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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Körper: die Häute der Zellen höherer Pflanzen, die Wände von Holzfasern
z. B. Etliche dringen tief in feste thierische Gewebe ein: in Haare, in Hufe,
in die lederharten Körpcrhüllen von Insecten; andere in die harten Satzmehl-
körner der Kartoffeln, in krystallisirten Zucker. Und auch die Pilzfäden der
fleischigen Schwämme, denen die Fähigkeit so arger Zudringlichkeit in der
Mehrzahl der Fälle abgeht, bahnen sich doch, trotz ihrer Zartheit (die Dicke
eines einzelnen Pilzfadens beträgt kaum je auch mir ein Zehntheil von dem
einer Bauwollenfaser) mit Leichtigkeit den Weg dnrch festes Erdreich. Sie
leben unterirdisch, mit seltenen Ausnahmen.

Wer im Lichte steht, stellt gern die eigene Individualität voran; gesellig,
in Schwärmen zusammenhaltend, das Selbst dem gemeinsamen Zwecke unter¬
ordnend haben vorzugsweise die Kinder der Finsterniß sich erwiesen. Die
Entwicklung so eines Pilznestcs hat viele Aehnlichkeit mit der gewisser Orden.
Die einzelnen schwachen Pilzfädcn thun sich zunächst zu Strängen zusammen.
Sie umwachsen einander in langgezogenen Schraubenlinien; innerhalb der so
gebildeten strickförmigen Körper bilden sich seitliche Abzweigungen der einzelnen
Fäden, die an der gemeinsamen Richtung des Lnngenwachsthums des Stranges
sich bctheiligend, dessen Fasern fester verfilzen. Der Strang verzweigt sich wie¬
derholt, mit abspreizenden, aufs Neue verzweigten Aesten, die vielfach wieder
verwachsend Maschen bilden, weit im Boden umhcrgreifend. Die Monate,
selbst Jahre lang geheim wuchernde Vegetation erweitert sich zu einem immer
größer" Kreise. Bon der Quelle aller an der Erdoberfläche thätigen Kraft
des Lebens, von der Sonne scheu abgewendet, zieht das Geflecht von Pilz-
säden allen den Stoff, den es in sich aufspeichert, aus der es umgebenden
Verwesung: aus der Zersetzung der abgestorbenen Planzentheile, die fort und
fort dem Boden zugeführt werden. In unausgesetzter, weitverbreiteter Thätig¬
keit wühlt und saugt die schmarotzende Kolonie. Man kann im Buchenwald
nicht den kleinsten Brocken Lauberde aufnehmen, der nicht von den spinneweb-
ähnlichen, durch die zwischen den einzelnen Pilzfäden eingeschlossene Luft silber¬
weiß gefärbten Strängen durchzogen wäre. Endlich ist dem Pilzgeflecht die
Kraft soweit gewachsen, daß es sich zum Hervortreten aus seiner lichtscheuen
Thätigkeit vorbereitet. An einem oder mehreren Punkten des ausgedehnten
Spinnwebennetzes treten Gruppen von Pilzfäden zu geordneteren Geflechten
bestimmter Form zusammen, bisweilen ganz fremde Körper einschließend,
wie Grashalme u. tgi. in. Es wird die Anlage des Schwammes gebildet.
Das Wie der Entwickelung ist noch wenig erforscht; genug daß schließlich
der Schwamm aus einem compacten Gewebe von Pilzfäden besteht, die theils
in Parallelreihcn geordnet, theils in regelmäßigster Weise verfilzt sind; indem
durch Erweichung und Zerfließen, in anderen Fällen durch Auseinandertreten,
selbst durch Zerreißen bestimmter Gewebsschichten eine Sonderung der Organe ein-


Körper: die Häute der Zellen höherer Pflanzen, die Wände von Holzfasern
z. B. Etliche dringen tief in feste thierische Gewebe ein: in Haare, in Hufe,
in die lederharten Körpcrhüllen von Insecten; andere in die harten Satzmehl-
körner der Kartoffeln, in krystallisirten Zucker. Und auch die Pilzfäden der
fleischigen Schwämme, denen die Fähigkeit so arger Zudringlichkeit in der
Mehrzahl der Fälle abgeht, bahnen sich doch, trotz ihrer Zartheit (die Dicke
eines einzelnen Pilzfadens beträgt kaum je auch mir ein Zehntheil von dem
einer Bauwollenfaser) mit Leichtigkeit den Weg dnrch festes Erdreich. Sie
leben unterirdisch, mit seltenen Ausnahmen.

Wer im Lichte steht, stellt gern die eigene Individualität voran; gesellig,
in Schwärmen zusammenhaltend, das Selbst dem gemeinsamen Zwecke unter¬
ordnend haben vorzugsweise die Kinder der Finsterniß sich erwiesen. Die
Entwicklung so eines Pilznestcs hat viele Aehnlichkeit mit der gewisser Orden.
Die einzelnen schwachen Pilzfädcn thun sich zunächst zu Strängen zusammen.
Sie umwachsen einander in langgezogenen Schraubenlinien; innerhalb der so
gebildeten strickförmigen Körper bilden sich seitliche Abzweigungen der einzelnen
Fäden, die an der gemeinsamen Richtung des Lnngenwachsthums des Stranges
sich bctheiligend, dessen Fasern fester verfilzen. Der Strang verzweigt sich wie¬
derholt, mit abspreizenden, aufs Neue verzweigten Aesten, die vielfach wieder
verwachsend Maschen bilden, weit im Boden umhcrgreifend. Die Monate,
selbst Jahre lang geheim wuchernde Vegetation erweitert sich zu einem immer
größer« Kreise. Bon der Quelle aller an der Erdoberfläche thätigen Kraft
des Lebens, von der Sonne scheu abgewendet, zieht das Geflecht von Pilz-
säden allen den Stoff, den es in sich aufspeichert, aus der es umgebenden
Verwesung: aus der Zersetzung der abgestorbenen Planzentheile, die fort und
fort dem Boden zugeführt werden. In unausgesetzter, weitverbreiteter Thätig¬
keit wühlt und saugt die schmarotzende Kolonie. Man kann im Buchenwald
nicht den kleinsten Brocken Lauberde aufnehmen, der nicht von den spinneweb-
ähnlichen, durch die zwischen den einzelnen Pilzfäden eingeschlossene Luft silber¬
weiß gefärbten Strängen durchzogen wäre. Endlich ist dem Pilzgeflecht die
Kraft soweit gewachsen, daß es sich zum Hervortreten aus seiner lichtscheuen
Thätigkeit vorbereitet. An einem oder mehreren Punkten des ausgedehnten
Spinnwebennetzes treten Gruppen von Pilzfäden zu geordneteren Geflechten
bestimmter Form zusammen, bisweilen ganz fremde Körper einschließend,
wie Grashalme u. tgi. in. Es wird die Anlage des Schwammes gebildet.
Das Wie der Entwickelung ist noch wenig erforscht; genug daß schließlich
der Schwamm aus einem compacten Gewebe von Pilzfäden besteht, die theils
in Parallelreihcn geordnet, theils in regelmäßigster Weise verfilzt sind; indem
durch Erweichung und Zerfließen, in anderen Fällen durch Auseinandertreten,
selbst durch Zerreißen bestimmter Gewebsschichten eine Sonderung der Organe ein-


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[0266] Körper: die Häute der Zellen höherer Pflanzen, die Wände von Holzfasern z. B. Etliche dringen tief in feste thierische Gewebe ein: in Haare, in Hufe, in die lederharten Körpcrhüllen von Insecten; andere in die harten Satzmehl- körner der Kartoffeln, in krystallisirten Zucker. Und auch die Pilzfäden der fleischigen Schwämme, denen die Fähigkeit so arger Zudringlichkeit in der Mehrzahl der Fälle abgeht, bahnen sich doch, trotz ihrer Zartheit (die Dicke eines einzelnen Pilzfadens beträgt kaum je auch mir ein Zehntheil von dem einer Bauwollenfaser) mit Leichtigkeit den Weg dnrch festes Erdreich. Sie leben unterirdisch, mit seltenen Ausnahmen. Wer im Lichte steht, stellt gern die eigene Individualität voran; gesellig, in Schwärmen zusammenhaltend, das Selbst dem gemeinsamen Zwecke unter¬ ordnend haben vorzugsweise die Kinder der Finsterniß sich erwiesen. Die Entwicklung so eines Pilznestcs hat viele Aehnlichkeit mit der gewisser Orden. Die einzelnen schwachen Pilzfädcn thun sich zunächst zu Strängen zusammen. Sie umwachsen einander in langgezogenen Schraubenlinien; innerhalb der so gebildeten strickförmigen Körper bilden sich seitliche Abzweigungen der einzelnen Fäden, die an der gemeinsamen Richtung des Lnngenwachsthums des Stranges sich bctheiligend, dessen Fasern fester verfilzen. Der Strang verzweigt sich wie¬ derholt, mit abspreizenden, aufs Neue verzweigten Aesten, die vielfach wieder verwachsend Maschen bilden, weit im Boden umhcrgreifend. Die Monate, selbst Jahre lang geheim wuchernde Vegetation erweitert sich zu einem immer größer« Kreise. Bon der Quelle aller an der Erdoberfläche thätigen Kraft des Lebens, von der Sonne scheu abgewendet, zieht das Geflecht von Pilz- säden allen den Stoff, den es in sich aufspeichert, aus der es umgebenden Verwesung: aus der Zersetzung der abgestorbenen Planzentheile, die fort und fort dem Boden zugeführt werden. In unausgesetzter, weitverbreiteter Thätig¬ keit wühlt und saugt die schmarotzende Kolonie. Man kann im Buchenwald nicht den kleinsten Brocken Lauberde aufnehmen, der nicht von den spinneweb- ähnlichen, durch die zwischen den einzelnen Pilzfäden eingeschlossene Luft silber¬ weiß gefärbten Strängen durchzogen wäre. Endlich ist dem Pilzgeflecht die Kraft soweit gewachsen, daß es sich zum Hervortreten aus seiner lichtscheuen Thätigkeit vorbereitet. An einem oder mehreren Punkten des ausgedehnten Spinnwebennetzes treten Gruppen von Pilzfäden zu geordneteren Geflechten bestimmter Form zusammen, bisweilen ganz fremde Körper einschließend, wie Grashalme u. tgi. in. Es wird die Anlage des Schwammes gebildet. Das Wie der Entwickelung ist noch wenig erforscht; genug daß schließlich der Schwamm aus einem compacten Gewebe von Pilzfäden besteht, die theils in Parallelreihcn geordnet, theils in regelmäßigster Weise verfilzt sind; indem durch Erweichung und Zerfließen, in anderen Fällen durch Auseinandertreten, selbst durch Zerreißen bestimmter Gewebsschichten eine Sonderung der Organe ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/266>, abgerufen am 23.07.2024.