Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Fragen wir weiter nach dem Entstehungsgründe dieser Wasserdörser. so
scheint hauptsächlich das Gefühl größerer Sicherheit die Wahl und den Aufbau
so eigenthümlicher, durch Wasser isolirter Wohnungen veranlaßt, zu haben, in
denen man wie auf Inseln feindliche Angriffe und Naubanfälle wilder Thiere
leichter glaubte abwehren zu können. Uebrigens dürfen wir nicht meinen, daß
damals die ganze Bevölkerung jener Gegenden in derselben Weise gewohnt
und gehaust habe. Die Thäler und Anhöhen des Landes waren aller Wahr¬
scheinlichkeit nach ebenfalls mit Hütten besehe, welche sich von jenen der See-
bewohner eben nur dadurch unterscheiden, daß sie nicht auf Pfahlwerk, son¬
dern auf dem festen Boden standen. Dafür sprechen die kleinen, ans Hügeln
und Bergrücken entdeckten, durch Wälle geschützten Plätze, welche sich als
Ueberreste menschlicher Wohnungen erwiesen haben und gleichzeitig mit den
Pfahlbauten entstanden sein dürften. Wenn sich von der Bewohnung des
festen Landes in jener Zeit nur und wenige Spuren gefunden haben, so
liegt der Grund einfach in der vielfachen Zerstörung, welche die Boden¬
cultur solchen Ueberresten gebracht und bereitet hat.

In welchen Zeiten die Pfahlbauten zu Grunde gegangen sind, ist in
keinem Gcschicktsbuche aufgezeichnet; auf welche Weise aber die Mehrzahl
derselben vernichtet und beseitigt wurde, das ist deutlich in ihren Trüm¬
mern zu lesen. Die verkohlten Früchte und Industrieproducte, die an¬
gebrannten Pfähle. Bretter und Balken lassen nicht den mindesten Zweifel
übrig, daß sie, durch Feuer zerstört worden sind. Ob diese Zerstörung aber
durch Feindeshand bewirkt worden ist, oder ob Unglück und schlimmer Zu¬
fall hier mitgewirkt haben, wer mag das mit Bestimmtheit sagen? "Mit
großer Wahrscheinlichkeit laßt sich übrigens annehmen, daß diese isolirte, ver¬
kümmerte Art zu wohnen, bei welcher namentlich in der Winterszeit alle Be¬
haglichkeit aus dem Innern der Hütte ausgeschlossen blieb und das körperliche
Befinden Vielfache Prüfungen zu bestehen hatte, bei vorgerückter Civilisation,
bei der allmäligen Entwickelung einer staatlichen Ordnung und dem Eintreten
friedlicher Zustände nach und nach außer Gebrauch kam und am Ende ganz
aufgegeben wurde, ganz ähnlich wie am Schlüsse des Mttclalters die Burgen
verlassen wurden, weil die Umgestaltung der Verhältnisse den Besitzern der¬
selben einen wohnlicheren und doch sichern Aufenthalt im ebenen Lande ge¬
stattete."

Auffällig und seltsam mag unserer Zeit das Leben jenes alten, vorge¬
schichtlichen Volkes auf ihren Pfahlbauten in den Alpenseen erscheinen; allein
es steht im Alterthume nicht vereinzelt da. Nach einer Erzählung bei
Herodot waren bei den kaukasischen Skythen dieselben Wohnungen üblich und
bekannt. "Mitten im See Presias". erzählt der Geschichtssckreiber (V 16).
"stehen zusammengefügte Gerüste auf hohen Pfählen, und dahin führt vom


29*

Fragen wir weiter nach dem Entstehungsgründe dieser Wasserdörser. so
scheint hauptsächlich das Gefühl größerer Sicherheit die Wahl und den Aufbau
so eigenthümlicher, durch Wasser isolirter Wohnungen veranlaßt, zu haben, in
denen man wie auf Inseln feindliche Angriffe und Naubanfälle wilder Thiere
leichter glaubte abwehren zu können. Uebrigens dürfen wir nicht meinen, daß
damals die ganze Bevölkerung jener Gegenden in derselben Weise gewohnt
und gehaust habe. Die Thäler und Anhöhen des Landes waren aller Wahr¬
scheinlichkeit nach ebenfalls mit Hütten besehe, welche sich von jenen der See-
bewohner eben nur dadurch unterscheiden, daß sie nicht auf Pfahlwerk, son¬
dern auf dem festen Boden standen. Dafür sprechen die kleinen, ans Hügeln
und Bergrücken entdeckten, durch Wälle geschützten Plätze, welche sich als
Ueberreste menschlicher Wohnungen erwiesen haben und gleichzeitig mit den
Pfahlbauten entstanden sein dürften. Wenn sich von der Bewohnung des
festen Landes in jener Zeit nur und wenige Spuren gefunden haben, so
liegt der Grund einfach in der vielfachen Zerstörung, welche die Boden¬
cultur solchen Ueberresten gebracht und bereitet hat.

In welchen Zeiten die Pfahlbauten zu Grunde gegangen sind, ist in
keinem Gcschicktsbuche aufgezeichnet; auf welche Weise aber die Mehrzahl
derselben vernichtet und beseitigt wurde, das ist deutlich in ihren Trüm¬
mern zu lesen. Die verkohlten Früchte und Industrieproducte, die an¬
gebrannten Pfähle. Bretter und Balken lassen nicht den mindesten Zweifel
übrig, daß sie, durch Feuer zerstört worden sind. Ob diese Zerstörung aber
durch Feindeshand bewirkt worden ist, oder ob Unglück und schlimmer Zu¬
fall hier mitgewirkt haben, wer mag das mit Bestimmtheit sagen? „Mit
großer Wahrscheinlichkeit laßt sich übrigens annehmen, daß diese isolirte, ver¬
kümmerte Art zu wohnen, bei welcher namentlich in der Winterszeit alle Be¬
haglichkeit aus dem Innern der Hütte ausgeschlossen blieb und das körperliche
Befinden Vielfache Prüfungen zu bestehen hatte, bei vorgerückter Civilisation,
bei der allmäligen Entwickelung einer staatlichen Ordnung und dem Eintreten
friedlicher Zustände nach und nach außer Gebrauch kam und am Ende ganz
aufgegeben wurde, ganz ähnlich wie am Schlüsse des Mttclalters die Burgen
verlassen wurden, weil die Umgestaltung der Verhältnisse den Besitzern der¬
selben einen wohnlicheren und doch sichern Aufenthalt im ebenen Lande ge¬
stattete."

Auffällig und seltsam mag unserer Zeit das Leben jenes alten, vorge¬
schichtlichen Volkes auf ihren Pfahlbauten in den Alpenseen erscheinen; allein
es steht im Alterthume nicht vereinzelt da. Nach einer Erzählung bei
Herodot waren bei den kaukasischen Skythen dieselben Wohnungen üblich und
bekannt. „Mitten im See Presias". erzählt der Geschichtssckreiber (V 16).
„stehen zusammengefügte Gerüste auf hohen Pfählen, und dahin führt vom


29*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0235" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113477"/>
          <p xml:id="ID_695"> Fragen wir weiter nach dem Entstehungsgründe dieser Wasserdörser. so<lb/>
scheint hauptsächlich das Gefühl größerer Sicherheit die Wahl und den Aufbau<lb/>
so eigenthümlicher, durch Wasser isolirter Wohnungen veranlaßt, zu haben, in<lb/>
denen man wie auf Inseln feindliche Angriffe und Naubanfälle wilder Thiere<lb/>
leichter glaubte abwehren zu können. Uebrigens dürfen wir nicht meinen, daß<lb/>
damals die ganze Bevölkerung jener Gegenden in derselben Weise gewohnt<lb/>
und gehaust habe. Die Thäler und Anhöhen des Landes waren aller Wahr¬<lb/>
scheinlichkeit nach ebenfalls mit Hütten besehe, welche sich von jenen der See-<lb/>
bewohner eben nur dadurch unterscheiden, daß sie nicht auf Pfahlwerk, son¬<lb/>
dern auf dem festen Boden standen. Dafür sprechen die kleinen, ans Hügeln<lb/>
und Bergrücken entdeckten, durch Wälle geschützten Plätze, welche sich als<lb/>
Ueberreste menschlicher Wohnungen erwiesen haben und gleichzeitig mit den<lb/>
Pfahlbauten entstanden sein dürften. Wenn sich von der Bewohnung des<lb/>
festen Landes in jener Zeit nur und wenige Spuren gefunden haben, so<lb/>
liegt der Grund einfach in der vielfachen Zerstörung, welche die Boden¬<lb/>
cultur solchen Ueberresten gebracht und bereitet hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_696"> In welchen Zeiten die Pfahlbauten zu Grunde gegangen sind, ist in<lb/>
keinem Gcschicktsbuche aufgezeichnet; auf welche Weise aber die Mehrzahl<lb/>
derselben vernichtet und beseitigt wurde, das ist deutlich in ihren Trüm¬<lb/>
mern zu lesen. Die verkohlten Früchte und Industrieproducte, die an¬<lb/>
gebrannten Pfähle. Bretter und Balken lassen nicht den mindesten Zweifel<lb/>
übrig, daß sie, durch Feuer zerstört worden sind. Ob diese Zerstörung aber<lb/>
durch Feindeshand bewirkt worden ist, oder ob Unglück und schlimmer Zu¬<lb/>
fall hier mitgewirkt haben, wer mag das mit Bestimmtheit sagen? &#x201E;Mit<lb/>
großer Wahrscheinlichkeit laßt sich übrigens annehmen, daß diese isolirte, ver¬<lb/>
kümmerte Art zu wohnen, bei welcher namentlich in der Winterszeit alle Be¬<lb/>
haglichkeit aus dem Innern der Hütte ausgeschlossen blieb und das körperliche<lb/>
Befinden Vielfache Prüfungen zu bestehen hatte, bei vorgerückter Civilisation,<lb/>
bei der allmäligen Entwickelung einer staatlichen Ordnung und dem Eintreten<lb/>
friedlicher Zustände nach und nach außer Gebrauch kam und am Ende ganz<lb/>
aufgegeben wurde, ganz ähnlich wie am Schlüsse des Mttclalters die Burgen<lb/>
verlassen wurden, weil die Umgestaltung der Verhältnisse den Besitzern der¬<lb/>
selben einen wohnlicheren und doch sichern Aufenthalt im ebenen Lande ge¬<lb/>
stattete."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_697" next="#ID_698"> Auffällig und seltsam mag unserer Zeit das Leben jenes alten, vorge¬<lb/>
schichtlichen Volkes auf ihren Pfahlbauten in den Alpenseen erscheinen; allein<lb/>
es steht im Alterthume nicht vereinzelt da. Nach einer Erzählung bei<lb/>
Herodot waren bei den kaukasischen Skythen dieselben Wohnungen üblich und<lb/>
bekannt. &#x201E;Mitten im See Presias". erzählt der Geschichtssckreiber (V 16).<lb/>
&#x201E;stehen zusammengefügte Gerüste auf hohen Pfählen, und dahin führt vom</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 29*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0235] Fragen wir weiter nach dem Entstehungsgründe dieser Wasserdörser. so scheint hauptsächlich das Gefühl größerer Sicherheit die Wahl und den Aufbau so eigenthümlicher, durch Wasser isolirter Wohnungen veranlaßt, zu haben, in denen man wie auf Inseln feindliche Angriffe und Naubanfälle wilder Thiere leichter glaubte abwehren zu können. Uebrigens dürfen wir nicht meinen, daß damals die ganze Bevölkerung jener Gegenden in derselben Weise gewohnt und gehaust habe. Die Thäler und Anhöhen des Landes waren aller Wahr¬ scheinlichkeit nach ebenfalls mit Hütten besehe, welche sich von jenen der See- bewohner eben nur dadurch unterscheiden, daß sie nicht auf Pfahlwerk, son¬ dern auf dem festen Boden standen. Dafür sprechen die kleinen, ans Hügeln und Bergrücken entdeckten, durch Wälle geschützten Plätze, welche sich als Ueberreste menschlicher Wohnungen erwiesen haben und gleichzeitig mit den Pfahlbauten entstanden sein dürften. Wenn sich von der Bewohnung des festen Landes in jener Zeit nur und wenige Spuren gefunden haben, so liegt der Grund einfach in der vielfachen Zerstörung, welche die Boden¬ cultur solchen Ueberresten gebracht und bereitet hat. In welchen Zeiten die Pfahlbauten zu Grunde gegangen sind, ist in keinem Gcschicktsbuche aufgezeichnet; auf welche Weise aber die Mehrzahl derselben vernichtet und beseitigt wurde, das ist deutlich in ihren Trüm¬ mern zu lesen. Die verkohlten Früchte und Industrieproducte, die an¬ gebrannten Pfähle. Bretter und Balken lassen nicht den mindesten Zweifel übrig, daß sie, durch Feuer zerstört worden sind. Ob diese Zerstörung aber durch Feindeshand bewirkt worden ist, oder ob Unglück und schlimmer Zu¬ fall hier mitgewirkt haben, wer mag das mit Bestimmtheit sagen? „Mit großer Wahrscheinlichkeit laßt sich übrigens annehmen, daß diese isolirte, ver¬ kümmerte Art zu wohnen, bei welcher namentlich in der Winterszeit alle Be¬ haglichkeit aus dem Innern der Hütte ausgeschlossen blieb und das körperliche Befinden Vielfache Prüfungen zu bestehen hatte, bei vorgerückter Civilisation, bei der allmäligen Entwickelung einer staatlichen Ordnung und dem Eintreten friedlicher Zustände nach und nach außer Gebrauch kam und am Ende ganz aufgegeben wurde, ganz ähnlich wie am Schlüsse des Mttclalters die Burgen verlassen wurden, weil die Umgestaltung der Verhältnisse den Besitzern der¬ selben einen wohnlicheren und doch sichern Aufenthalt im ebenen Lande ge¬ stattete." Auffällig und seltsam mag unserer Zeit das Leben jenes alten, vorge¬ schichtlichen Volkes auf ihren Pfahlbauten in den Alpenseen erscheinen; allein es steht im Alterthume nicht vereinzelt da. Nach einer Erzählung bei Herodot waren bei den kaukasischen Skythen dieselben Wohnungen üblich und bekannt. „Mitten im See Presias". erzählt der Geschichtssckreiber (V 16). „stehen zusammengefügte Gerüste auf hohen Pfählen, und dahin führt vom 29*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/235
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/235>, abgerufen am 23.07.2024.