Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

tenwirthschaft, welcheseit dem vorigen Jahrhundert auf das selbstwillige Trei¬
ben gesetzt wurde, vermochte der mittelalterlichen Ungebundenheit nur unvoll¬
ständig Herr zu werden. Freilich wird auch dort durch die mächtige Strömung
des modernen ^Lebens rasch umgeformt, den Schwärmen der Reisenden fol¬
gen langsamer Industrie, gewerbliche Bildung, neue Bedürfnisse und freiere
Anschauungen bis hoch hinauf in die Bergthäler.




Ein Kapitel über Trüffeln.

Mit den schmackhaftesten Gaben des Meeres theilen die eßbaren Schwämme
das Schicksal, von der ungebildeten Menge mißachtet zu werden. Die Be¬
wohner der deutschen Walddörfer lassen alljährlich Millionen der wohlschmeckend¬
sten, nahrhaftesten Pilze neben den täglich betretenen Wegen verderben --
-- nicht aus Furcht vor Verwechslung mit giftigen (einige der eßbaren sind
allgemein wohl gekannt), nur aus Geringschätzung. Es ist ein feinfühlender
Gaumen, der das zarte, leichte Arom guter Schwämme den beizenden Ge¬
nüssen vorzieht, in welchen der unwissende Landmann mit Vorliebe schwelgt.
Um so inniger ist die Verehrung, welche der gebildete Esser, seit den ältesten
Zeiten, für jene edlen Geschenke der Natur empfindet. Wie oft, mit welcher
Wärme erwähnen ihrer die classischen Dichter! Vor Allem der Königin der
Schwämme, der Trüffel. An sie, wie an alle bedeutenden Erscheinungen, hat
sich neben leidenschaftlicher Bewunderung fanatischer Haß. neben das redliche
Bemühen ihr Wesen zu erkennen die Bildung halb abgeschmackter, halb gro߬
artiger Mythen geheftet. Den zahllosen Aussprüchen verdienter Anerkennung
des edlen Gewächses steht die schwarze Verläumdung Lonitzers zur Seite, der
Genuß der Trüffeln verursache Epilepsie und Schlagfluß. Die treffliche vio¬
lette Trüffel von Perigueux hat ein Botaniker -- es bleibe dahin gestellt ob aus
Haß oder aus Neid gegen die günstiger situirte Minorität, welcher deren öfterer
Genuß verstattet ist -- die Trüffel der Vielfräße (gulonuw) genannt. Und welche
Fabeln über die Entstehung der Trüffeln! Römische Schriftsteller glaubten, daß
sie entstünden, wenn der Donner in die Erde schlüge: ein Aberglaube, der nach der
Angabe unverdächtiger Zeugen in den trüffelreichen Gegenden Südfrankreichs bis
auf den heutigen Tag sich erhalten har. Noch verbreiteter ist die Meinung, die


tenwirthschaft, welcheseit dem vorigen Jahrhundert auf das selbstwillige Trei¬
ben gesetzt wurde, vermochte der mittelalterlichen Ungebundenheit nur unvoll¬
ständig Herr zu werden. Freilich wird auch dort durch die mächtige Strömung
des modernen ^Lebens rasch umgeformt, den Schwärmen der Reisenden fol¬
gen langsamer Industrie, gewerbliche Bildung, neue Bedürfnisse und freiere
Anschauungen bis hoch hinauf in die Bergthäler.




Ein Kapitel über Trüffeln.

Mit den schmackhaftesten Gaben des Meeres theilen die eßbaren Schwämme
das Schicksal, von der ungebildeten Menge mißachtet zu werden. Die Be¬
wohner der deutschen Walddörfer lassen alljährlich Millionen der wohlschmeckend¬
sten, nahrhaftesten Pilze neben den täglich betretenen Wegen verderben —
— nicht aus Furcht vor Verwechslung mit giftigen (einige der eßbaren sind
allgemein wohl gekannt), nur aus Geringschätzung. Es ist ein feinfühlender
Gaumen, der das zarte, leichte Arom guter Schwämme den beizenden Ge¬
nüssen vorzieht, in welchen der unwissende Landmann mit Vorliebe schwelgt.
Um so inniger ist die Verehrung, welche der gebildete Esser, seit den ältesten
Zeiten, für jene edlen Geschenke der Natur empfindet. Wie oft, mit welcher
Wärme erwähnen ihrer die classischen Dichter! Vor Allem der Königin der
Schwämme, der Trüffel. An sie, wie an alle bedeutenden Erscheinungen, hat
sich neben leidenschaftlicher Bewunderung fanatischer Haß. neben das redliche
Bemühen ihr Wesen zu erkennen die Bildung halb abgeschmackter, halb gro߬
artiger Mythen geheftet. Den zahllosen Aussprüchen verdienter Anerkennung
des edlen Gewächses steht die schwarze Verläumdung Lonitzers zur Seite, der
Genuß der Trüffeln verursache Epilepsie und Schlagfluß. Die treffliche vio¬
lette Trüffel von Perigueux hat ein Botaniker — es bleibe dahin gestellt ob aus
Haß oder aus Neid gegen die günstiger situirte Minorität, welcher deren öfterer
Genuß verstattet ist — die Trüffel der Vielfräße (gulonuw) genannt. Und welche
Fabeln über die Entstehung der Trüffeln! Römische Schriftsteller glaubten, daß
sie entstünden, wenn der Donner in die Erde schlüge: ein Aberglaube, der nach der
Angabe unverdächtiger Zeugen in den trüffelreichen Gegenden Südfrankreichs bis
auf den heutigen Tag sich erhalten har. Noch verbreiteter ist die Meinung, die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113505"/>
          <p xml:id="ID_791" prev="#ID_790"> tenwirthschaft, welcheseit dem vorigen Jahrhundert auf das selbstwillige Trei¬<lb/>
ben gesetzt wurde, vermochte der mittelalterlichen Ungebundenheit nur unvoll¬<lb/>
ständig Herr zu werden. Freilich wird auch dort durch die mächtige Strömung<lb/>
des modernen ^Lebens rasch umgeformt, den Schwärmen der Reisenden fol¬<lb/>
gen langsamer Industrie, gewerbliche Bildung, neue Bedürfnisse und freiere<lb/>
Anschauungen bis hoch hinauf in die Bergthäler.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ein Kapitel über Trüffeln.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_792" next="#ID_793"> Mit den schmackhaftesten Gaben des Meeres theilen die eßbaren Schwämme<lb/>
das Schicksal, von der ungebildeten Menge mißachtet zu werden. Die Be¬<lb/>
wohner der deutschen Walddörfer lassen alljährlich Millionen der wohlschmeckend¬<lb/>
sten, nahrhaftesten Pilze neben den täglich betretenen Wegen verderben &#x2014;<lb/>
&#x2014; nicht aus Furcht vor Verwechslung mit giftigen (einige der eßbaren sind<lb/>
allgemein wohl gekannt), nur aus Geringschätzung. Es ist ein feinfühlender<lb/>
Gaumen, der das zarte, leichte Arom guter Schwämme den beizenden Ge¬<lb/>
nüssen vorzieht, in welchen der unwissende Landmann mit Vorliebe schwelgt.<lb/>
Um so inniger ist die Verehrung, welche der gebildete Esser, seit den ältesten<lb/>
Zeiten, für jene edlen Geschenke der Natur empfindet. Wie oft, mit welcher<lb/>
Wärme erwähnen ihrer die classischen Dichter! Vor Allem der Königin der<lb/>
Schwämme, der Trüffel. An sie, wie an alle bedeutenden Erscheinungen, hat<lb/>
sich neben leidenschaftlicher Bewunderung fanatischer Haß. neben das redliche<lb/>
Bemühen ihr Wesen zu erkennen die Bildung halb abgeschmackter, halb gro߬<lb/>
artiger Mythen geheftet. Den zahllosen Aussprüchen verdienter Anerkennung<lb/>
des edlen Gewächses steht die schwarze Verläumdung Lonitzers zur Seite, der<lb/>
Genuß der Trüffeln verursache Epilepsie und Schlagfluß. Die treffliche vio¬<lb/>
lette Trüffel von Perigueux hat ein Botaniker &#x2014; es bleibe dahin gestellt ob aus<lb/>
Haß oder aus Neid gegen die günstiger situirte Minorität, welcher deren öfterer<lb/>
Genuß verstattet ist &#x2014; die Trüffel der Vielfräße (gulonuw) genannt. Und welche<lb/>
Fabeln über die Entstehung der Trüffeln! Römische Schriftsteller glaubten, daß<lb/>
sie entstünden, wenn der Donner in die Erde schlüge: ein Aberglaube, der nach der<lb/>
Angabe unverdächtiger Zeugen in den trüffelreichen Gegenden Südfrankreichs bis<lb/>
auf den heutigen Tag sich erhalten har. Noch verbreiteter ist die Meinung, die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0263] tenwirthschaft, welcheseit dem vorigen Jahrhundert auf das selbstwillige Trei¬ ben gesetzt wurde, vermochte der mittelalterlichen Ungebundenheit nur unvoll¬ ständig Herr zu werden. Freilich wird auch dort durch die mächtige Strömung des modernen ^Lebens rasch umgeformt, den Schwärmen der Reisenden fol¬ gen langsamer Industrie, gewerbliche Bildung, neue Bedürfnisse und freiere Anschauungen bis hoch hinauf in die Bergthäler. Ein Kapitel über Trüffeln. Mit den schmackhaftesten Gaben des Meeres theilen die eßbaren Schwämme das Schicksal, von der ungebildeten Menge mißachtet zu werden. Die Be¬ wohner der deutschen Walddörfer lassen alljährlich Millionen der wohlschmeckend¬ sten, nahrhaftesten Pilze neben den täglich betretenen Wegen verderben — — nicht aus Furcht vor Verwechslung mit giftigen (einige der eßbaren sind allgemein wohl gekannt), nur aus Geringschätzung. Es ist ein feinfühlender Gaumen, der das zarte, leichte Arom guter Schwämme den beizenden Ge¬ nüssen vorzieht, in welchen der unwissende Landmann mit Vorliebe schwelgt. Um so inniger ist die Verehrung, welche der gebildete Esser, seit den ältesten Zeiten, für jene edlen Geschenke der Natur empfindet. Wie oft, mit welcher Wärme erwähnen ihrer die classischen Dichter! Vor Allem der Königin der Schwämme, der Trüffel. An sie, wie an alle bedeutenden Erscheinungen, hat sich neben leidenschaftlicher Bewunderung fanatischer Haß. neben das redliche Bemühen ihr Wesen zu erkennen die Bildung halb abgeschmackter, halb gro߬ artiger Mythen geheftet. Den zahllosen Aussprüchen verdienter Anerkennung des edlen Gewächses steht die schwarze Verläumdung Lonitzers zur Seite, der Genuß der Trüffeln verursache Epilepsie und Schlagfluß. Die treffliche vio¬ lette Trüffel von Perigueux hat ein Botaniker — es bleibe dahin gestellt ob aus Haß oder aus Neid gegen die günstiger situirte Minorität, welcher deren öfterer Genuß verstattet ist — die Trüffel der Vielfräße (gulonuw) genannt. Und welche Fabeln über die Entstehung der Trüffeln! Römische Schriftsteller glaubten, daß sie entstünden, wenn der Donner in die Erde schlüge: ein Aberglaube, der nach der Angabe unverdächtiger Zeugen in den trüffelreichen Gegenden Südfrankreichs bis auf den heutigen Tag sich erhalten har. Noch verbreiteter ist die Meinung, die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/263
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/263>, abgerufen am 27.12.2024.