besten Willen nicht unterdrücken kann. So¬ gar die Kreuzzeitung erklärte sich außer Stande, diesen Gedanken zu fassen, und unsere gute Sternzeitung nannte ihn transscendentale Jetzt sehen wir, daß auch Herr v. Beust über eine solche Zumuthung des Grafen Nechberg wie aus den Wolken gefallen ist. Wenn so die besten Freunde Oestreichs denken, so brauchen wir uns über dieses Thema nicht zu erhitzen. Zweitens constatiren wir mit Vergnügen, daß auch Herr v. Beust die mystischen und überschwenglichen Ansichten des Grafen Rechberg über die Bedeutung des Bundespräsidiums nicht theilt. Die kritischen Bemerkungen, welche diesem Gegenstand gewidmet werden, dürften aus dem gesummten Inhalt der ver¬ öffentlichten sächsischen Depeschen die meiste überzeugende Kraft haben. Während unsere Staatsmänner sich mit solchen Seifenblasen beschäfti¬ gen, scheinen sie es nicht zu bemerken, daß durch ein Täschenspielerkunststück uns ein Herzogthum geraubt werden soll. Denn das ist die Bedeutung dessen, was jetzt in Kopenhagen geschieht. Herr Hall erklärt feierlich, daß er Schles-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/280>, abgerufen am 23.07.2024.