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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Völkern, weiche sich nach .dem Sturz des Römerreiches in, Europa unter
beständigem Wechselverkehr entwickelte, bildet, im Großen betrachtet, nicht
nur deshalb eine Einheit, weil fast Allen, selbst den Slaven, deutsches Blut
in die Adern gegossen wurde. ' und weil sie sämmtlich dem Gesetz desselben
Glaubens dienstbar^ wurden. Sondern auch, weil' tue fortlaufenden großen
und kleinen Ginwirkungen des einen auf das andere zu keiner Zeit ganz
aufgehört haben, sie haben in mancher Zeit einzelnen Völkern sowohl das sclbst-
stnndige Leben tötlich gefährdet, als das letzte tötliche Verderben abgewehrt.
Die Stellung, der Deutschen zu den Nachbarvölkern, Franzosen, Italienern.
Slaven, wie hat sie sich durch Jahrtausende als ein persönliches Verhältniß,
bald als segensreich und fördernd, bald wie eine Schuld und Strafe, dar¬
gestellt! Von dem Tage, an welchem Cunbern und-Teutonen auf ihren
Holzschilden über den Schnee der Alpen hinunter fuhren in die italiemjchen
Ebenen, bis zur Gegenwart, in welcher der römische Bischof den" preußischen
Unterthanen. PrzyluScki seine Sympathien mit der deutsch-feindlichen Bewegung
in, Posen ausspricht, durch zweitausend Jahre, welche lange Kette von Ursachen
und, Wirkungen.

Med jedem ihrer Nachbarvölker sind die Deutschen durch tausend Schick¬
salsfaden verbunden, aber die stärksten und zahlreichsten sind von günstigen
und ungünstigen Göttern zwischen Deutschland und Italien gezogen worden.
Vorzugsweise mächtig waren diese Einwirkungen in den ersten 1500 Jahren
n. Ehr., in der Jugendzeit des deutscheu Lebens. Während dieser andert¬
halb Jahrtausende waren die Italiener das Kulturvolk, welches den Ger¬
manen von seiner alten Bildung abgab, Gemüth und Neigungen der frem¬
den Eindringlinge nach seinen Bedürfnissen zu formen suchte, und seinerseits von
dem deutschen Wesen mit vornehmer Sprödigkeit nur so viel aufnahm, als
eS mußte. Die vornehme Stellung Italiens als des höher cultivirten, ab¬
gebenden und benutzenden Landes, hat sich von der römischen Kaiserjett bis
auf Luther im Ganzen wenig geändert. Allerdings waren es im Mttelal-
ter nicht mehr die Nachkommen der alten Bauern von Latium, welche deutsche
Kaiser zwangen, ihnen den Steigbügel zu halten, denn auch Italien war
stark barbarisül und germanisirt. Aber grade das ist auffallend, wie schnell
und willig sich die Deutschen als Gäste. Eroberer und Kolonisten des Schotten
Landes der übermächtigen italienischen Art fügten.

Dtese auffallende Er>cheinung zu erklären, reicht das Axiom von der gro¬
ßen Fügsamkeit und Aneignungstraft der deutschen Volksseele recht aus. Es
ist vielmehr noch ein nicht genügend erforschtes Moment unserer ältesten Ge¬
schichte, daß Italien, und in geringerm Grade sogar das oströmische Reich
vom dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung bis zur Zeit Karls des Großen
das Land war, welches den Germanen nicht nur durch Sage und Poesie,


Völkern, weiche sich nach .dem Sturz des Römerreiches in, Europa unter
beständigem Wechselverkehr entwickelte, bildet, im Großen betrachtet, nicht
nur deshalb eine Einheit, weil fast Allen, selbst den Slaven, deutsches Blut
in die Adern gegossen wurde. ' und weil sie sämmtlich dem Gesetz desselben
Glaubens dienstbar^ wurden. Sondern auch, weil' tue fortlaufenden großen
und kleinen Ginwirkungen des einen auf das andere zu keiner Zeit ganz
aufgehört haben, sie haben in mancher Zeit einzelnen Völkern sowohl das sclbst-
stnndige Leben tötlich gefährdet, als das letzte tötliche Verderben abgewehrt.
Die Stellung, der Deutschen zu den Nachbarvölkern, Franzosen, Italienern.
Slaven, wie hat sie sich durch Jahrtausende als ein persönliches Verhältniß,
bald als segensreich und fördernd, bald wie eine Schuld und Strafe, dar¬
gestellt! Von dem Tage, an welchem Cunbern und-Teutonen auf ihren
Holzschilden über den Schnee der Alpen hinunter fuhren in die italiemjchen
Ebenen, bis zur Gegenwart, in welcher der römische Bischof den» preußischen
Unterthanen. PrzyluScki seine Sympathien mit der deutsch-feindlichen Bewegung
in, Posen ausspricht, durch zweitausend Jahre, welche lange Kette von Ursachen
und, Wirkungen.

Med jedem ihrer Nachbarvölker sind die Deutschen durch tausend Schick¬
salsfaden verbunden, aber die stärksten und zahlreichsten sind von günstigen
und ungünstigen Göttern zwischen Deutschland und Italien gezogen worden.
Vorzugsweise mächtig waren diese Einwirkungen in den ersten 1500 Jahren
n. Ehr., in der Jugendzeit des deutscheu Lebens. Während dieser andert¬
halb Jahrtausende waren die Italiener das Kulturvolk, welches den Ger¬
manen von seiner alten Bildung abgab, Gemüth und Neigungen der frem¬
den Eindringlinge nach seinen Bedürfnissen zu formen suchte, und seinerseits von
dem deutschen Wesen mit vornehmer Sprödigkeit nur so viel aufnahm, als
eS mußte. Die vornehme Stellung Italiens als des höher cultivirten, ab¬
gebenden und benutzenden Landes, hat sich von der römischen Kaiserjett bis
auf Luther im Ganzen wenig geändert. Allerdings waren es im Mttelal-
ter nicht mehr die Nachkommen der alten Bauern von Latium, welche deutsche
Kaiser zwangen, ihnen den Steigbügel zu halten, denn auch Italien war
stark barbarisül und germanisirt. Aber grade das ist auffallend, wie schnell
und willig sich die Deutschen als Gäste. Eroberer und Kolonisten des Schotten
Landes der übermächtigen italienischen Art fügten.

Dtese auffallende Er>cheinung zu erklären, reicht das Axiom von der gro¬
ßen Fügsamkeit und Aneignungstraft der deutschen Volksseele recht aus. Es
ist vielmehr noch ein nicht genügend erforschtes Moment unserer ältesten Ge¬
schichte, daß Italien, und in geringerm Grade sogar das oströmische Reich
vom dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung bis zur Zeit Karls des Großen
das Land war, welches den Germanen nicht nur durch Sage und Poesie,


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[0239] Völkern, weiche sich nach .dem Sturz des Römerreiches in, Europa unter beständigem Wechselverkehr entwickelte, bildet, im Großen betrachtet, nicht nur deshalb eine Einheit, weil fast Allen, selbst den Slaven, deutsches Blut in die Adern gegossen wurde. ' und weil sie sämmtlich dem Gesetz desselben Glaubens dienstbar^ wurden. Sondern auch, weil' tue fortlaufenden großen und kleinen Ginwirkungen des einen auf das andere zu keiner Zeit ganz aufgehört haben, sie haben in mancher Zeit einzelnen Völkern sowohl das sclbst- stnndige Leben tötlich gefährdet, als das letzte tötliche Verderben abgewehrt. Die Stellung, der Deutschen zu den Nachbarvölkern, Franzosen, Italienern. Slaven, wie hat sie sich durch Jahrtausende als ein persönliches Verhältniß, bald als segensreich und fördernd, bald wie eine Schuld und Strafe, dar¬ gestellt! Von dem Tage, an welchem Cunbern und-Teutonen auf ihren Holzschilden über den Schnee der Alpen hinunter fuhren in die italiemjchen Ebenen, bis zur Gegenwart, in welcher der römische Bischof den» preußischen Unterthanen. PrzyluScki seine Sympathien mit der deutsch-feindlichen Bewegung in, Posen ausspricht, durch zweitausend Jahre, welche lange Kette von Ursachen und, Wirkungen. Med jedem ihrer Nachbarvölker sind die Deutschen durch tausend Schick¬ salsfaden verbunden, aber die stärksten und zahlreichsten sind von günstigen und ungünstigen Göttern zwischen Deutschland und Italien gezogen worden. Vorzugsweise mächtig waren diese Einwirkungen in den ersten 1500 Jahren n. Ehr., in der Jugendzeit des deutscheu Lebens. Während dieser andert¬ halb Jahrtausende waren die Italiener das Kulturvolk, welches den Ger¬ manen von seiner alten Bildung abgab, Gemüth und Neigungen der frem¬ den Eindringlinge nach seinen Bedürfnissen zu formen suchte, und seinerseits von dem deutschen Wesen mit vornehmer Sprödigkeit nur so viel aufnahm, als eS mußte. Die vornehme Stellung Italiens als des höher cultivirten, ab¬ gebenden und benutzenden Landes, hat sich von der römischen Kaiserjett bis auf Luther im Ganzen wenig geändert. Allerdings waren es im Mttelal- ter nicht mehr die Nachkommen der alten Bauern von Latium, welche deutsche Kaiser zwangen, ihnen den Steigbügel zu halten, denn auch Italien war stark barbarisül und germanisirt. Aber grade das ist auffallend, wie schnell und willig sich die Deutschen als Gäste. Eroberer und Kolonisten des Schotten Landes der übermächtigen italienischen Art fügten. Dtese auffallende Er>cheinung zu erklären, reicht das Axiom von der gro¬ ßen Fügsamkeit und Aneignungstraft der deutschen Volksseele recht aus. Es ist vielmehr noch ein nicht genügend erforschtes Moment unserer ältesten Ge¬ schichte, daß Italien, und in geringerm Grade sogar das oströmische Reich vom dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung bis zur Zeit Karls des Großen das Land war, welches den Germanen nicht nur durch Sage und Poesie,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/239>, abgerufen am 23.07.2024.