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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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daß der jetzige Zustand sich consolidiren. daß der Eiderstaat nach und nach
ein kalt accompli werden soll.

Die Dänen wollen also nicht etwa durch einen offenen Act die Inkorpo¬
ration Schleswigs aussprechen und das dänische Grundgesetz von 1849 auf
Schleswig ausdehnen. Vielmehr wollen sie sich selbst gleich bleiben. Ge-
wissermaßen durch ein Taschenspiclcrkunststück wollen sie die Incorporation voll¬
ziehen, ohne daß man es bemerkt. Der Rumpfreichsrath soll in seinem jetzigen
Umfange als definitiv anerkannt werden. Dann würde man mit der Zeit
den dänischen Reichstag und die schleswigschen Stände in den Reichsrath auf
gehen lassen.

Dies ist der Plan der Dänen, welchen sie euphemistisch gewöhnlich als
eine Aussonderung Holsteins aus dem Gcscimmtstaat bezeichnen. Graf Bern-
storff ist nicht im Zweifel darüber, wo das Gefährliche der augenblicklichen
Situation steckt. In seiner Depesche vom 5, Decbr. spricht er ausdrücklich von
dem "noch factischen Fortbestehen des Reichsraths für Schleswig". Der Con-
flict über diesen Punkt kann vielleicht bald auf eine Entscheidung hindrängen.
Zum 25. Januar ist der Rumpfreichsrath wieder nach Kopenhagen einberufen.
Ein Gerücht will wissen, daß Preußen.beabsichtige, seine diplomatischen Be¬
ziehungen zu Dänemark abzubrechen, falls der Rumpfreichsrath wieder in
Wirksamkeit trete. Ob dies richtig ist, müssen wir dahin gestellt sein lassen
(es ist unrichtig. D. Red.). Der Minister des Auswärtigen kann am besten
beurtheilen, wann eine solche Maßregel zeitgemäß ist.

Glaubt Graf Bernstorff. daß jetzt der Moment gekommen ist. so wird
die Nation sich des einstimmigen Votums erinnern, welches das Abgeord¬
netenhaus im Mai 1860 für die Sache der Herzogthümer abgegeben hat.
Durch dieses Votum hat das Haus, wie damals der Abgeordnete von Car-
lowitz sich ausdrückte, dem Minister etwa Folgendes gesagt: "Erspähe am
Politischen Horizont Europas jede Gelegenheit, die sich als eine günstige dar.
bietet, um für das gekränkte Recht der Herzogthümer einzutreten, benutze jede
derartige Gelegenheit, wenn sie sich bietet, und sobald sie sich bietet, mit aller
Kraft und Energie, und rechne endlich dabei auf die Zustimmung der Nation."

Wenn die Zeit kommt, wird die Nation zu zeigen haben, daß sie nicht
blos in Worten hat tapfer sein wollen. Freilich flüstert man auch bereits
herum, die dänische Kriegsgefahr solle nur vorgespiegelt werden , um die Ge¬
burt der Armeereform zu erleichtern. Aber das können wir nicht glauben.
Solche Kunststücke wird die Regierung lieber ihren Gegnern überlassen. Die
Militärvorlage könnte bei einer solchen Taktik jedenfalls nicht gewinnen.

Ueber SH^'^wig-Holstein dürfen wir Kurhessen nicht vergessen. Das
ist der zweite Punkt, wo die Ehre der Nation verpfändet ist. Und hier ist sie
eichter einzulösen, >ve it die kurhessische Frage eine innere deutsche Angelegen-


daß der jetzige Zustand sich consolidiren. daß der Eiderstaat nach und nach
ein kalt accompli werden soll.

Die Dänen wollen also nicht etwa durch einen offenen Act die Inkorpo¬
ration Schleswigs aussprechen und das dänische Grundgesetz von 1849 auf
Schleswig ausdehnen. Vielmehr wollen sie sich selbst gleich bleiben. Ge-
wissermaßen durch ein Taschenspiclcrkunststück wollen sie die Incorporation voll¬
ziehen, ohne daß man es bemerkt. Der Rumpfreichsrath soll in seinem jetzigen
Umfange als definitiv anerkannt werden. Dann würde man mit der Zeit
den dänischen Reichstag und die schleswigschen Stände in den Reichsrath auf
gehen lassen.

Dies ist der Plan der Dänen, welchen sie euphemistisch gewöhnlich als
eine Aussonderung Holsteins aus dem Gcscimmtstaat bezeichnen. Graf Bern-
storff ist nicht im Zweifel darüber, wo das Gefährliche der augenblicklichen
Situation steckt. In seiner Depesche vom 5, Decbr. spricht er ausdrücklich von
dem „noch factischen Fortbestehen des Reichsraths für Schleswig". Der Con-
flict über diesen Punkt kann vielleicht bald auf eine Entscheidung hindrängen.
Zum 25. Januar ist der Rumpfreichsrath wieder nach Kopenhagen einberufen.
Ein Gerücht will wissen, daß Preußen.beabsichtige, seine diplomatischen Be¬
ziehungen zu Dänemark abzubrechen, falls der Rumpfreichsrath wieder in
Wirksamkeit trete. Ob dies richtig ist, müssen wir dahin gestellt sein lassen
(es ist unrichtig. D. Red.). Der Minister des Auswärtigen kann am besten
beurtheilen, wann eine solche Maßregel zeitgemäß ist.

Glaubt Graf Bernstorff. daß jetzt der Moment gekommen ist. so wird
die Nation sich des einstimmigen Votums erinnern, welches das Abgeord¬
netenhaus im Mai 1860 für die Sache der Herzogthümer abgegeben hat.
Durch dieses Votum hat das Haus, wie damals der Abgeordnete von Car-
lowitz sich ausdrückte, dem Minister etwa Folgendes gesagt: „Erspähe am
Politischen Horizont Europas jede Gelegenheit, die sich als eine günstige dar.
bietet, um für das gekränkte Recht der Herzogthümer einzutreten, benutze jede
derartige Gelegenheit, wenn sie sich bietet, und sobald sie sich bietet, mit aller
Kraft und Energie, und rechne endlich dabei auf die Zustimmung der Nation."

Wenn die Zeit kommt, wird die Nation zu zeigen haben, daß sie nicht
blos in Worten hat tapfer sein wollen. Freilich flüstert man auch bereits
herum, die dänische Kriegsgefahr solle nur vorgespiegelt werden , um die Ge¬
burt der Armeereform zu erleichtern. Aber das können wir nicht glauben.
Solche Kunststücke wird die Regierung lieber ihren Gegnern überlassen. Die
Militärvorlage könnte bei einer solchen Taktik jedenfalls nicht gewinnen.

Ueber SH^'^wig-Holstein dürfen wir Kurhessen nicht vergessen. Das
ist der zweite Punkt, wo die Ehre der Nation verpfändet ist. Und hier ist sie
eichter einzulösen, >ve it die kurhessische Frage eine innere deutsche Angelegen-


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[0159] daß der jetzige Zustand sich consolidiren. daß der Eiderstaat nach und nach ein kalt accompli werden soll. Die Dänen wollen also nicht etwa durch einen offenen Act die Inkorpo¬ ration Schleswigs aussprechen und das dänische Grundgesetz von 1849 auf Schleswig ausdehnen. Vielmehr wollen sie sich selbst gleich bleiben. Ge- wissermaßen durch ein Taschenspiclcrkunststück wollen sie die Incorporation voll¬ ziehen, ohne daß man es bemerkt. Der Rumpfreichsrath soll in seinem jetzigen Umfange als definitiv anerkannt werden. Dann würde man mit der Zeit den dänischen Reichstag und die schleswigschen Stände in den Reichsrath auf gehen lassen. Dies ist der Plan der Dänen, welchen sie euphemistisch gewöhnlich als eine Aussonderung Holsteins aus dem Gcscimmtstaat bezeichnen. Graf Bern- storff ist nicht im Zweifel darüber, wo das Gefährliche der augenblicklichen Situation steckt. In seiner Depesche vom 5, Decbr. spricht er ausdrücklich von dem „noch factischen Fortbestehen des Reichsraths für Schleswig". Der Con- flict über diesen Punkt kann vielleicht bald auf eine Entscheidung hindrängen. Zum 25. Januar ist der Rumpfreichsrath wieder nach Kopenhagen einberufen. Ein Gerücht will wissen, daß Preußen.beabsichtige, seine diplomatischen Be¬ ziehungen zu Dänemark abzubrechen, falls der Rumpfreichsrath wieder in Wirksamkeit trete. Ob dies richtig ist, müssen wir dahin gestellt sein lassen (es ist unrichtig. D. Red.). Der Minister des Auswärtigen kann am besten beurtheilen, wann eine solche Maßregel zeitgemäß ist. Glaubt Graf Bernstorff. daß jetzt der Moment gekommen ist. so wird die Nation sich des einstimmigen Votums erinnern, welches das Abgeord¬ netenhaus im Mai 1860 für die Sache der Herzogthümer abgegeben hat. Durch dieses Votum hat das Haus, wie damals der Abgeordnete von Car- lowitz sich ausdrückte, dem Minister etwa Folgendes gesagt: „Erspähe am Politischen Horizont Europas jede Gelegenheit, die sich als eine günstige dar. bietet, um für das gekränkte Recht der Herzogthümer einzutreten, benutze jede derartige Gelegenheit, wenn sie sich bietet, und sobald sie sich bietet, mit aller Kraft und Energie, und rechne endlich dabei auf die Zustimmung der Nation." Wenn die Zeit kommt, wird die Nation zu zeigen haben, daß sie nicht blos in Worten hat tapfer sein wollen. Freilich flüstert man auch bereits herum, die dänische Kriegsgefahr solle nur vorgespiegelt werden , um die Ge¬ burt der Armeereform zu erleichtern. Aber das können wir nicht glauben. Solche Kunststücke wird die Regierung lieber ihren Gegnern überlassen. Die Militärvorlage könnte bei einer solchen Taktik jedenfalls nicht gewinnen. Ueber SH^'^wig-Holstein dürfen wir Kurhessen nicht vergessen. Das ist der zweite Punkt, wo die Ehre der Nation verpfändet ist. Und hier ist sie eichter einzulösen, >ve it die kurhessische Frage eine innere deutsche Angelegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/159>, abgerufen am 28.12.2024.